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Judith Malina 2001 bei einer Aufführung während der Oldenburger Kulturtage.

© picture-alliance / dpa/dpaweb

Zum Tod von Judith Malina: Theatermacherin Judith Malina gestorben

Die Grand Lady des US-Avantgarde-Theaters ist mit 89 Jahren gestorben. Mit ihrem Mann Julian Beck hatte Judith Malina 1950 in New York das legendäre Living Theatre gegründet.

In ihr brannten noch Feuer ganz anderer Zeiten. Judith Malina, die körperlich kleine, aber noch in älteren Jahren springlebendige Grand Lady des amerikanischen Avantgarde-Theaters, verkörperte gleichsam ein Stück Welttheatergeschichte. Als 1926 geborene Tochter eines Kieler Rabbiners kam sie bereits vor Anbruch der Naziherrschaft als Auswandererkind in die USA. Ab 1946 hat die junge Schauspielschülerin den legendären New Yorker Theatre Workshop des deutschen Emigranten Erwin Piscator besucht, und Judith Malina war schnell entflammt für die politische und poetische Aufbruchzeit im deutschen, im europäischen Theater vor 1933. Bei Piscator lernte sie auch ihren Mann und Partner Julian Beck kennen – beide gründeten 1951 das später weltberühmte Living Theatre.

Fast traditionell war Malinas Debüt als klassische Kassandra in der „Orestie“. Viel winziger und kühner jedoch der Start des Living als Kammerspiel in der eigenen New Yorker Wohnung. Dort zeigten Beck & Malina mit Gertrude Steins Wortmusik „Doctor Faustus Ligths the Lights“ oder Alfred Jarrys absurdem „Ubu Roi“ sofort, dass sie Lichtjahre entfernt waren vom vergleichsweise realistischen Broadway-Drama, das gerade Tennessee Williams und Arthur Miller eroberten.

Superrealistisch wirkte dagegen „The Brig“, 1963 das erste Skandalstück des mittlerweile zu einigem Ruhm gelangten Living Theatres. Es zeigte den gefängnisähnlichen Drill in der US-Army: zu Beginn des Vietnamkriegs ein anklagendes Gegenbild zum hedonistischen, humanistischen Lebensgefühl der Hippie- und Peace-Bewegung, deren Theaterflagschiff das Living wurde. Mit „The Brig“ begannen auch die behördlichen Verbote, die diversen Gefängnisaufenthalte von Beck und Malina und der Auszug der inzwischen personenreichen, zur Kunst- und auch Liebeskommune gewordenen Theatertruppe.

Die Halbnackshow "Paradise now" war 1968 eine Theater-Sensation

Das Living gastierte mehr und mehr in Europa (wurde jahrlang in Italien sesshaft), die transvestitisch grelle Interpretation von Genets „Zofen“ war künstlerisch ein Ereignis und die ekstatische Halbnacktshow „Paradise now“ eine alle bisherigen Theatergrenzen sprengende Sensation. Uraufgeführt 1968 beim Sommerfestival von Avignon und dann beispielsweise vor 3000 Zuschauern im Berliner Sportpalast gezeigt, ist das Paradiesspiel der sich verzückt umschlingenden Leiber zum Hohelied und Abgesang auch der 68er-Utopien geworden. Auf einer Körperpyramide, auf den Schultern des nur mit einem Lendenschurz bedeckten hageren Gurus Julian Beck thronte damals in Hot Pants und einem offenen Glitzerjäckcken mit ihrer roten Strubbelmähne: Judith Malina. Die Königin des Off-Off-Theaters.

Viel später, da war ihr Lebenspartner Julian Beck, mit dem sie eine offene, gleichwohl unverbrüchliche Ehe führte, schon an Krebs gestorben, da kam Judith Malina 2006 nochmals nach Berlin in die Akademie der Künste. Sie diskustierte mit Christoph Schlingensief und Matthias Lilienthal über Theater und Anarchie. Und war natürlich die anarchischste, utopischste, verrückteste von allen. Auch eine Wiederaufnahme des „Brig“-Stücks kam nach Berlin. Das war nur noch die Asche vom alten Feuer. Malinas eigene Glut zeigte zuletzt noch sehr schön die Dokumentation „Resist!“ der Berliner Dokumentarfilmer Karin Kasper und Dirk Szuszies. Jetzt ist Judith Malina mit fast 90 Jahren in den USA gestorben. 

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