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Eine Szene aus „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“.

© Eine Szene aus „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“ / Reprodukt

Monster, Minecraft, Micky Maus: Der zweite große Kindercomics-Nachwuchstest

Normalerweise rezensiert sie Mangas. Jetzt hat unsere Autorin zum zweiten Mal einen Stapel Kindercomics durchgearbeitet — zusammen mit ihrem zehnjährigen Sohn

Von Sabine Scholz

Aus der Kiste komme ich so schnell nicht wieder raus. Gemeint ist nicht etwa die Kindercomic-Serie von Patrick Wirbeleit und Zeichner Uwe Heidschötter sondern der Lesetest mit meinem inzwischen zehnjährigen Sohn, der mir seit geraumer Zeit energisch eine erneute Mitarbeit bei der Bewertung aktueller Kindercomics nahelegt.

Besonders wichtig war dem Nachwuchsrezensenten diesmal die Mitsprache bei der Vorauswahl, denn mittlerweile hatte er sich in der örtlichen Bibliothek mit eigenem Sprechblasenstoff eingedeckt, darunter Serien wie den Comedy-Klassiker „Clever & Smart“ von Francisco Ibáñez, „Amulett“ von Kazu Kibuhishi und „Arazhul“ vom gleichnamigen YouTuber sowie den ComicDer Golemkönig“ des Webvideoproduzenten Paluten zu dessen umfangreichem „Minecraft“-YouTube-Projekt „Freedom“. Auf seiner Liste fanden sich also neben dem „Lustigen Taschenbuch“ die aktuellen Fortsetzungen zu diesen Titeln wie das bei ihm regelrechte Lachanfälle auslösendeClever und Smart: Die nächste Nummer ohne Netz“ (Carlsen Comics, 48 S., 10 €) oder das sich als Roman entpuppende „Freedom: Reise zum Mittelschlund der Erde“ (Community Editions, 220 S., 15 €).

Aber auch der nächste Teil zu einer Comic-Serie, die wir bereits im ersten Test mit viel Freude gelesen haben und deren Monster dem jungen Mann „keine Angst gemacht haben“, weil sie „immer so schön vor den Menschen erschrecken“, war mit dabei. In „Das geheime Netz“ (Reprodukt, 72 S., 18 €), dem mittlerweile dritten Band der Serie „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“, wird die Geschichte rund um die exzentrische Monstermediatorin und ihren Gehilfen Charles fortgesetzt.

Das Titelbild von „Das geheime Netz“ aus der Reihe „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“.

© Reprodukt

Diesmal wird es gar monumental, denn der amerikanische Zeichner Drew Weing nahm uns mit nach Echo City, der geheimen unterirdischen Metropole der Monster. Neben den „coolen Monsterbeschreibungen“ begeistert meinen Sohn bei der Reihe auch, dass „die Tageszeiten beachtet werden“ und die Bilder somit „mal heller und mal dunkler“ sind. Auch dass die Story „immer weitergeht“ und „die Welt erweitert wird“ nimmt ihn für die Serie ein.

Das Titelbild des Arazhul-Bands „Wie ich in der Lucky-Blocks-Dimension auf Geschenksuche ging“.

© Community Editions

Beim aktuellen Arazhul-Band Wie ich in der Lucky-Blocks-Dimension auf Geschenksuche ging“ (Community Editions, 96 S., 16,90 €) fiel das Urteil schon gemischter aus. Ich muss zugeben, dass ich kein großer Fan solcherlei Gaming-Comics bin, gleichzeitig ist meine Generation auch definitiv nicht die Zielgruppe. Diese saß beim Test begeistert neben mir und las mir sogleich freiwillig als Erstes von der nicht ganz so einfachen Suche Arazhuls nach einem passenden Geschenk für Kumpel Glubbux vor.

Eine Doppelseite aus „Wie ich in der Lucky-Blocks-Dimension auf Geschenksuche ging“.

