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Eine Ausstellung feiert die Farbe: Grün zwitschert, Gelb zirpt

„Farbanstöße“: Das Bochumer Museum unter Tage kitzelt mit einer überreichen Bilderschau von Bonnard bis Paik die Sinne.

Eine Hand zieht 36 Minuten lang ein monochrom farbiges Papier nach dem anderen vom Stapel. Zu hören ist nur ein trockenes Wischgeräusch, wenn wieder ein Blatt weggenommen wird.

Zu sehen sind in dem mittlerweile leicht flackrigen16-Millimeter-Kodachrome-Film aus dem Jahr 1971 gerade noch die Finger mit schwarz geränderten Nägeln, die sich mal von rechts oben, mal von links auf einen weiteren Bogen legen, mit denen sie aus dem Bild verschwinden. Eine Regel dafür ist nicht zu erkennen, auch nicht für die Reihung: Rot folgt auf Gelb, Blau auf Grün, Braun auf Orange usw..

Das ist so simpel wie spektakulär, ein Exerzitium in Farbe, 202 Blätter lang. Es wird noch ein bisschen aufregender, wenn man erfährt, dass diese Hand zum inzwischen 80-jährigen US-Bildhauer Richard Serra gehört.

Die Trauerränder unter seinen Nägeln stammen von schwarzer Ölkreide, mit der er schon damals exzessiv zeichnete. Bekannt ist Serra heute vor allem für seine gewaltigen Stahlskulpturen. Mit Farbe haben sie nur wenig gemein.

Serra bediente sich eines einfachen Farbsets

Und doch widmete ihr der damals 33-Jährige ein eigenes Werk – vielleicht auch, um seinem Lehrer Josef Albers etwas entgegenzuhalten, dessen Assistent zu dieser Zeit an der Yale University in New Haven war und dem er bei der Zusammenstellung seines berühmten Grundlagenwerks „The Interaction of Color“ half.

Serra bediente sich für sein Stück ganz einfach eines damals in Mode und Fotografie gebräuchlichen Farbsets, das wie der Titel seines Werks „Color-Aid“ hieß.

Prompt hängt im Bochumer Museum unter Tage nicht weit von Serra entfernt ein hinreißendes Beispiel von Josef Albers’ etwa 1000 Bilder umfassender Serie „Hommage to the Square“. Das überrascht weniger, denn das unweit gelegene Bottrop ist die Geburtsstadt des berühmten Malers, aus dessen Nachlass sich rund 300 Werke im dortigen Museum Quadrat befinden.

Hier im Ruhrgebiet ließ auch Serra bis zur Schließung der Stahlwerke seine Skulpturen fertigen. Die von Silke von Berswordt-Wallrabe und Maria Spiegel eingerichtete Ausstellung „Farbanstöße“ bringt beide Künstler noch einmal zusammen – und viele weitere, knapp 60 sind es insgesamt.

Die beiden Kuratorinnen wollen mit ihrer Schau vor allem Denkanstöße vermitteln statt einer weiteren Ausstellung, die eine bestimmte Farbe auf ihre verschiedenen Bedeutungen hin durchdekliniert.

Impressionismus: Farbe wird zum Stimmungsträger

Serras zufälliger Zusammenprall der Farben hätte eine passende Ouvertüre bilden können, doch als der Ruhr-Universität angeschlossenes Institut beginnt der Bilderreigen klassisch historisch. Impressionistische und expressionistische Malerei führt in die Thematik ein. Um die Jahrhundertwende verselbständigte sich die Farbe, sie wird zum Stimmungsträger. In Hans Purrmanns „Haus unter Bäumen“ von 1911 schlägt es violette Schatten, in Pierre Bonnards ein Jahr darauf entstandenem Bauerngarten schwebt das Rot der Blumen geradezu über dem Bild. Farbe wird zum Ausdruck innerer Verfasstheit, das zeigt sich noch deutlicher bei den Expressionisten, in Erich Heckels „Park von Dilborn“ von 1914, wo er eine Zeitlang bei dem Maler Heinrich Nauen lebte.

