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Auf dem Prüfstand. Rodins „Kauernde“ aus Marmor, ca. 1882.

© Albrecht Fuchs/BKH

Vertuschung und moralisch fragwürdiges Vorgehen: Die Gurlitt-Taskforce steht unter heftiger Kritik

Im Fall Gurlitt haben sich bisher nur fünf Werke als Raubkunst-Verdacht bestätigt. Der Autor Maurice-Philip Remy erhebt nun mit seinem Buch zum „Schwabinger Kunstfund“ schwere Vorwürfe gegen den Bund.

Das Timing war perfekt geplant. Einen Tag vor der Eröffnung der Doppelausstellung im Kunstmuseum Bern und in der Bonner Bundeskunsthalle erschien Maurice-Philip Remys Buch „Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal“. Der Ort war ebenfalls gut gewählt. Sein Werk präsentierte der Münchner Autor in Berlin im Haus der Bundespressekonferenz, nur wenige Meter Luftlinie vom Kanzleramt entfernt, in dem Kulturstaatsministerin Monika Grütters ihr Büro hat.

Von dort wurde gegen die Veröffentlichung interveniert, so erzählt es Remy, dessen Werk schon im Sommer 2016 erscheinen sollte. Das Jahr nutzte er für weitere Recherchen, um seine Vorwürfe gegen die bayerische Staatsanwaltschaft und die Bundesregierung zu präzisieren, das Buch zeitlich umso empfindlicher zu platzieren: just vor dem großen Rechtfertigungsversuch des Bundes in Sachen Gurlitt durch die Doppelausstellung.

Was war dran an der Aufregung vor drei Jahren um den „Schwabinger Kunstfund“? Bis heute hat sich nur bei fünf der 1566 Werke der Raubkunst-Verdacht bestätigt. Der Bonner Ausstellung, die den Schwerpunkt auf die Raubkunstfrage legt, gelingt es nicht, das Unverständnis darüber aus der Welt zu schaffen, dass mit aberwitzigem Aufwand nur klägliche Ergebnisse erzielt wurden – 1,6 Millionen Euro für eine militärisch forsch Taskforce genannte Forschergruppe.

Maurice-Philip Remy hat eine Erklärung dafür: Es gehe um Vertuschung, das Herunterspielen einer Fehlentscheidung, nämlich der rechtlich fragwürdigen Beschlagnahmung der Sammlung des ehemaligen NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Sie lagerte über Jahrzehnte verborgen in der Münchner Wohnung des wie ein Eremit lebenden Sohns. Im Berliner Salon Kufsteiner Straße hat Remy sein Buch nun erneut präsentiert und die Verantwortlichen im Gespräch mit dem Kunsthistoriker Raimund Stecker scharf attackiert.

Remy hat sich zur Aufgabe gemacht, das Ansehen der Gurlitts wiederherzustellen

Von Anfang an seien ihm die Aussagen „Nazi-Schatz“ und „Milliardenwert“ übertrieben erschienen, so Remy. Der größte NS-Kunsträuber Hermann Göring habe rund 1800 Bilder besessen, davon die Hälfte Raubkunst. Privatsammlungen, die eine Milliarde Euro wert seien, gebe es in Europa vielleicht zwei Hand voll. Die Informationen seien damals an das Magazin „Focus“ durchgestochen worden, um sich mit dem Coup der Zollfahnder zu brüsten. Sie hatten beim betagten Sohn Cornelius Gurlitt auf der Heimreise aus der Schweiz 9000 Euro entdeckt und glaubten nun, einem Steuerhinterzieher auf die Schliche gekommen zu sein, der mit Raubkunst aus Familienbesitz handelt.

„Das war die Ursache für den Irrsinn“, so Remy. Es folgte die Jagd auf einen verwirrten alten Mann. Auch die Medien, die ihm vor seinem Haus auflauerten, trügen Schuld an seinem Tod anderthalb Jahre später, ist der Autor überzeugt. Dass die Vorwürfe wegen Steuervergehen nicht haltbar, der Besitz der Bilder rechtens, wenn auch bei einigen moralisch fragwürdig war, stellte sich erst später bei genauerer Betrachtung heraus. Remy aber hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Ansehen Cornelius wie Hildebrand Gurlitts wiederherzustellen. Letzterer sei im Vergleich mit vielen NS-Zeitgenossen ein kleiner Fisch gewesen.

Feine Gesellschaft. Bei Hans Christophs Aquarell „Paar“ (1924) wird die Provenienz noch geklärt.
Feine Gesellschaft. Bei Hans Christophs Aquarell „Paar“ (1924) wird die Provenienz noch geklärt.

