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© Loewe

Comic-Bestseller von Raina Telgemeier: Teenies Glück und Teenies Angst

Raina Telgemeier ist die erfolgreichste Comiczeichnerin der USA. In Deutschland kennt sie nahezu niemand. Noch nicht.

Der erfolgreichste amerikanische Comiczeichner, die erfolgreichste amerikanische Comiczeichnerin arbeiten nicht für Marvel, nicht für DC. Sie zeichen keine Avengers, keinen Batman und kein Manga-Imitat. Sie heißen Dav Pilkey und Raina Telgemeier. Zusammen haben sie im vergangenen Jahr an die sieben Millionen Comics in Nordamerika allein verkauft. Das ist nicht ganz ein Viertel aller Comics, die im vergangenen Jahr in Nordamerika im Buchhandel verkauft wurden.

Während Dav Pilkey („Dog Man“, dt. beim Adrian-Verlag) auch in Deutschland etabliert ist, zählt Raina Telgemeier zu den großen Unbekannten hierzulande. Das ist, in nicht-spezifischer Reihenfolge, traurig, eine Schande, ein Verlust für die deutsche Comiclandschaft. Aber es könnte sich bald ändern. Das neue Kindercomics-Label des Loewe-Verlags wagt einen Anlauf mit Telgemeiers Comics, der überüberfällig ist. Gut so!

Telgemeier, Jahrgang 1977, zählt zu jenen Ausnahmetalenten, die es schaffen, den Lauf einer ganzen Industrie zu ändern. Bevor ihr autobiografischer Comic „Smile“ 2010 in den USA in Buchform erschien - sie hatte ihn vorher stückweise in ihrem Blog publiziert - galten autobiografische Comics für junge Leser*Innen als unverkäuflich. Inzwischen bilden sie eines der am stärksten wachsenden Segmente des amerikanischen Comicmarktes.

Eine Doppelseite aus „Smile“.

© Loewe

Ein Blick ins Buch zeigt die Gründe für den Erfolg. „Smile“ (Loewe Graphix, 224 S., 15 €) war nicht Telgemeiers Erstling, zuvor hatte sie vier Romane der 80er-Jugendbuchserie „The Baby Sitter’s Club“ zum Comic adaptiert. Eine Verfilmung der Romane ist auf Netflix zu sehen. Diese Comics waren charmant, lustig und spannend, aber mit jenem aseptischen Tonfall und sterilen Plots, die eher industriell produzierten Jugendbüchern jener Zeit häufig zu eigen war. Sie waren, mit einem Wort, unecht.

Comicpersönlichkeit der Dekade

Relativ dazu wirkt „Smile“ wie ein Befreiungsschlag. Was vordergründig banal scheint - Telgemeiers Erinnerung an die Zeit, als sie eine Zahnspange tragen musste - erweist sich bei der Lektüre als wilde Reise durch die Wellenlandschaft pubertärer Emotionen.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Loewe

Ein Auf-und-Ab aus Unsicherheit und Unwissen, Glück und der ungeschönten Erinnerung der damals Mittdreißigerin an ihre Zeit als 14jährige. „Interessiert mich, was andere denken?“, fragt sich die junge Raina, die sich für ihre Zahnspangen und ihre Zöpfe schämt, im Comic. Und muss sich eingestehen, „ja.“

Autobiografische Comics fallen schnell in eine von zwei Kategorien, sie sind meist entweder tragisch-dramatisch, oder zum Fremdschämen amüsant. „Smile“ vermeidet diese Kategorisierung. Telgemeier spielt auf der gesamten Klaviatur der Emotionen. Das Buch, gezeichnet in gefälligem, fast europäischem Stil, ist abwechselnd hochlustig und zutiefst furchterregend (vor allem für Menschen mit Angst vorm Zahnarzt). Es ist zum Seufzen herzzerreißend und manchmal furchtbar peinlich.

Wie die Pubertät eben so ist.

In solider Folge hat Telgemeier seit „Smile“ alle zwei Jahre ein neues Buch veröffentlicht, alle wurden in den USA zum Bestseller mit Millionenauflage. In Deutschland scheiterte eine Edition bei Panini bereits nach zwei Bänden an mangelndem Leserinteresse.

In den USA wurde Telgemeier 2020 zur Comicpersönlichkeit der Dekade ernannt, in einer Umfrage unter allen Comiczeichner*Innen der USA. Auch, weil aufgrund ihrer Bücher viele US-Nachwuchszeichnerinnen so sein wollen wie sie. Ohne Frage werden Telgemeiers Comics Auswirkungen weit in die Zukunft des Mediums haben. Eine Zukunft, die Telgemeier, gerade mal 44, mitgestalten wird.

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