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Frauchens Werk. Vivian Suters Ausstellung im Brücke-Museum trägt den Titel „Bonzo’s Dream“.

© Courtesy Vivian Suter and Gladstone Gallery, New York und Brüssel; House of Gaga; Karma International; and Proyectos Ultravioleta, Foto: David Regen

Ein Höhepunkt der Art Week: Vivian Suter sucht den Dialog mit den Expressionisten

Es ist eine doppelte Premiere: Das Brücke-Museum stellt die Werke der Schweizer Künstlerin mit denen von Brücke-Künstlern aus. Sie passen perfekt zueinander.

Für beide ist es eine Premiere – für das Brücke-Museum wie Vivian Suter. Zum ersten Mal öffnet sich das auf die Kunst der Expressionisten spezialisierte Haus am Rande des Grunewalds dem Dialog mit einer zeitgenössischen Malerin und lässt sich von ihren Bildern geradezu fluten. Und zum ersten Mal stellt die seit 30 Jahren in Argentinien lebende Schweizerin zusammen mit Werken der Brücke-Künstler aus. Ein Experiment.

Doch dem Museum bekommt diese unorthodoxe Begegnung gut, es beginnt ganz anders zu atmen, der Düttmann-Bau kriegt plötzlich Luft und Licht von oben durch die entfernten Deckeneinbauten. Und die Expressionisten erfahren unversehens einen Schub in die Gegenwart.

Vivian Suters luftige Abstraktionen wiederum, die auf Leinwand gemalt mal von der Decke hängen, mal halb den Boden bedecken und dem Besucher dadurch einen Slalom abverlangen, werden überraschend geerdet durch die festen Farben und gerahmten Formate der Brücke-Maler. Beide Seiten profitieren voneinander. Die Ausstellung „Bonzo’s Dream“ dürfte ein Höhepunkt der Art Week sein.

1982 zog sich die Künstlerin aus der Schweiz nach Guatemala zurück

Bonzo ist einer der drei Hunde, mit denen die 70-Jährige in ihrem wie verwunschenen Haus lebt, das an einem vulkanischen Berg nahe dem See Atitlán mitten im Dschungel liegt. Dorthin hatte sich die scheue Künstlerin 1982 zurückgezogen, als ihr der Ausstellungsbetrieb mit seinen Ritualen über den Kopf zu wachsen begann.

Die Ehe mit dem damaligen Werbemann und späteren Erfolgsautor Martin Suter war zu dem Zeitpunkt längst geschieden. Seinen Namen hat sie behalten, eine freundschaftliche Beziehung ist geblieben. Ihre Mutter Elisabeth Wild zog Mitte der 90er Jahre hinterher, nachdem sie die Leitung eines Aniquitätengeschäfts in Basel abgegeben hatte.

Bis vor Kurzem – Wild starb im Februar mit 98 Jahren – bildeten die beiden ein höchst unterschiedliches Gespann in der Abgeschiedenheit einer aufgegebenen Kaffeeplantage: Die eine malt mit großer Geste, lässt den Zufall walten, die andere schuf präzise kleine, surreale Collagen aus Hochglanzmagazinen. Auf der letzten Documenta gehörten Mutter und Tochter zu den Entdeckungen.

In den Ausstellungstiteln lässt Suter ihre Hunde vorkommen

Viele pilgerten in Athen zu Suters im Freien hängenden Leinwänden nahe der Akropolis. Internationale Kunsthäuser bemühten sich sogleich um sie. Die nun in Berlin gezeigten Bilder kommen direkt aus London vom Camden Art Center, wo die Ausstellung unter dem Titel „Tintin’s Sofa“ lief. Tintin ist der Name eines anderen Hundes, auch der dritte namens Sofie wurde auf diese Weise schon geehrt.

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Wer mit Vivian Suter in Guatemala telefoniert, kann ihre Vierbeiner hinten kläffen hören – wenn nicht gerade die Leitung zusammenbricht, weil die Kuratoren der Reina Sofía in Madrid ebenfalls anzurufen versuchen. Dort wird sie im 2021 ausstellen. Die Schweizerin mit Wohnsitz am Ende der Welt ist plötzlich gefragt und freut sich wie ein junges Mädchen.

Die Produktion der letzten Jahre steht bereit

In all den Jahren er Erfolg sichert ihr ein sorgenfreies Bleiben im verwitterten Haus mit Atelier am Hang. Bilder hat sie genug, um die Nachfrage zu sichern. „Ich habe immer gearbeitet“, sagt sie am Telefon, als schließlich die Verbindung steht. In all den Jahren hat sie ein Bild nach dem anderen gemalt, ohne dass es groß Abnehmer gab. Als 2005 der Hurricane Stan über Südamerika und auch ihr Domizil hinwegtobte, die Bilder mit Schlamm und Geröll bedeckte, schien das vorübergehend das Ende zu sein – alles überschwemmt, alles zerstört.

