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Das Titelbild von „Demon Days“.

© Panini

Peach Momokos „Demon Days“: Mangafizierte Metawesen

Für den Marvel-Verlag waren Manga Chance wie Risiko. Die Japanerin Peach Momoko schreibt mit der Miniserie „Demon Days“ diese Geschichte jetzt fort.        

Die ironischste Volte in dieser, nun, nennen wir es Gemangalage, ist das Auftauchen von C. B. Cebulski, ausgewiesen in den Credits als Chefredakteur für Peach Momokos „Demon Days“ (Panini, 2022, 172 S., 16 €).

Dieser verfasste in den 2000er Jahren unter dem Pseudonym Akira Yoshida einige mehr oder weniger japanisch konnotierte Titel für Marvel.

Darunter war beispielsweise „Wolverine: Soultaker“, zusammen mit Shin Nagasawa – zu der Zeit waren Wolverine und dessen Geliebte Mariko Yashida längst von Chris Claremont und Frank Miller folkloristisch eingekleidet, wie sonst nur westliche Models durch Issey Miyake oder Yōji Yamamoto – bedauerlicherweise bedienten Claremont und Miller im Gegensatz zu den prominenten Modedesignern aber eher arg klischeebehaftete und westliche Vorstellungen von „fernöstlicher Exotik“.

Auf die Idee, das vielleicht gleich einen Ortskundigeren erledigen zu lassen, wie der Japaner Tsutomu Nihei dies in „Wolverine: Snikt!“ für den rauffreudigen und mit Adamantium-Klingen bewehrten Vielfraß im Rahmen des auf Manga-Leser*innen zielenden Tsunami-Imprints besorgte, kam Marvel aber dankenswerterweise ebenfalls.

Ein Gänseblümchen wird entblättert

Später, nach Aufdeckung des Pseudonyms Cebulskis durch Comic-Kritiker und -Herausgeber David Brothers und nachfolgendem Tadel seitens Kritikerkollegin Kelly Kanayama bezüglich Yellowfacing und Klischeeschleuderei, gab sich dieser zwar halb zerknirscht reumütig, rechtfertigte aber sein Verhalten als seiner damaligen jugendlichen Unreife und energischem Karrierestreben geschuldet.

Nicht der Elefant, aber der Wal im Raum - Galactus in der Mangaverse-Version von Ben Dunn.

© Panini/Marvel

Noch kulturübergreifender, oder sollte gar in diesem Fall die Zuschreibung „kulturübergriffiger“ verwandt werden, ging Marvel bei den Titeln des Marvel-Mangaverse vor; übrigens insgesamt und völlig von C. B. Cebulski, allerdings unter dessen richtigem Namen betreut und ebenfalls in den 2000er Jahren veröffentlicht.

Und damit nicht genug: Die Zusammenarbeit Marvels mit Bandai/Namco für „Tech-On-Avengers“, just diesen Sommer in der deutschen „Avengers“-Heftreihe veröffentlicht, ist fesch anzusehen und mag die eine oder andere Gamerin oder dem Spielzeug Entwachsenen eventuell zum Überlaufen auf Manga- ~äh~ Comic-Seite(n) bewegen.

Red-Skull-Regime braucht Scream Supreme - nämlich gegen die Tech-On-Avengers von Jim Zub und Jeffrey Cruz.

© Panini/Marvel

Ebenso wenig vermochte Stan Lee es in den 2000er Jahren zu unterlassen, als Ideenlieferant für den Manga „Ultimo“ von Hiroyuki Takei in Erscheinung zu treten. Eventuell aber ist „Spider-Man liebt Mary Jane“ von unter anderem Takeshi Miyazawa und im Original 2006 erschienen, dann doch die gefühlvollere Wahl, denn die Invisiernahme von Leserinnen, nebst einem jüngeren Publikum, war das eigentliche Ziel der Mission Manga.

Was hat all das nun, abgesehen von der redaktionellen Betreuung durch Cebulski, mit den „Demon Days“ der gebürtigen Japanerin Peach Momoko zu tun?

Nun, Momoko adaptiert, oder besser: integriert, in “Demon Days” Sagen ihrer Heimat Japan unter Einbindung bis zur Unkenntlichkeit verfremdeter Marvel-Figuren in deren Universum – oder was sie von ihnen übrig lässt. Daher liegen Assoziationen an das Marvel-Mangaverse nicht allzu fern, jedoch geht die Autorin eindeutig radikaler vor.

Ein Haus voll Symbiose, schauet - Venom, der Mietnomade in einer Szene aus „Demon Days“.

