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Roger Norrington

© Imago

Deutsches Symphonie-Orchester: Achtung! Kein Trugschluss!

Sir Roger Norrington und das Deutsche Symphonie Orchester Berlin mit Werken von Mozart und Martinů in der Philharmonie.

Letzte Woche wunderte sich die New York Times darüber, wie es in Berlin möglich sei, in nur vier Monaten vier nagelneue große Opern aus der Taufe zu heben. Very tricky, ein normales Publikum für so etwas zu interessieren! Der Kollege sollte vielleicht auch mal einen Blick in die Berliner Konzertsäle werfen. Am Samstag gastierte Sir Roger Norrington in der Philharmonie, um gemeinsam mit dem Deutschen Symphonie Orchester eine Symphonie vorzustellen, die 1943 in Cleveland uraufgeführt worden war und bis heute nicht zum Repertoire gehört. Weder hier, noch anderswo.
Das Haus war rappelvoll, etwa zweitausend Zuhörer hatten sichtlich ihren Spaß und spendeten Applaus, am Ende gar in stehenden Ovationen. Was vielleicht nicht unbedingt nur mit der Kürze und der Tonalität dieser Rarität zu tun hatte, auch nicht mit ihrer resolut zelebrierten Spielfreudigkeit, der Durchsichtigkeit, dieser Farbenpracht. Gewiss, die zweite Symphonie von Bohuslav Martinů hat eine im besten Wortsinn leichtfüßige, fast neobarock organisierte Faktur, sie kommt dem Ohr entschieden entgegen. Doch sicher noch wichtiger für den Erfolg des Abends mögen die Vermittlungskünste des weisen, alten Narren mit dem Dirigentenstab gewesen sein.
Norrington, fünfundachtzig, ist immer noch der Alleinunterhalter unter den großen Originalklang-Dirigenten. Schon seit Jahren kommt er regelmäßig nach Berlin, um mit dem DSO zu arbeiten, er hat eine feste Fangemeinde hier, und er liebt es, mit seinem Publikum zu scherzen. Wird mal nicht geklatscht zwischen den Sätzen, guckt er sich enttäuscht um, selbst das Orchester muss lachen. Aber er zwinkert den Leuten auch zu, wenn im zauberhaft in Licht und Schatten getauchten Menuett der Linzer Symphonie C-Dur KV 425 kurz vor Schluss plötzlich nochmal eines der Moll-Einsprengsel repetiert wird: Achtung! Kein Trugschluss!

Zuletzt "Haffner", jetzt "Linzer"

Dieses besetzte, langfristig angelegte Martink-Projekt, aus dem hoffentlich einmal eine neue Gesamteinspielung wird, wurde von Norrington für die Live-Konzerte nämlich mit klein besetzten, historisch informierten Mozart-Symphonien verkuppelt. Das passt.
Voriges Jahr stand der ersten Symphonie Martinůs die „Haffner“-Symphonie gegenüber, diesmal heißt der Sparringpartner: „Linzer“. Gemeinsam ist beiden Stücken eine gewisse retrospektive Gelassenheit. Serenadenhaft die langsame Einleitung zum ersten Satz der C-Dur-Symphonie, locker werden Holzbläser zu Concertino-Grüppchen zusammengeschraubt, und sei es nur für ein paar Takte. Die Streicher spielen weitgehend ohne Vibrato, vor allem die Violinengruppen des DSO produzieren ein traumhaft nahtloses, weiches Dauer-Legato. Dabei dehnt sich das Tempo bis ins Behäbige – außer natürlich im Presto-Finalsatz.
Lust und Spielfreude, wie gesagt, prägte dann die zweite Konzerthälfte. Daran hat, was Bohuslav Martinů anbetrifft, auch wohl ein gewisser Eskapismus mitgewirkt. Es sei, hatte er erklärt, als er sich nach brutaler Kriegserfahrung im Exil wieder dem rein Symphonischen zuwandte, nicht Aufgabe der Musik, „Größe und Tragik“ der Zeitläufte zu spiegeln: „Wir brauchen, wie mir scheint, keinen professionellen Ausdruck für Martern und Qualen; eher sind uns geordnete Gedanken, ruhig ausgedrückt, vonnöten.“

Von Eleonore Büning

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