© Community Editions

Während ich mich mühte, ohne Vorwissen aus den vorangegangenen Bänden Durchblick zu gewinnen, amüsierte sich der Junior über die für mich recht vorhersehbare Handlung. Er möge die Reihe, „denn es gibt immer Stellen, die überraschend sind.“ Zur Grafik sagte er hingegen nur so viel: „Die Bilder sind eben Minecraft.“ Dem habe ich nicht viel mehr hinzuzufügen.

Nur eines noch: In jeder außerschulischen Leseförderstunde im Rahmen von AGs und Ähnlichem, die ich bisher betreut habe, werden mir diese Comics quasi aus den Händen gerissen. Die Kinder lieben sie und damit lesen sie sie auch. Und das nicht nur einmal. Die Bände werden mehrmals angeschaut, abgemalt und die besten Stellen einander durch den Raum sogar gegenseitig laut vorgelesen. Unabhängig davon, ob mir die Aufmachung oder gar die Handlung gefällt, kann ich sie also dringend für Lesemuffel empfehlen.

Sehr viel mehr Feedback erhielt ich ausgerechnet für einen Band, bei dem ich gar nicht damit gerechnet hatte: „Teen Titans Go! Ab ins Zeltlager“ (Panini Kids, 148 S., 12,99 €) ist ein Titel aus dem DC-Universum. Mein Sohn kennt weder die originalen DC-Helden besonders gut, noch hat er die zugrundeliegenden Zeichentrickserien gesehen. Ungeachtet dessen war er von dem kunterbunten, aus seiner Sicht „superlustigen“ Kindercomic, in dem das Team um Robin und Starfire für sechs Wochen in ein höllisches Sommerferienlager reist, absolut angetan.

Das Titelbild von „Teen Titans Go! Ab ins Zeltlager“.

© Panini Kids

In Camp Apokolips ist der Name Programm. Doch die chaotischen Nachwuchshelden mischen selbst das gefährlichste Reiseziel auf. Beeindruckt hat den Testleser vor allem der Zeichnerwechsel, denn die Story von Sholly Fish wurde nicht nur von Zeichner Marcello DiChiara in Bildern festgehalten. Jeden „Brief“, den einer der Sommerferienlagerteilnehmer nach Hause schreibt, hat ein anderer Künstler oder eine andere Künstlerin gestaltet. Das „wirkte dann so, als hätte jeder anders geschrieben“.

Zum Stil hatte er aber noch mehr zu sagen: Neben den „sehr intensiven Grund- und Mischfarben“ erwähnte er auch die Gesichter, „die wie Smileys aussehen“, und allgemein den „unrealistischen Stil“ und die „einfachen Formen“ und während er noch aus dem Kopf unzählige der mannigfaltigen Slapstickszenen grinsend und giggelnd nacherzählte, bemerkte er zum Schluss sogar selbst: „Darüber konnte ich viel mehr erzählen.“

Das Titelbild von „Micky Maus und die tausend Karlos“.

© Egmont Comic Collection

Statt des Lustigen Taschenbuchs haben wir uns danach „Micky Maus und die tausend Karlos“ (Egmont Comic Collection, 80 S., 29,90 €) von Thierry Martin und Jean-Luc Cornette aus der edlen Hommage-Reihe näher angeschaut. Die „wuseligen“ Zeichnungen haben meinem Sohn nicht so gut gefallen wie die typischen Entenhausen-Geschichten. Das Abenteuer selbst fand er letztlich „ganz lustig“, obwohl er den Ducks nach eigener Aussage weit mehr zugeneigt ist als den Mouses. Insgesamt sprechen die luxuriösen Hardcover-Ausgaben aber mehr die Sammler als das ursprüngliche Zielpublikum der Taschenbücher an.

Das Titelbild von „Trip mit Tropf“.

© Kibitz

Ein Favorit unter den neuen Comics war die trotz der Altersempfehlung ab zwölf Jahren von mir ausgewählte Roadtrip-Wohlfühllektüre „Trip mit Tropf“ (Kibitz, 192 S., 20 €), die auch meine werdende Zweitklässlerin interessiert beäugte. Ob es an den fisseligen Figuren lag, die man sofort ins Herz schließt, oder an der reizenden Story über einen Wolf, der eine undurchschaubare Beziehung zu seinem Lebensretter, einem schwer kranken Kaninchen aufbaut? Der große Testleser befand die Geschichte jedenfalls als „fantasievoll, denn in der Realität ist es ja nicht so, dass der Wolf dem Nager hilft. Genial auch, dass der Wolf so viele Dinge wie Autofahren konnte.“ Wir alle haben viel gelacht.

