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Fotoarbeit von Astrid Klein mit Sartre-Zitat.

© Courtesy the artist, Sprüth Magers

Schloss Bellevue: Bundespräsident eröffnet Ausstellung

Frank-Walter Steinmeier eröffnet in Schloss Bellevue eine Ausstellung und gibt sich kämpferisch für die Kultur – nicht nur in der Krise.

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen – und manchmal kann es eine Vernissage hinter verschlossenen Türen sein, der die Gäste nur digital beiwohnen. Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier hat sich zu diesem Schritt entschieden, ist doch das Schloss Bellevue normalerweise nach Voranmeldung ein offenes Haus. Er setzt ein Signal, indem er allen Widersprüchen zum Trotz für die neue Ausstellung in der Galerie seines Amtssitzes eine Eröffnungsrede hält.

Es ist eine Rede, die es in sich hat, ein Zeichen für alle draußen, alle, die vereinzelt sind, auch jene, die daran zweifeln, dass Kultur systemrelevant sein könnte. Zugleich ist diese Rede ein Appell, sich den öffentlichen Raum neu zu erschließen. „Das Erscheinen eines jeden in der Menge“ ist die von Bettina Klein kuratierte Schau programmatisch überschrieben mit Werken von acht Künstlerinnen und Künstlern aus der Sammlung der Bundesrepublik.

Wenn auch lange vor Ausbruch der Pandemie entstanden, reflektieren die Bilder und Skulpturen durch Corona gemachte Erfahrungen der Vereinzelung und Verängstigung; sie erzählen von der „Bedeutung von Begegnungen im öffentlichen Raum“, so auch der Untertitel der Ausstellung. Zumindest imaginär reißt das Schloss Bellevue seine Türen auf. Es verweist damit auf andere öffentliche Räume, die ebenso unerreichbar sind: Museen, Theater, Kinos und Konzerthäuser, die nun schon einen ganzen Winter geschlossen bleiben.

Die digitalen Substitute können ihren Besuch nicht ersetzen. „Nein, wir gehen hin, um da zu sein“, beschreibt Steinmeier in seiner Rede ihr Fehlen. „Wir brauchen diesen Raum, in dem wir unter anderen mit den anderen oder auch für uns allein sein können, in dem wir sehen und gesehen werden. Ein Miteinander, eine demokratische Gesellschaft ist ohne diese Freiheit der Begegnung nicht denkbar.“ Der Bundespräsident spricht davon, dass wir „diesen öffentlichen Raum, den wir brauchen und den wir gerade jetzt, da wir ihn schmerzhaft vermissen, neu entdecken“. Manchmal hält er unvermutet Inspiration bereit, wie es Bettina Klein bei der Findung des Ausstellungstitels erlebte. Sie stieß auf die Zeile „Das Erscheinen eines jeden in der Menge“ bei einem der gerade so typischen Lockdown-Spaziergänge in einer Verschenkstation ihres Kiezes. Die Zeile stand auf dem Umschlag einer Anthologie des Dichters Nicolas Born zur Lyrik aus der BRD und Westberlin seit 1970.

Das damit überschriebene Gedicht des 1979 verstorbenen Autors erfasst überraschend genau auch unsere gegenwärtige Situation: „Ist es eine Wohltat allein zu sein/ Im Gelage der Gedanken ohne Augenzeugen/ Ohne das Auge des Entdeckers das sieht wie’s schmeckt?/ Ohne das geübte Ohr der Menge?/ Was ist eine Tatsache wert die unteilbar ist/ Was ist ein Universum ohne dein Beben/ Ohne dein Erscheinen vor leeren Sitzreihen?“

Plötzlich zeigen sich die Dinge in neuem Licht. Wie kaum ein anderer Gegenstand hat die Kunst die Kraft, diesen Transfer zu leisten – von einer Zeit in die andere – und weitere Reflexionen anzustoßen. „Humor hilft gegen Angst“, hat die Kuratorin erfahren und für ihre Ausstellung als eine der ersten Arbeiten aus der Kunstsammlung des Bundes eine Skulptur von Judith Hopf ausgewählt. „Erschöpfte Vase“ heißt sie und zeigt eine ebensolche kopfüber mit einem ratlosen Gesicht darauf, mit wenigen schwarzen Strichen aufgepinselt.

„Hat die Erschöpfung nicht auch etwas Schöpferisches?“, fragt Frank-Walter Steinmeier die Berliner Bildhauerin im Anschluss an ein eingespieltes Videoporträt. Sie kann das bestätigen: Ja, darin stecke auch ein schöpferischer Neuanfang. Elke Büdenbender, die Ehefrau des Bundespräsidenten, die den Rundgang von einem Werk zum anderen nach den Eröffnungsreden begleitet, ergänzt: „Eine leere Vase lässt sich wieder füllen.“ „Man kann sie umdrehen“, fügt Steinmeier lachend hinzu.

Der kleine Austausch mit den zugeschalteten Künstlerinnen und Künstlern macht neben der Rede des Bundespräsidenten diese vielleicht auch etwas absurde Ausstellungseröffnung zu einem besonderen Ereignis. Ein Staatsoberhaupt, das sich gemeinsam mit seiner Partnerin so heiter, so aufgeschlossen und klug Malern und Bildhauern zuwenden kann, ist ein Glücksfall für eine Gesellschaft.

„Die Pandemie hat viele Museen, Galerien, Kinos, Theater und Konzerthäuser in eine existenzielle Krise getrieben,“ sagt Steinmeier zum Ende. „Sie verdienen unsere Unterstützung in der Krise und nach der Krise. Wenn wir uns diesen Lebens- und Kulturraum erhalten wollen, werden wir ihn – nach der Pandemie – zurückerobern und um ihn kämpfen.“

Mit seiner Ausstellung im Bellevue will er dafür werben. Es wird wohl noch dauern, bis sich die ersten Besucher und Besucherinnen in den Spiegelscherben selber sehen, die auf Kader Attias „Mirror Mask“ kleben, der Kopie einer afrikanischen Holzmaske der Dogon in Mali. Oder bis sie vor Astrid Kleins Fotoarbeit stehen, die ein monumentales Augenpaar zeigt, darunter das Sartre-Zitat „Das ,Vom-Anderen-gesehen-Werden’ ist die Wahrheit des ,Den Anderen-Sehens’“.

Gerade jetzt ist schmerzhaft zu erfahren, wie viel der Kommunikation fehlt, wenn vom Gegenüber, das eine Maske trägt, nur die Augen zu sehen sind, die Mimik verborgen bleibt. Oft lässt sich nur erraten, ob da jemand lächelt oder die Mundwinkel herabzieht. Die Ausstellung in Schloss Bellevue ist eine Einübung darin, wie es sein könnte, wenn wir die Masken wieder ablegen dürfen. Und welche Rolle die Kultur dabei spielt.

Schloss Bellevue/Bundespräsidialamt, Spreeweg 1, bis März 2022.

Die Rede des Bundespräsidenten

gibt es hier zum Download:

https://www.bundespraesident.de

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