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Mehrere Konzerte des Mendelssohn-Festivals iinden im Gewandhaus Leipzig statt

© René Jungnickel

Mendelssohn-Festtage in Leipzig: Auf die Freundschaft!

Mit den Leipziger Mendelssohn-Festttagen will die Leiterin Elena Bashkirova einen Komponisten feiern, der ebenso für Traditionsbewusstsein wie für Weltoffenheit steht. 

Von Keno-David Schüler

Der 26-jährige Mendelssohn war 1835 Gewandhauskapellmeister geworden. Durch substantielle Veränderungen im Spielbetrieb sowie seine Initiative zur Gründung eines Konservatoriums verhalf er dem bereits florierenden bürgerlichen Musikleben des „curiosen Nestes“ schnell zur Entfaltung internationaler Strahlkraft. Vergessen haben ihm die Leipziger auch nicht seinen Einsatz für die Musik ihres Thomaskantors Johann Sebastian Bach.

Beim Eröffnungskonzert des Mendelssohn-Festtage 2023 durch Sir András Schiff im Großen Gewandhaussaal ist Bach mit einem Präludium nebst Fuge, dem jugendlich frischen Capriccio B-Dur BWV 992 und der fünften französischen Suite prominent vertreten. Der Pianist spielt auf einem Blüthner-Flügel von 1859 und moderiert selbst. Dabei erlebt man den nonchalante Witz des 69-Jährigen, der beispielsweise die Gattung Suite - eine Kompilation verschiedener Nationaltänze - mit der Europäischen Union vergleicht.

Wirklich erfüllend wird es dann zu verfolgen, wie sich bei Schiff die frei reflektierende, dabei zuweilen fast priesterliche Haltung des Sprechens in Musik verwandelt. Wie fantastisch spontan, aber nie formlos, eben wie ein Gespräch aus dem Moment entstehend, fließen ihm die Schumann’schen Davidsbündlertänze aus den Fingern.

Die künstlerische Leiterin des Leipziger Mendelssohn-Festivals ist Elena Bashkirova
Die künstlerische Leiterin des Leipziger Mendelssohn-Festivals ist Elena Bashkirova

© Monika Rittershaus

Das zweite Stück lässt die Davidsbündler im Dialog singen, aus der silbern-milchigen Mittellage, über etwas kantige Register in den sonoren Bassbereich des historischen Flügels hinein; wie entrückt funkeln dann die Sterne im fünften. Nummer 13, die nach dem wild, aber lustig getriebenem A-Teil eine etwas skurrile Ballszene ausstellt, welche bei Wiederauftauchen herrlich surreal verschwimmt, lässt sich fantastisch cineastisch erleben.

Auch Mendelssohns Variations sérieuses werden dann - wie von Schiff beschrieben - zum Requiem. Er baut den musikalischen Satz aus den Mittelstimmen heraus auf. Unerhört, wie so in der ersten Variation Cantus firmus und Bassoktaven dialogisch in die expressiven Sechzehntelketten eingeflochten werden. Freilich, wenn auch der Klangsinn des Pianisten betört, gelingt das hier auf Kosten der vitaleren Variationscharaktere.

Internationale Spitzenmusiker

Und während Schiffs deutlich entschleunigtes Allegretto-Tempo im dritten Satz der anschließenden Sturmsonate Beethovens noch einleuchten mag, fragt sich, ob die alla marcia genommene Variations-Coda nicht doch eher das sein sollte, wozu ihr Erfinder sie bestimmte: nämlich ein Presto. Die Mendelssohn-Festtage stehen, sicherlich im Sinne seines weltläufigen Namenspaten, im Zeichen der Freundschaft. Die künstlerische Leiterin Elena Bashkirova versammelt hier internationale Spitzenmusiker um sich, die weniger der Gagen wegen, sondern aus freundschaftlicher Verbundenheit anreisen. Angesichts finanzieller Beschränkungen wäre dieses ambitionierte Format anders kaum zu realisieren. Klar ist, dass so die Notwendigkeiten spielbetrieblichen Alltags Grenzen auferlegen.

Der Mendelssohn-Saal im Leipziger Gewandhaus
Der Mendelssohn-Saal im Leipziger Gewandhaus

© Jens Gerber

So wird das Festival zum allgemeinen Überraschungsei. Es ist zu verschmerzen, dass ein Liederabend abgesagt wird, Bashkirova mit Mozart und etwas aus Fanny Hensels „Das Jahr“ einspringt, und dass der sich anschließende Kammermusikabend mit Mihaela Martin und Frans Helmerson das virtuose Schulhoff-Duo ausspart, dafür anders bearbeitete Mendelssohn-Transkriptionen als angegeben bringt.

Denn immerhin kommt ja Fanny Hensels fabelhaftes Trio in D-Moll op. 11! Ärgerlich ist es dann aber doch, wenn Spontanität zu Oberflächlichkeit gerät, wenn über Text- und Intonationsausfälle hinweggesehen, die dramatische Anlage des Stückes etwas generisch und kontrastlos in den behäbigen Tempi der Ecksätze verschleppt wird.

Ganz anderen Eindruck machen Clara-Jumi Kang und Sunwook Kim im Mendelssohn Saal mit vitalen Lesarten von Beethovens Kreutzersonate sowie der Violinsonate F-Dur MWV Q26 Mendelssohns. Dem Kopfsatz letzterer, einem brillanten, aber etwas sperrigen Stück, verhelfen die jungen Musiker zu frühlingshafter Spritzigkeit. Im dritten Satz dann, wenn ein Mollgedanke über repetierten Klavierakkorden das wilde perpetuum mobile kurz ausbremst, wird die geistige Nähe zu Beethoven deutlich vorgeführt. Technische Bravour, stilistischer Instinkt und professionell dosierte Leidenschaft wecken die Lust auf mehr. Wer nicht in Leipzig dabeisein kann, darf sich auf Elena Bashkirovas Berliner Ableger des Festivals am 15. und 16. Dezember im Boulez-Saal freuen.

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