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Der senegalesische Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr

© imago images/IP3press

Die Einsamkeit der Bücher: Mohamed Mbougar Sarrs Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“

Im Labyrinth der Unmenschlichkeit: 2021 erhielt der senegalesische Schriftsteller den Prix Goncourt. Jetzt ist sein Buch auch auf Deutsch erschienen.

Beglückend ist schon das Zitat, das der 1990 in Dakar geborene senegalesische Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr seinem Roman „Die geheimste Erinnerung des Menschen“ vorangestellt hat. Es stammt von dem chilenischen Schriftsteller Roberto Bolaño, aus dessen Buch „Die wilden Detektive“, und handelt von den Wegen der Literatur in Zeit und Raum, von der Kritik und den Lesern und von den vielen Toden, die ein Buch sterben kann: „Am Ende reist das Werk in absoluter Einsamkeit durch die unendlichen Weiten.“ 

Das Werk, das in Sarrs neuem, vergangenes Jahr mit dem Prix Goncourt-Preis ausgezeichneten Roman die Hauptrolle spielt, wurde geschrieben von einem gewissen T. C. Elimane, erschien 1938 unter dem Titel „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ und gilt als Kultbuch.

Am Ende reist das Werk in absoluter Einsamkeit durch die unendlichen Weiten.“ 

Roberto Bolaño

Diesen Roman liest wiederum Sarrs Hauptfigur, der junge, ebenfalls aus dem Senegal stammende Diégane, voller Begeisterung im Paris der Gegenwart. Natürlich auch, weil es so geheimnisumworben ist und er das letzte verbliebene Exemplar in die Hände bekommen hat. Wie sagt er es über den geheimnisumwitterten Autor: Elimane hatte (…) die drei stärksten Trümpfe ausgespielt, die man haben konnte: Zuerst hat er sich einen Namen mit geheimnisvollen Initialen zugelegt; dann hat er nur ein einziges Buch geschrieben; und zuletzt ist er spurlos verschwunden.“ 

Diégane, der selbst Schriftsteller werden möchte, macht sich wie ein Detektiv daran, dem Leben Elimanes auf die Spur zu kommen. Und er versucht herauszufinden, was es mit der Begeisterung damals und dem sich anschließenden Skandal auf sich hatte und wie die Kontroverse um diesen Roman sich solcherart auswuchs, dass Elimane des Plagiats verdächtig und überführt wurde: hier ein schwarzer Schriftsteller, den man schon als „schwarzen Rimbaud“ gefeiert hatte. Der sich dort aber, wie es ein Literaturprofessor herausfand, an den Klassikern der Weltliteratur vergriffen und diese in seinen Roman hereinkopiert hat. 

Diégane trifft Menschen, die Elimane gekannt haben, Mitglieder seiner Familie, er stöbert in Archiven. Und er erkennt, wieviel die Problematik dieses Romans und das Leben des Autors mit seiner eigenen Schriftstellergegenwart als schwarzer Autor in Paris zu tun hat. Es geht um das Verhältnis des einst kolonialen Frankreichs zum afrikanischen Kontinent, um den Umgang des Literaturbetriebs mit Autoren und Autorinnen aus den ehemaligen Kolonien, mal gefeiert, dann wieder nur geduldet, um den Rassismus im Literaturbetrieb, um Eurozentrismus und kulturelle Aneignung.

Aber auch um die Arroganz junger Autoren und Autorinnen gegenüber älteren Generationen: Vielleicht verbinde sie vor allem das „stille Eingeständnis“, urteilt Diégane einmal über seine Generation, „dass wir Afrikaner ein wenig verloren und unglücklich in Europa waren, auch wenn wir so taten, als seien wir überall zu Hause.“

Vorbild ist Yambo Ouologuems Roman „Das Gebot der Gewalt“

Wie gut Mohammed Mbougar Sarr in der Literatur zuhause ist, beweist er mit diesem kunstvoll arrangierten, auf mehreren Erzählebenen wandelnden, bisweilen vertrackt wirkenden Roman, der letztendlich die Geschichte von zwei Suchen ist: der nach T.C. Elimane. Und der von Elimane nach sich selbst.

Nicht zuletzt erinnert Sarr an ein reales Werk, das nun womöglich erneut der Einsamkeit entrissen wird: an „Das Gebot der Gewalt“, einen Roman des aus Mali stammenden Schriftstellers Yambo Ouologuem, der 1968 erschien, den Prix Renaudot gewann - und dann als Plagiat beschuldigt und verboten wurde. Unter anderem fanden sich darin Passagen aus Graham Greenes „Schlachtfeld des Lebens“. Erst 2003 wurde „Das Gebot der Gewalt“ wieder aufgelegt, seit 2019 gibt es in der Schweizer Elster Verlagsbuchhandlung auch eine deutsche Übersetzung. 

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