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In diesem Wohnhaus in München hat Cornelius Gurlitt die Gemälde vermutlich aufbewahrt.

© Reuters

Update

Nach Münchner Kunstfund: Bundesregierung will Gurlitt-Liste publizieren

Nach dem spektakulären Münchner Kunstfund will die Bundesregierung eine Liste der Werke mit unklarer Erwerbsgeschichte veröffentlichen. Der Jüdische Weltkongress kritisiert, dass bereits wertvolle Zeit vergeudet worden sei.

Nach dem Staunen über den vor einer Woche bekannt gewordenen Münchner Kunstfund nimmt der öffentliche Druck auf die Behördenweiter zu, die Bilder zugänglich zu machen, um frühere Eigentümer ermitteln zu können. So warnte Außenminister Guido Westerwelle davor, „die Sensibilität des Themas in der Welt“ zu unterschätzen. Das Gebot der Stunde sei Transparenz. Auch stellte die Bundesregierung die Veröffentlichung einer Liste von Werken aus dem Gurlitt-Fund mit unklarer Erwerbsgeschichte in Aussicht, mit der Einschränkung, dass die Interessen von Justiz und öffentlichem Aufklärungsbedürfnis miteinander in Einklang gebracht werden müssten.
Von den 1400 Werken aus der Wohnung Cornelius Gurlitts dürften viele legal dem Kunsthändlersohn gehören. Da der Vater nicht nur als „entartet“ verfemte Kunst für den NS-Staat verkaufte, sondern auch als Einkäufer für das Linzer „Führer-Museum“ agierte und aus jüdischem Besitz konfiszierte Werke zum Tausch anbot oder erwarb, könnten berechtigte Ansprüche geltend gemacht werden. Die Mischung aus „entarteter“ Kunst, Beute- und Raubkunst verkompliziert die Recherche.

"Es kann keine Verjährung geben", sagt Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses

Das Befremden über die Geheimhaltung seitens der Augsburger Staatsanwaltschaft weicht zunehmend der Verärgerung. Seit Jahren gehört die Restitution geraubter oder unter Zwang verkaufter Kunst zu den sensibelsten Themen zwischen den Erben verfolgter Sammler und den Museen, in denen sich die Werke heute befinden. Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, kritisiert, dass wertvolle Zeit vergeudet worden sei. „Noch sind viele Menschen am Leben, die als Kinder die Grausamkeiten der Nazis miterlebt haben und deren Eltern oft die Bestohlenen waren“, sagte Lauder dem Tagesspiegel. Die Ankündigung der Bundesregierung, die Besitzverhältnisse schneller sondieren zu wollen, findet er begrüßenswert. Der 69-jährige frühere Präsident des New Yorker Museum of Modern Art hob hervor, dass moralische Fragen dabei keine zentrale Rolle spielen müssten, es sei vor allem eine rechtliche Angelegenheit: „Was während der Nazi-Zeit gestohlen oder unter Zwang abgepresst wurde, muss an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden. Da kann es auch keine Verjährung geben.“ Unrechtmäßige Zustände fortdauern zu lassen, schade dem Ansehen Deutschlands.

Schon jetzt gibt es bei drei von elf Werken, die letzte Woche provisorisch vorgestellt wurden, eindeutige Provenienzen. Die Spitzweg-Zeichnung lässt sich dem Leipziger Verleger Henri Hinrichsen zuordnen, die „Frau mit Fächer“ von Matisse dem Pariser Kunsthändler Paul Rosenberg und damit dessen Enkelin Anne Sinclair, der Ex-Frau des einstigen IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn. Das Liebermann-Bild „Zwei Reiter am Strand“ gehörte dem jüdischen Zuckerfabrikanten David Friedmann aus Breslau. Als wichtige Quelle gelten die ebenfalls in der Münchner Wohnung entdeckten Geschäftsbücher. So stammen 315 Werke aus Museumsbesitz, sie bleiben bei Cornelius Gurlitt. 181 Bilder sollen einem jüdischen Sammler aus Dresden gehört haben, deren Nachfahren nun Ansprüche geltend machen können.

Zum Erstaunlichsten aber gehört jene Liste, die Hildebrand Gurlitt am 15. Dezember 1950 quittierte: darauf 150 „Kunstwerke. Antiquitäten und Gegenstände von kulturellem Wert“, 22 Kisten insgesamt, die ihm vom „Collecting Point“ Wiesbaden wieder aushändigt wurden. Dass Gurlitt senior und später sein Sohn heimlich Kunst aus der NS-Zeit horteten, während andere ihre von den Alliierten zurückgegebenen Schätze im Nachkriegsdeutschland stolz öffentlich zeigten – vielleicht hätte man es früher wissen können.

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