Gratis-Comic-Tag 2020: Welche Titel überraschen, welche enttäuschen
Am 5. September ist wieder Gratis-Comic-Tag. Wir haben uns die diesjährigen Hefte schonmal angeschaut
Eigentlich sollten die Geschenke am 9. Mai verteilt werden. Für diesen Tag war der diesjährige Gratis-Comic-Tag, der hierzulande 2010 nach US-Vorbild eingeführt worden war, geplant. Hunderte Buch- und Comicläden sowie immer mehr Bibliotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz verteilen dann speziell für das Ereignis produzierte Hefte von 20 deutschen Verlagen.
Doch dann kam Corona ... Nun findet der elfte Gratis-Comic-Tag an diesem Samstag, dem 5. September, statt. Manche Händler weiten das Ereignis auch auf zwei Tage aus, andere halten es am Wochenende drauf ab - hier gibt es eine Übersicht über besondere Aktionen einzelner Händler.
Nach Angaben der Veranstalter gibt es diesmal 650 Standorte - 200 mehr als noch im Vorjahr und mehr als viermal so viele wie vor zehn Jahren zum ersten Gratis-Comic-Tag.
34 Hefte gibt es in diesem Jahr zur Auswahl, die mit einer Auflage von 700.000 Exemplaren unter das Publikum gebracht werden. Hier gibt es Informationen zu allen Titeln und den teilnehmenden Händlern und Bibliotheken.
Wir stellen zehn Titel aus diesem Jahr vor, die uns positiv überrascht oder enttäuscht haben.
ÜBERRASCHUNGEN
Serpieri Collection Western
Eingestaubt, totgeritten, abgehalftert: Es steht nicht zum Besten um das Image des Western. Wie zeitlos gut das Genre jedoch sein kann, zeigt Paolo Serpieri in seiner auch schon mehrere Jahrzehnte alten Kurzgeschichte „Der Bote“, einer bitterbösen Tragödie in kratzigen, meisterhaft naturalistischen Schwarz-Weiß-Bildern, die von vergeblicher Liebe, Schmerz und schlussendlich sinnlosem Heldenmut eines Reiters des Pony-Express erzählt. Sophokles und Sergio Leone hätte es zusammen nicht besser hinbekommen.
Horrorschocker
Der wahre Horror ist die Realität, die Hölle, das sind wir selbst. Schon erstaunlich, welche existenzialistischen Themen der Autor, Zeichner und Verleger von Weissblech Comics Levin Kurio hier regelmäßig im Gewand der vermeintlichen Schundgeschichte abhandelt. „Der Rattenkönig“, ursprünglich schon einmal erschienen in Ausgabe #47 der "Horrorschocker", ist ein Paradebeispiel, das in bunten Bildern und Underground-Comix-Ästhetik von menschlicher Hybris berichtet und das Kunststück schafft, die Regeln des Genres zu persiflieren, ohne sie ihrer Wirkung zu berauben.
Beastars
Tiere in menschlichen Rollen sind seit Micky Maus ein bewährtes Konzept im Comic. Doch meist verlieren sie mit dem Anlegen menschlicher Kleidung ihre tierischen Eigenschaften. Im Manga „Beastars“ ist das anders. Hier wird der Konflikt zwischen fleisch- und pflanzenfressenden Schülern zur Fabel über Ausgrenzung, Angst und Gewalt. Die skizzenhaften Zeichnungen passen zur fragilen Lage der Figuren, die sich ein Klassenzimmer teilen, aber in der Natur Todfeinde sind.
Cinema Purgatorio
Alan Moore hat seinen Entschluss, keine Comics mehr zu schreiben, wahr gemacht. Deutsche Leser können sich aber noch auf die hierzulande unveröffentlichte Anthologie „Cinema Purgatorio“ freuen, in der neben Moore Autoren wie Garth Ennis oder Kieron Gillen abgedrehte Crime-, Horror- und Monstergeschichten schreiben, in denen es zum Beispiel um eine Rettungssanitäterin geht, die sich mit suizidalen Vampiren herumschlagen muss oder eine Jetpilotin, die gegen gigantische, städtezerstörende Ekelmonster antreten muss. Grandios in Szene gesetzt haben das unter anderem Kevin O'Neill und Gabriel Andrade. Anders als in der Originalausgabe erscheint bei Dantes Verlag jede Geschichte in einem eigenen Sammelband.
Harley Quinn
Frische Neuinterpretation der Figur aus dem Batman-Universum durch Autorin Mariko Tamaki. Statt der überdrehten Psychopathin ist ihre Harley ein lebenslustiger Teenager, der in der Kriminalitätshauptstadt Gotham City in einer freundlich-queeren Gemeinschaft landet. Nichts für Traditionalisten, umso mehr für jüngere Comicfans, die mit überkommenen Rollen- und Gesellschaftsbildern nicht viel anfangen können.
ENTTÄUSCHUNGEN
Berserker Unbound
Ein Krieger kehrt nach Hause zurück. Sein Dorf wurde niedergebrannt, sein Frau und sein Kind abgeschlachtet. Nun zieht er einsam und mit Rache im Herzen durch die Welt. Ein Aufhänger, der einem in jedem Drehbuchseminar ob seiner Einfallslosigkeit um die Ohren gehauen würde. Was Autor Jeff Lemire geritten hat, zum Start seiner von „Conan“ inspirierten und sich zur Zeitreise-Räuberpistole ausweitenden Miniserie derart tief zu stapeln, bleibt ein Rätsel. Die grandiosen Metzelpanoramen von Mike Deodato Jr. vermögen das nur bedingt auszugleichen.
Lincoln
Das Konzept hat Charme: Brutaler Outlaw trifft im Wilden Westen auf Gott, der an ihm ausprobiert, ob nicht auch ein Bösewicht zum Glück fähig ist. Doch die Figuren der französischen Westernkomödie sind so unzugänglich angelegt, dass es einem angesichts endloser Slapstick-Gewalt egal bleibt, wer am Ende recht hat.
Invincible
Dass auch Superhelden sich mit Alltagssorgen und Ehekrach herumschlagen müssen, ist bekannt. Jeff Lemire oder Alan Moore haben das in ihren Serien „Animal Man“ und „Miracleman“ hervorragend vorgeführt. Robert Kirkmans „Invincible“, das vom Aufwachsen des Teenagers Mark Grayson erzählt, dessen Vater, der berühmte Omni-Man, ihm Superkräfte vererbte hat, wirkt dagegen verspielt und harmlos. Die animierte Serienadaption startet demnächst bei Amazon, der vierte Sammelband soll im September erscheinen.
Werner
Dieses Heft mit recyceltem Material aus mehreren „Werner“-Sammlbänden erinnert daran, wie traurig es einst um die deutsche Comiclandschaft bestellt war, als Brösel mit seinem Flachland-Humor und entsprechend schlichten Zeichnungen das Synonym für heimische Bildergeschichten war. Da hilft auch die digitale Bearbeitung nicht. Oder um Werner zu zitieren: „Hau wech die Scheiße.“
Tracht Man
Der Superheldencomic hat sich in den vergangenen 80 Jahren zu einer komplexen Erzählform entwickelt. Der US-inspirierte bayerische Haudrauf „Tracht Man“ huldigt mit seiner weitgehend auf Faustkämpfe und ein paar überirdische Zaubertricks beschränkten Handlung jedoch etwas zu sehr der längst überwundenen, zeichnerisch und erzählerisch eher simplen Frühphase des Genres: „'ne Mordsgaudi“ (O-Ton Tracht Man) höchstens für blau-weiße Lokalpatrioten.
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