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„Helke Sander: Aufräumen“ heißt der Dokumentarfilm von Claudia Richarz, in dem die Filmemacherin ihr Leben durchstöbert.

© Barnsteiner-Film/Claudia Richarz Film

Die Filmemacherin und Feministin Helke Sander: Von einer, die auszog und nicht locker ließ

Helke Sander ist eine Pionierin der deutschen Frauenbewegung und des feministischen Kinos, dank ihrer Unerschrockenheit und Zähigkeit. Claudia Richarz würdigt sie mit einem Porträtfilm.

„Ich bin mein eigenes Material“, sagt Helke Sander. Vielleicht ist es gerade diese zunächst befremdliche Distanz zur eigenen Person, die Sander zur Pionierin der deutschen Frauenbewegung und des feministischen Films werden ließ. Schon dem Begriff Feminismus begegnet sie mit Misstrauen. „Als Bürgerin bin ich Feministin, als Künstlerin mache ich jeden Quatsch mit“, meint sie lakonisch in Claudia Richarz’ Porträtfilm „Helke Sander: Aufräumen“.

Überhaupt macht sie keine großen Worte in eigener Sache, wenn sie vor laufender Kamera ihr Leben aufräumt. Sie stöbert in Bücherregalen, kramt DVDs hervor, unterzieht ihren Kleiderschrank einer kritischen Revision.

Ich bin mein eigenes Material: Mit nur 21 heiratete sie einen finnischen Schriftsteller und erlebte Anfang der Sixties in Finnland, dass Beruf und Familie, Frau-Sein und Regisseurin-Sein in einer aufgeschlossenen Gesellschaft gut miteinander vereinbar sind. Als blutjunge Mutter inszenierte sie dort Theaterstücke und war fürs Fernsehen tätig.

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Nach ihrer Rückkehr erlebte sie in Berlin das Gegenteil. Sie konnte es nicht fassen. Ein Erstaunen, das zum Motor ihrer Kreativität wurde. 1968 hielt sie ihre berühmte Tomatenrede beim SDS-Delegiertentreffen, löste eine Welle von Frauengruppen-Gründungen aus, gründete die Kinderladen-Bewegung, engagierte sich bei Geburtenkontrollen-Initiativen.

Und sie studierte an der DFFB, drehte Filme über den Zuständigkeitskampf für Kinder und Küche („Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers“, 1978) und den Sexismus linker Machos („Der subjektive Faktor“, 1972). Auch rief sie die Zeitschrift „Frauen und Film“ ins Leben und agierte 20 Jahre lang als Dozentin in Hamburg. Anfang der 90er Jahre befasste sie sich in ihrer umfassenden Dokumentarreportage „BeFreier und Befreite“ mit dem Tabuthema der Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Den Film „anzusehen, ist Pflicht“, sagte Ulrich Wickert in den „Tagesthemen“, Sanders Film löste heftige Debatten aus. Trotzdem ist die heute 87-jährige Helke Sander weit weniger bekannt als etwa Alice Schwarzer oder Ulrike Ottinger. Dabei wäre ihre Mischung aus Unerschrockenheit und Zähigkeit, gepaart mit einer gehörigen Portion Pragmatismus, ein gutes Rezept, um der noch immer allseits präsenten Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu begegnen, im Film wie im Leben.

Anfang der 1970er Jahre gehörte die Regisseurin Helke Sander zu den Gründerinnen der westdeutschen Frauenbewegung.
Anfang der 1970er Jahre gehörte die Regisseurin Helke Sander zu den Gründerinnen der westdeutschen Frauenbewegung.

© bpk / Abisag-Tuellmann

Wenn Archivaufnahmen zeigen, mit welchem Hohn etwa „taz“-Journalistenkollegen die Forderungen der Frauen quittierten, offenbart Richarz’ Film die traurige Aktualität des damals sogenannten Nebenwiderspruchs. Ähnlicher Spott wäre im heutigen Medienalltag zwar kaum noch denkbar, aber de facto hat sich in bald 60 Jahren Frauenbewegung wenig getan. Mangelnde Care-Arbeitsteilung, Gender-Pay-Gap, Gläserne Decke, MeToo, Übergriffigkeit: alles Themen, die schon Helke Sander und ihre Mitstreiterinnen umtrieben und die sie sich auch als Dokumentarfilmerin vornahm.

„Haben Sie Schwierigkeiten damit, dass Sie ein Mann sind?,“ fragte sie einen Koch und seine Lehrlinge Ende der Achtziger in ihrem Film „Die Deutschen und ihre Männer – Bericht aus Bonn“. Sie lässt sich nicht mit ausweichenden Antworten abspeisen, nennt stattdessen die Zahl der jährlich von Deutschen vergewaltigten Frauen, hakt beharrlich weiter nach. Genauso beharrlich reagiert sie heute, beim Gespräch mit dem Bestatter über ihre eigene Beerdigung. Sie will keinen Sarg, lieber Leichentücher oder einen Sack. Sie sei seine Kundin, er soll das mal klären.

Auch andere Kontinuitäten tun sich auf. Mit Weggefährtin Gesine Strempel hockt sie im Lockdown auf dem Tempelhofer Feld, und die beiden sprechen darüber, was ihr Aktivismus für ihre Söhne bedeutete. Die Kinder- und Erziehungsfrage, ungelöst.

„Auch ich wurde mal vergewaltigt“, sagt sie am Ende, ruhig, fast lapidar, am Grab ihrer Mutter auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof. Sie könne es schon sagen, fügt sie hinzu, es war einer vom Living Theatre, der inzwischen tot ist. Und dass manche psychische Gewalterfahrung schlimmer sei.

Von einer, die auszog und nicht locker ließ. Die Gelassenheit, die Sander noch ausstrahlt, wenn sie die Generation Genderstern vor Symbolpolitik warnt und deshalb Kritik erntet, ist bewundernswert. Über feministische Positionen lässt sich streiten, nicht nur zwischen den Generationen. Diese Nahaufnahme einer zu Unrecht bislang wenig gewürdigten Pionierin macht allerdings klar, dass die Verbesserung der realen Verhältnisse ohne tatkräftige Frauen wie Helke Sander in noch weiterer Ferne läge.

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