Doch dann entdeckte Suter Schönheit in den gewaltsamen Spuren der Natur, die in ihren Bildern mitgemalt hatte. Seitdem hat die Schweizerin die Interaktion mit den Kräften des Waldes und des Windes zum Prinzip erhoben. Sie lässt ihre Leinwände systematisch draußen liegen, Regen prasselt auf sie nieder, Zweige und Blätter segeln hinterher.

Die Hunde dürfen am Produktionsprozess teilnehmen mit ihren Pfoten

Wer im Brücke-Museum genauer hinschaut, entdeckt Pfotenspuren auf blauem Grund von Bonzo, Tintin oder Sofie, die vorher offensichtlich durch rote Farbe gelaufen sind. „Ich will mich nicht mehr aufregen“, sagte Suter und schickt ein entzückendes Lachen hinterher. Auch die Hunde werden in den kreativen Prozess eingebaut und dürfen auf den Leinwänden lagern, wenn ihnen danach ist.

Das Ergebnis ist eine ungeheuer großzügige Malerei, leicht und schwebend – und doch kraftvoll. Gegen die Expressionisten, gesittet an der Museumswand, behaupten sich Suters Bilder souverän. Von alleine wäre sie nicht auf die Idee gekommen, ihr Werk gemeinsam mit den Brücke-Malern auszustellen, gesteht die Künstlerin ein.

Expressionisten und Vivian Suter - das passt perfekt

Dass sie trotzdem zusammenpassen, ist evident: Beide Positionen bezeugen eine große Nähe zur Natur, beide hegen eine große Liebe zur Farbe. Beide überraschen jeweils zu ihrer Zeit mit extravaganten Formen der Präsentation, wie Direktorin Lisa Marei Schmidt ergänzt, die Suter nach Berlin eingeladen hat.

Und: Sowohl die Expressionisten als auch ihre Schweizer Nachfahrin haben einen Hang, den Raum zu vereinnahmen. Suter lässt ihre Bilder drinnen und draußen wehen, auch im Museumsgarten wird eine Leinwand vom Vordach aus Beton hängen. Ihre Präsentation gleicht mehr einer Installation. Kirchner wiederum baute sein Wohnatelier in Steglitz zu einem Gesamtkunstwerk aus, einer Künstlerhöhle.

Wie allumfassend der Kunstbegriff der Expressionisten war, lässt sich auch in der aktuellen Ausstellung im Brücke-Museum sehen. Neben den Gemälden von Kirchner und Schmidt-Rottluff hängen Teppiche von ihnen, als ergänzende Beigaben suchte sich Suter außerdem aus dem Depot des Museums kleine Schnitzarbeiten aus: hölzerne Kästchen, bearbeitete Steine und selbst gemachte Schachfiguren.

Wegen Corona kann die Künstlerin nicht selbst anreisen

Zu ihrem Kummer bekommt Suter all das nicht im Original zu sehen. Assistenten müssen für sie die Ausstellung einrichten, für die Mutter und Tochter noch gemeinsam die Auswahl getroffen haben. Auch einige Collagen von Elisabeth Wild sind darunter. Die von Suter für Berlin gemalten Bilder fehlen jedoch. Corona verhinderte sowohl die Anreise der Künstlerin als auch die Expedition ihrer jüngsten Werke.

[Brücke-Museum, Bussardsteig 9, bis 14. 2.; Eröffnung 12. 9.:11 – 19 Uhr, 13. 9.: 11 – 18 Uhr.]

Zum Glück konnte auf die 200 Bilder zurückgegriffen werden, die bereits nach London geschickt worden waren. Im Vergleich zum Camden Art Center sieht ihre Berliner Ausstellung nicht nur durch die Verbindung mit den Brücke-Künstlern vollkommen anders aus, auch die Kombination der eigenen Werke hat sich wieder neu ergeben. Bilder, die in London von anderen verdeckt waren, dort hintereinander hingen oder ganz unten in einem Stapel lagen, sind nun nach vorne gerückt.

Suter lässt in gewisser Weise wieder den Zufall walten, wenn auch nicht ganz freiwillig, und verlässt sich nun auf die Intuition ihrer Helfer vor Ort. Rufen Sie an, wenn sie in der Ausstellung sind, sagt sie noch am Telefon und wäre doch gerne selbst dabei.

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