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Nora (Greta Lee) und Hae Sung (Teo Yoo) versuchen zu erkunden, wie eine gemeinsame Zukunft hätte aussehen können.

© Jon Pack

Berlinale Wettbewerb: Körper auf Reisen

Das US-Drama „Past Lives“ von Celine Song und der Zen-Film „Samsara“ erzählen von den verschiedenen Versionen eines Lebens

Von Andreas Busche

Zwölf Jahre dauert ein Leben in „Past Lives“, dem Debütfilm der amerikanischen Dramaturgin Celine Song. Das erste Leben endet für Young Na abrupt im Alter von zwölf Jahren, als ihre Eltern beschließen, von Südkorea nach Kanada auszuwandern und das Mädchen seinen Freund Hae Sung in Seoul zurücklassen muss. Zwölf Jahre später hat Young Na, jetzt gespielt von Greta Lee, den Namen Nora angenommen und studiert in New York Dramaturgie.

Koreanischer als Koreanisch

Durch einen Zufall findet sie Hae Sung (Teo Yoo) auf Facebook wieder, und über die Distanz flammt kurz die alte Freundschaft auf, mitsamt der adoleszenten Projektionen. Aber Nora führt bereits ein anderes Leben, sie hat Korea hinter sich gelassen, und kurz darauf lernt sie ihren künftigen Ehemann Arthur (John Magaro) bei einer Artist-Residency in Upstate New York kennen. Wieder zwölf Jahre später tritt Hae Sung erneut in Noras Leben – und diesmal auch in das von Arthur.

8000 Schichten von in-yun verbinden Nora und Arthur, erklärt sie ihm einmal das koreanische Konzept von Schicksal. Menschen begegnen sich, und je öfter in-yun eintritt, desto tiefer verzweigen sich auch die Leben. Sei ihre Liebe also nur einer Laune des Moments geschuldet, fragt Arthur einmal vorm Einschlafen. Hätte Nora sich auch in jeden anderen Mann, der damals an seiner Stelle an dem Künstlerprogramm teilgenommen hätte, verlieben können?

Die Idee eines vergangenen Lebens, das sich in immer neuen Variationen späterer Leben beziehungsweise Lebensentscheidungen spiegelt, hat für eine junge Frau, deren Reise von Seoul über Toronto bis nach New York führt, natürlich eine völlig andere Bedeutung als für einen jüdischen Amerikaner, der sein ganzes Leben in New York verbracht hat.

Eine Szene aus „Samsara“ von Lois Patiño in der Reihe Encounters. 

© Señor y Señora

Die Regisseurin Celine Song verarbeitet in ihrem Debütfilm, der es nach seiner Premiere auf dem Sundance Festival auch in den Wettbewerb der Berlinale geschafft hat, autobiografische Erfahrungen, deren Widersprüche in einem äußerst komischen Badezimmer-Dialog über koreanische Koreaner, amerikanische Koreanerinnen und etwas koreanischere amerikanische Koreanerinnen aufgelöst werden.

Polyphonie des Urwalds

Im Alter von 36 Jahren trifft Nora in New York zum ersten Mal den erwachsenen Hae Sung, der aber immer noch Young Na vor sich sieht. „Past Lives“, ein weiteres Mosaiksteinchen im jüngeren US-Kino über die koreanisch-amerikanische Erfahrung (nach Lee Isaac Chungs Oscar-prämiertem „Minari“ und „Columbus“ von Kogonada), erzählt voller emotionaler Nuancen von dieser Identitätssuche, die keine leichten Antworten parat hält; und deren Folgen erst Jahrzehnte später augenscheinlich werden.

Ebenfalls um vergangene Leben, aber auf einer transzendenten Ebene, geht es in dem Zen-Film „Samsara“ (Encounters) des spanischen Regisseurs Lois Patiño, der in einem buddhistischen Kloster in Laos beginnt, sich ganz der Polyphonie des Urwalds und dem Fließen des Wassers hingibt, um nach einem kurzen, tiefen Schlaf (zu dem auch das Publikum im Kino angehalten ist, die Augen zu schließen), an der ostafrikanischen Küste wieder zu erwachen.

Eine alte Frau stirbt, eine Babyziege wird geboren. Die Seelenwanderung überwindet nicht nur Ozeane, sondern auch religiöse Vorstellungen. Und immer steht die Natur im Zentrum der irisierenden Wahrnehmungswelt, die stark vom meditativen Kino Apichatpong Weerasethakuls beeinflusst ist. Die Frauen, die in Tansania die Algen für die Seifenproduktion ernten, finden tote Fische zwischen den Pflanzen, vergiftet vom Abwasser der Hotelananlagen. Der Mensch bleibt ein Störfaktor in der feinstofflichen Welt.

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