Das Titelbild von „Herr Elefant & Frau Grau gehen in die große Stadt“.

© Kibitz

Wie schon bei anderen Titeln aus dem Kibitz-Verlag wie „Herr Elefant & Frau Grau gehen in die große Stadt“ (Kibitz, 64 S., 14 €) von Martin Baltscheit und Max Fiedler, das wir einige Zeit zuvor in Familie gelesen hatten, waren Gags für alle Altersgruppen vertreten. Mit welcher Sensibilität die Autorin mit dem Thema Krankheit umgeht, zeigte sich daran, dass die Leiden des Kaninchens von den Kindern ohne Nachfrage akzeptiert wurden. Für beide war die Bedrohung durch den Jäger, der den beiden Protagonisten leidenschaftlich hinterhersetzt, sehr viel greifbarer als das nicht näher benannte Gebrechen. Sie hatten großes Vertrauen darin, dass das Kaninchen nach der medikamentösen Therapie wieder ganz das Alte sein würde, während die Nebenwirkungen und der Verlauf erwachsenen Lesenden ein deutlich mulmigeres Gefühl gibt. Mit jüngeren Kindern liest man „Trip mit Tropf“ am besten gemeinsam.

Das Titelbild von „Smile“.

© Loewe Graphix

Für gemeinsame Vorleserunden eignen sich auch die beiden von eigenen Erfahrungen inspirierten Comicbände Smile“ von Raina Telgemeier undEl Taubinio“ von Cece Bell (Loewe Graphix, 224 und 248 S., je 15 €). „Smile“, eine wahre, autobiografische Geschichte voll schwarzem Humor über ein Mädchen, das durch einen Unfall ihre Schneidezähne verliert und danach eine wahre Arzt- und Zahnspangenodyssee durchleben muss, hat dem Großen sogar „ein bisschen Angst vor der eigenen Spange“ gemacht und ließ ihn aufrichtig „mitfühlen“.

Eine Seite aus „Smile“.

© Loewe Graphix

„El Taubinio“ wiederum ist das Superhelden-Alter-Ego von Cece, einem Mädchen, das durch eine Krankheit sein Gehör einbüßt und fortan mit ihrem Schicksal hadert. Die grundehrliche Bildergeschichte war für den Zehnjährigen ebenso wie für die Siebenjährige, die sich zunehmend häufiger in unseren Nachwuchstest schmuggelte, ein Pageturner. Mit „entspannenden Farben“ imponierten Ceces Fantasien dem Zuhörer, der selbst durchaus „auch manchmal solche Fantasien“ hat.

Das Titelbild von „El Taubinio“.

© Loewe Graphix

Nach den Zeichnungen gefragt, urteilte Sohnemann allerdings vernichtend mit „unreal gemalt wie Teen Titans, aber nicht so gut“, während er Smile eine gelungene Sprechblasenplatzierung attestiert. Ihm war aufgefallen, dass die „Sprechblasen sich richtig den Bildern anpassen, richtig darin eingebaut sind“. Abschließend überraschte er mich noch mit der Aussage, er finde „Geschichten aus dem echten Leben immer am besten, weil man sich das viel besser vorstellen kann und es eben das echte Leben ist.“

Zwei Titel trauten wir uns aufgrund ihrer imposanten großformatigen Hardcover-Aufmachung erst zum Schluss zu. In beiden Fällen waren die Zweifel unbegründet und die inzwischen durchgängig zu zweit zuhörenden Kinder von Anfang bis Ende gefesselt. Die Klassiker-Adaption 20.000 Meilen unter dem Meer“ (Carlsen Comics, 256 S., 26 €) von Thilo Krapp frei nach Jules Verne zeigte meinem Sohn, der den Originalroman vor einiger Zeit gelesen hat, „wie der Zeichner es sich vorgestellt hat.“

Das Titelbild von Thilo Krapps Adaption von „20.000 Meilen unter dem Meer“.