Das Bild entstand vier Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der entlaubte Baum im Zentrum des Gemäldes, der in den schwefelgelben Himmel stakt, lässt die aufziehende Katastrophe, das kommende Grauen bereits ahnen.

Fast ein Jahrhundert später feiert der Berliner Maler Klaus Fußmann ohne Arg die ziehenden Wolken am schleswig-holsteinischen Himmel. Pastig dick trägt er die Farbe auf seine nur wenige Zentimeter große Tafel auf, sie bedeutet hier ganz konkret Materialität.

Ansicht eines Recyclinghofs

Die Nachbarschaft zu Caroline von Grones Porträt eines Zauns entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Auch sie malt ein Freiluftbild, allerdings versperrt ein Leinwandgroßer Metallzaun in orangeroter Rostschutzfarbe die Sicht. Bei genauerer Betrachtung sind im dahinter gelegenen Grün Container auszumachen. Der vermeintliche Garten gibt sich als Recyclinghof zu erkennen. Die Ode an die Farbe kommt mit einem Augenzwinkern daher.

Die Bochumer Ausstellung überwältigt schier durch ihre vielen Facetten. Farbe ist nun einmal ein konstituierendes Element kreativen Schaffens. Kein Künstler, der sich nicht einer Auseinandersetzung stellen würde: ob ein Videokünstler wie Nam June Paik oder ein Minimalist wie François Morellet.

Die Auswahl fiel ganz offensichtlich schwer. Mal ist die Farbe ein politisches Statement wie bei dem Teheraner Künstler Yaghoub Emdadian, der überwiegend Grün verwendet, das im Iran vornehmlich für Würdenträger und nationale Symbole reserviert ist.

In Emdadians ansonsten abstraktem Gemälde ist die Silhouette einer Stadt angedeutet, als wünschte der Maler der Zivilgesellschaft seines Landes die gleiche Freiheit, wie sie die Staatenlenker genießen.

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Täglich einen Farbklecks

Mal ist die Farbe ein absurdes Ordnungssystem, dem sich der Künstler unterwirft. Prompt regiert der Zufall hinein und lässt am Ende ein großartiges Werk entstehen. Der Berliner Künstler Matten Vogel hat für sich die verrückte Regel aufgestellt, täglich einen andersfarbigen Klecks in ein vorgesehenes Quadrat zu tupfen, klecksen oder es auszumalen.

Das Chaos hat System, das nur durchschaut, wer die hinzugefügten Tagesangaben liest. Die überbordende Fülle der Ausstellungsteilnehmer wird zwar gebändigt durch einzelne Kapitel.

Zu den schönsten gehört die Abteilung „Die Farbe der Dinge“ mit Pinselbildern von Arman, bei denen das Utensil akkumuliert auf der Leinwand klebt, oder Katinka Pilscheurs bunten Kleiderbügeln, die entsprechend dem Farbkreis an einem runden Messinggestell hängen.

Grüne und gelbe Pigmente in Plastiktüten

Humor ist eine Rarität im Museum, hier gibt es ihn. Auch bei Julius’ Klangfarben ist Schmunzeln erlaubt. Der Berliner Soundkünstler packte grüne und gelbe Pigmente in Plastiktüten. Wer sich ihnen nähert, wird aus der gelben Tüte Grillen zirpen hören, aus der grünen Vögel zwitschern.

Für einen Moment möchte man die Augen schließen und nur lauschen, denn fast wird es zu viel. Die Anzahl der Künstler hätte gut um ein Viertel reduziert werden können, weniger wäre mehr gewesen. Auch um beim Finale noch einen Blick für die ergreifenden Bilder, die sich lösenden Farben bei Günter Fruhtrunk zu haben.

[ Museum unter Tage, Bochum, bis 19. April.; Katalog 28, ermäßigt 24 €.]

Sie entstanden in seiner letzten Schaffensphase vor dem Suizid und flüstern von der Verzweiflung. Das Schwefelgelb scheint von Erich Heckels Park-Bild herüberzuschweben.

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