zum Hauptinhalt
Große Befürchtungen: Eine Szene aus „Anna“.

© Edition Moderne

Kunst-Comic „Anna“: Aus der Vogelperspektive

Mia Oberländer erzählt in ihrem Comic „Anna“ mit besonderen grafischen Mitteln von großen Frauen. Inspiriert dazu hat sie die eigene Familiengeschichte.

In Bad Hohenheim weiß jeder: Die Berge sollten groß sein… die Menschen aber nicht! Und Frauen schon einmal gar nicht. Nun sprengt Anna 2 unglücklicherweise schon als Baby das übliche Format. Beim Strampeln im Kinderwagen überragt ihr in die Luft gerecktes Bein die Mutter Anna 1, auf dem Dreirad reichen ihr die Knie bis an die Ohren.

Eine weitere Szene aus „Anna“.
Eine weitere Szene aus „Anna“.

© Edition Moderne

Anna 3, die Tochter beziehungsweise Enkelin, weiß später zumindest Vorteile aus ihrem großen Wuchs zu ziehen – etwa den Zutritt zur Disco, ohne den Ausweis vorzeigen zu müssen.

Mia Oberländer behandelt in ihrem Comic „Anna“ (Edition Moderne, 220 S., 25 Euro) anhand dreier Generationen Frauen das Großsein als Zeichen für Anderssein und als Ursache für Ausgrenzung.

Die bei Anke Feuchtenberger ausgebildete Wahl-Hamburgerin stammt aus Ulm – einer Stadt, die immerhin den höchsten Kirchturm der Welt vorzuweisen hat. Inspiriert ist Oberländers grafischer Essay, wie sie es nennt, allerdings nicht vom Ulmer Münster, sondern von ihrer Familiengeschichte, in der hochgewachsene Frauen eine Rolle spielen.

Die drei Annas zieren reihum den Umschlag des schön gestalteten Comics: Auf dem Buchrücken steht etwas ungelenk mit hochgezogenen Schultern, leicht gekrümmtem Rücken und überlang aus einem roten Minirock hervorragenden Beinen die blonde Anna 3, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird.

Überlange Gliedmaßen und groteske Verrenkungen

Auf dem Titel marschiert Anna 2 mit schwarzen Haaren und entschlossenem Blick in grünem Pullover zwischen den in die Länge gezogenen Großbuchstaben ihres Vornamens hindurch, die wie spitze Berggipfel bis an den oberen Rand des Covers ragen. Anna 1 schließlich, deren Proportionen unter einem schlichten braunen Kleid ausgewogen wirken, steht mit ernstem Blick zwischen den gleichen Buchstaben auf der Rückseite des Umschlags.

Das Titelbild von „Anna“.
Das Titelbild von „Anna“.

© Edition Moderne

Überhaupt fällt die Grafik in diesem Comic sehr ins Auge. Geradezu erbarmungslos sind mit kräftigem schwarzen Strich überlange Gliedmaßen und groteske Verrenkungen gezeichnet, kräftige Farbflächen stoßen, von strengen Konturen getrennt, hart aneinander.

[„Anna“ ist kürzlich von 30 deutschsprachigen Kritikerinnen und Kritikern zu einem der zehn besten Comics des Quartals gewählt worden. Mehr dazu hier.]

Die Worte der Erzählung sind mal in leicht geneigten, schlanken Großbuchstaben gesetzt, mal in altmodisch anmutender Schreibschrift auf Linien wie in alten Schulheften.

Alle drei Annas haben ihr Päckchen zu tragen: die erste – eine im Dorf beliebte, schöne Frau – den „Makel“ einer Tochter von übergroßem Wuchs; die zweite die Erfahrung, wegen ihrer Körpergröße selbst von der Mutter abgelehnt zu werden; und die dritte bekommt diese Erfahrung sozusagen vererbt und hadert damit– emanzipiert sich aber am Ende erfolgreich.

Die blonde Anna 3 angelt sich nämlich einen ebenfalls großen Bademeister und erklimmt mit ihm den Gipfel eines Berges. Der Blick von oben verschafft ihr die Vogelperspektive, und sie sieht die Welt und das Großsein mit anderen Augen.

Barbara Buchholz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false