© Carlsen Comics

Das fand er „interessant“, da er „ein Buch ohne Bilder“ gelesen hatte. „Manche Stellen im Comic waren ganz anders“, woran er sich trotzdem nicht störte. Und während der Zehnjährige die Idee hinter der Farbgestaltung nach der damaligen Mode akzeptierte, wirkte die Auswahl auf die Jüngere „manchmal etwas farblos“, während die Geschichte „gut erzählt und ganz schön aufregend“ war.

Ein Klassiker anderer Art ist der erste Band der Gesamtausgabe zu „Benni Bärenstark“ (toonfish, 224 S., 39.95 €), bei dem die interessante und faktenreiche Einleitung des französischen Comicjournalisten Patrick Gaumer links liegen gelassen wurde und wir direkt mit der ersten Geschichte „Die roten Taxis“ starteten. Obwohl Peyos Geschichten bereits über sechzig Jahre auf dem Buckel haben, finden meine Kinder sie grandios. Sie amüsieren sich über Bennis „lustige Missgeschicke“, sie bewundern seine Fähigkeiten und die Art, wie sie gezeichnet wurden. Ihnen sticht das auffällige Mützendesign ebenso ins Auge wie die Rauchwolken, die der Junge aufwirbelt, wenn er losflitzt.

Das Titelbild von „Benni Bärenstark“.

© toonfish

Meiner Tochter und meinem Sohn gefallen die Liebe zum Detail, die „Feinheiten, die vielen kleinen Sachen“ und dass die Geräusche durch das Design der Spezialeffekte noch lebendiger werden. Sie bemerkten, dass Geschwindigkeit auch durch gleichzeitig gezeichnete Nachbilder ausgedrückt werden kann. So sieht frankobelgische Zeitlosigkeit aus, die Begeisterung für das Medium Comic und das Selberzeichnen weckt.

Eine Szene aus „Der Zeitzauber“, dem neuen Band der Reihe „Haus Nr. 8“.

© Kibitz

Unser Ferienlesemarathon hat uns viele schöne Stunden beschert. Wir haben mit Zaubernachwuchs Tim in der aus Sicht meines Sohnes „spannenden“ Fortsetzung „Der Zeitzauber“ der Reihe „Haus Nr. 8“ von Patrick Wirbeleit und Sascha Wüstefeld (Kibitz, 96 S., 15 €) miterlebt, wie der Held „mutiger geworden ist und sich sehr viel mehr als sonst zugetraut hat.“ Wir haben den Hybrid aus Comic und Kinderbuch „Kaya & Flo: Rambazamba im Kaufhaus“ (Kibitz, 48 S., 14 €) gelesen, dessen nicht ganz so subtile Hinweise auf Werbung und Einkaufsverhalten sogar den Kindern auffiel und überraschend einen witzigen Redeanlass zum Thema Konsum lieferte.

Wir sind mit wenig Marvel-Vorwissen mit dem „mutigen und einfallsreichen“ Baby Groot inIch bin Groot: Das vergessene Tor“ (Panini Kids, 116 S., 12 €) erstmals ein wenig tiefer ins „ein bisschen gruselige“ Marvel-Universum eingetaucht. Und haben in Mawils amüsanten Bilderbuchcomic Papa macht alles falsch“ (Reprodukt, 32 S., 10 €) reingeschaut, der ein Kind und dessen Vater für die Dauer eines gesamten Tages die Rollen tauschen lässt, wobei „das Kind ziemlich entspannt geblieben ist“, wie mein Sohn attestiert.

Entspannung und vielfältige Leseanlässe sind in den neuen und zunehmend experimentierfreudigeren Kindercomics also mehr als genug zu finden. Sie wollen nur entdeckt werden! Und wer jetzt bei einigen der oben genannten Preise schlucken musste, dem sei gesagt: Jeder Euro ist gut in die Lesefreude (und vielleicht zusätzlich in Zukunft sogar Zeichenfreude) investiert und den ein oder anderen Band haben vielleicht sogar schon die Bibliotheken im Programm.

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