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Not in Ostafrika: Der Hunger und die Diplomatie

Der Schriftsteller Hans Christoph Buch beschreibt in seinem Kommentar, was der Westen für Afrika tun kann.

In deutschen Medien ist Afrika-Optimismus angesagt. Doch die These, der Kontinent befände sich auf gutem Weg, hält der Nachprüfung nicht stand. Vom despotischen Regime Mugabes bis zu den Bürgerkriegswirren in Elfenbeinküste sind Korruption und Brutalität fast die Regel. Der von Angela Merkel gepriesene Wirtschaftsboom Angolas und Nigerias mit Wachstumsraten bis zu acht Prozent kommt skrupellosen Konzernen und raffgierigen Eliten zugute, nicht aber dem Volk, für das Erdöl oder Diamanten ein Fluch und kein Segen sind – siehe das Nigerdelta, Sierra Leone oder Liberia.

Kein anderer Kontinent produziert mehr Flüchtlingselend, fast täglich werden Boat-People auf Lampedusa angeschwemmt, und nirgendwo sonst müssen so viele verfeindete Volksgruppen davon abgehalten werden, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen – von Friedenstruppen, die neuerdings aus Afrika kommen, aber noch ineffektiver sind als ihre Vorgänger, die Blauhelmsoldaten.

Und nun auch noch die schlimmste Dürreperiode seit Menschengedenken am Horn von Afrika! Dort hat es seit zwei Jahren nicht mehr geregnet, und die Viehherden sind der einzige Besitz der Nomaden im Dreiländereck Kenia, Somalia und Äthiopien, wo das Überleben auch ohne Naturkatastrophen schwierig ist. Der Streit um Wegerechte, Wasser- und Weidegründe hat eine unselige Tradition in der womöglich gefährlichsten Krisenregion der Welt, seit Somalia nicht mal mehr auf dem Papier existiert.

Schon Somalias Diktator Siad Barre, der im Kalten Krieg die Front wechselte, führte einen Krieg gegen Äthiopien, in dem es nur Verlierer gab. Und die westliche Intervention zur Bekämpfung der daraus resultierenden Hungersnot führte zu einem blutigen Fiasko, als Terrormilizen getötete GI’s im Triumph durch Mogadischu schleiften. Damals beschloss Bill Clinton, keine US-Truppen mehr nach Afrika zu entsenden, und Kofi Annan zog seine Blauhelme während des Völkermords aus Ruanda zurück – mit dem bekannten Resultat.

Das Wegschauen und Wegducken stärkte genau die Kräfte, deren Machtzuwachs in Mogadischu es zu verhindern galt: kriminelle Familienclans, die sich um lukrative Schmuggelrouten und die Ausbeute der Piraterie stritten, die durch die Überfischung der Küstengewässer immer mehr Zulauf bekommt. Nicht die militärische Einmischung Äthiopiens, sondern die Ausbreitung des Islamismus füllte das Machtvakuum und beendete Chaos und Anarchie. Kein Wunder, dass die Islamisten sich offen zu Al Qaida bekennen und Ungläubigen, sprich humanitären Helfern, den Zugang zu den Hungernden verbieten. Vorher hatten sie sich damit begnügt, Lkw-Konvois mit Hilfsgütern zu konfiszieren.

Was tun? Eine westliche Militärintervention mit dem Ziel, das Horn von Afrika von Terroristen und Piraten zu säubern, verbietet sich von selbst – Irak ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Genauso unrealistisch wäre es, sich herauszuhalten, schon die täglichen Bilder von Flüchtlingstrecks mit verhungernden Babys durchkreuzen dies. Die Kriegsmaschinerie somalischer Warlords mit Bestechungsgeldern und Hilfsgütern zu schmieren, wäre mehr als ein Verbrechen, nämlich ein Fehler – nach dem berühmten Wort von Talleyrand.

Hier hilft nur die Diplomatie: der Versuch, die Reste der somalischen Zivilgesellschaft, Basarhändler, Frauen, Mullahs und Clanchefs an einen Tisch zu bringen mit Geberstaaten, Hilfsdiensten und den Regierungen Kenias und Äthiopiens. Er hat nur Erfolg, wenn es gelingt, eine Sicherheitszone zu schaffen, in der Hilfsgüter gelagert, geschützt und an die Bedürftigen verteilt werden können. Ganz ohne militärische Komponente geht es nicht.

Hans Christoph Buch lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien sein Romanessay „Apokalypse Afrika oder Schiffbruch mit Zuschauern“ (Eichborn, 2011).

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