© Mick Vincenz/Bundeskunsthalle

Gewiss sei er eine Person mit Licht- und Schattenseiten gewesen, aber aus seiner Tätigkeit für die Nationalsozialisten als Verkäufer von „entarteter Kunst“ könne Hildebrand Gurlitt kein Strick gedreht werden, glaubt Remy. Als späterer Chefeinkäufer in Paris für das „Führer“-Museum in Linz hätte er seine Arme nicht metertief im Blut gehabt. Der darniederliegende Kunsthandel hätte stattdessen die deutsche Kundschaft begeistert begrüßt. Hildebrand Gurlitt habe es vermieden, sich an jüdischem Eigentum zu bereichern, und etwa dem verfolgten Leipziger Musikverleger Henri Hinrichsen, der sich unter Druck an ihn gewandt hatte, ein faires Angebot gemacht. Dass Gurlitt nach 1945 gegenüber den Nachfahren von Hinrichsen den Besitz von dessen Spitzweg-Zeichnung „Das Klavierspiel“ leugnete, bleibt an diesem Abend unerwähnt.

Der Münchner Autor redet sich in Fahrt. Sein Buch selbst bleibt sachlich und besticht durch viele Belege. Aber an diesem Abend sitzt er wütend zu Gericht, über die Bundesregierung, die von eigenen Versäumnissen ablenke, der Raubkunst in den öffentlichen Museen. Auch über den Bundespräsidenten erregt sich Remy: Dessen Dienstvilla in Dahlem wurde den jüdischen Vorbesitzern unter Wert von einem SS-Mann abgekauft. Das Bundespräsidialamt hat vor wenigen Tagen einen Dreistufenplan zur Aufklärung der Hintergründe vorgelegt: ein erweitertes Gutachten, eine Informationsbroschüre und eine Gedenkstele für das jüdische Ehepaar Heymann vor dem Haus. Aber Remy fordert die Rückgabe: „Ich brauche euer Empörungsgesülze nicht 70 Jahre nach dem Krieg“, schimpft er.

Wenn das so einfach wäre. Die Überlebende Maria Heymann hatte sich nach dem Krieg vergeblich um Rückgabe bemüht. Der Fall ist rechtlich abgeschlossen, es bleibt ein großes Unbehagen.

Remy konnte für sein Buch auf phänomenales Material zurückgreifen. Nach der Ausstrahlung seines Dokumentarfilms 2014 engagierte ihn Gurlitt, damit er parallel zur Taskforce Provenienzforschung betreibt. Mit seinem 12-köpfigen Team fing Remy an, die Geschäftsunterlagen des Vaters auszuwerten. Nach dem Tod Cornelius Gurlitts bot der Autor sein Wissen zunächst in Bern, dann in Berlin für 400 000 Euro an – ohne Erfolg.

Der Autor sieht die Taskforce-Vorsitzende wie ein "Mafiosi" an Gurlitts Krankenbett

Jetzt rächt sich, dass es damals zu keiner Einigung mit Remy kam. Auch diese Vorgeschichte erklärt jedenfalls Remys Zorn. Gerne hätte man bei der Berliner Diskussion eine Erwiderung der Attackierten gehört. Gegenüber dem Tagesspiegel erinnerte Monika Grütters nun an den „immensen nationalen und internationalen Erwartungsdruck zur Aufklärung der Herkunft dieser Kunstwerke“ nach den Sensationsmeldungen über einen angeblichen „Nazi-Schatz“. Aus der historischen Verantwortung Deutschlands und der moralischer Verpflichtung gegenüber den Opfern des NS-Regimes habe die Bundesregierung dann große Anstrengungen unternommen, die Provenienzen „transparent und eindeutig zu klären“. Auch die Ausstellungen könnten zur öffentlichen Transparenz beitragen.

Remy fordert nun einen Untersuchungsausschuss. Der solle auch die Rolle der Taskforce-Vorsitzenden Ingeborg Berggreen-Merkel klären, die am Krankenbett Gurlitts wie ein „Mafioso“ zunächst ein Drohszenario aufbaute, um ihm dann Schutz anzubieten, damit er seine Sammlung in eine Stiftung überführt.

Die Bonner Ausstellung wirft die Frage auf, wie es weitergeht. Die vom Raubkunst-Verdacht freigesprochenen Arbeiten gehen ans Kunstmuseum Bern, dem von Gurlitt bestimmten Erben. Die restlichen werden weiter beforscht, sie verbleiben in der Bundesrepublik. Das Kapitel Gurlitt lässt sich nicht mehr abschließen. Der Fall mahnt umso dringlicher an, die öffentlichen Sammlungen zu durchforsten.

Maurice-Philip Remy: Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal. Europa Verlag, München 2017. 564 S., 35 €.

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