© Panini / Marvel

Denn Momoko pflegt im Epos um zwei gegen- und umeinander kämpfende Schwestern zuvorderst nicht nur ihren innovativen Erzählstil, sondern vor allem ihren unbedingten Willen zur Abstraktion.

War Galaktus, eigentlich stämmiger Bub und Weltenverdauer, im Mangaverse noch zum Kometen – immerhin in Walgestalt – umfunktioniert, was naheliegend wie auch erwartbar war, bedient sich Momoko bei der Gestalttherapie für Venom einer architektonischen Metapher und stellt diesen einen Wirt benötigenden Alien als Schlange in einem Haus dar. Das gibt eine beeindruckende visuelle Metapher sowie ein veritables Fundament als Ausgangspunkt ihrer Geschichte ab, kann aber genauso als Kommentar auf die unrühmliche Geschichte des Yellowfacings aus dem Haus der Ideen, wie sich das Verlagshaus gern selbst bewirbt, gelesen werden.

Momokocktail

Weiteres Marvel-Stammpersonal taucht auf, bei einigen muss allerdings mehrmals zurückgeblättert werden, um herauszufinden, ob die Figur tatsächlich jene ist, welche frau entdeckt zu haben glaubt – bei einer der mittlerweile Trillionen von Spider-Man-Varianten hat es tatsächlich etwas gebraucht.

Aber allein die Idee, Thor und Storm als willfährige Erfüllungsgehilfen vermeintlich dunkler Mächte zusammenzuspannen, macht schon aus meteorologischer Sicht Sinn.

Holzschnitte statt Klingenhiebe - Momoko verfremdet Psylocke und Wolverine.

© Marvel / Panini

Diese erfüllen ihre Aufträge für die Schwester Mariko Yashidas, Hauptfigur und eingangs erwähnter Love-Interest von Wolverine, aber nur, um eine uneingelöste Pflicht zu erfüllen.

Derartige moralische Charakterverrückungen gestalten den Plot spannend, weil hier Erwartungshaltungen wie luftelektrische Entladungen krachend aneinandergeraten, um noch einen Moment im Wortschatz des Wetterberichts zu verweilen.

Vielleicht aber ist die Erhebung wie Ermächtigung eines weiblichen, nicht-weißen Support-Charakters ebenso Seitenhieb auf Claremonts und Millers unsägliche Wolverine-Saga von 1982, in der Yashida als Motivationsgenerator für den Helden dienend die Zwangsverheiratung drohte.

Gestern war heute schon morgen - Momoko wirbelt durch Zeiten und Schauplätze wie ein Tsunami.

© Marvel / Panini

Denn, so räumt es Thomas Witzler im Vorwort der deutschen Ausgabe ein; „Doch mit Logans großer Liebe aus Japan hat diese Version so gut wie nichts gemein …“ Nun ja, Logan, das ist Wolverines eigentlicher Name, heißt hier zudem der Wolf, der die Kämpferin Psylocke gegen das Haus Venom begleitet.

Hinzu kommt Momokos Gespür für Bildkompositionen sowie in internationalen Bildsprachen firm zu sein. Beispielsweise der europäischen, und sich damit in der Tradition von derlei Stilistik beeinflusster Mangaka wie Jirō Taniguchi, Atsushi Kaneko, Erica Sakurazawa oder Kiriko Nananan verortend, aber auch die Verquickung mit Künstlern wie dem Studio-Ghibli-Mitbegründer Hayao Miyazaki nicht scheuend, nebst Rückgriffen auf Motive, die der traditionellen japanischen Holzschnittkunst entstammen.

Poesie als Lebensaft bringt Blutstropfen wie Gedichtzeilen.

© Panini / Marvel

Weiterhin nahm Momoko an Ausstellungen der NSK (Neue Slowenische Kunst) teil; einer Künstler*innengruppierung, deren prominenteste Vertreter das Musikkollektiv Laibach sein dürfte, welche im Rahmen ihrer sich am Totalitarismus abarbeitenden Mission/Karriere inzwischen als vermutlich einzige Band aus dem europäischen Kulturraum in Nord-Korea auftrat.

Das Endergebnis der den unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzten Kunst Momokos ist dann ähnlich vielschichtig: realistisch und märchenhaft, poetisch wie blutig, glasklar sowie verrätselt.

Vor allem aber stellt es ein erfreulich unaufgesetztes Plädoyer für Toleranz dar, was in seiner sich lediglich aus der Kunst ergebenden Folgerichtigkeit leider eher selten geworden ist und zudem durch die verschiedenen Einflüsse in bildsprachlichem Esperanto unterstrichen wird.

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