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Félix Vallotton: Der Unverblümte

Ein mürrischer Maler und sein böses Werk: Félix Vallotton in der Hamburger Kunsthalle.

Missmutig schaut der junge schnauzbärtige Mann im steifen Hemdkragen drein, das Haupt mit dem kurz geschnittenen, dunkelblonden Haar leicht geneigt, die Augen dem Betrachter zugewandt. Ein Langweiler, ein Pedant hat sich hier gemalt, könnte das Urteil zum Selbstbildnis Félix Vallottons (1865 bis 1925) als Zwanzigjähriger lauten. Sympathisch wollte der Künstler offensichtlich nicht erscheinen. Auch das 1923, fast vierzig Jahre später entstandene Selbstporträt zeigt einen Mann, der scharfsichtig und zugleich mit einer gewissen Verächtlichkeit auf seine Umgebung blickt.

Nein, ein angenehmer Zeitgenosse scheint der Schweizer Maler, der 1882 als 17-Jähriger zum Studium nach Paris ging und sich dort der Künstlergruppe der Nabis anschloss, nicht gerade gewesen zu sein. Ungeschönt vertraut er seinem Tagebuch an: „Das Leben, das ich lebe, ist buchstäblich das Gegenteil dessen, was ich mir erträumte. Ich liebe die Zurückgezogenheit, die Stille, die ausgereiften Gedanken und das vernünftige Tun – und da schlage ich mich herum in Umtrieb, albernem Geschwätz und eitlem Getue.“ Dieser misanthropische Zug kommt auch in seiner Malerei zur Geltung. Nie sind die Bilder, was sie auf den ersten Blick scheinen; immer ist eine kleine Gemeinheit darin versteckt.

Die Retrospektive der Hamburger Kunsthalle gibt erstmals Gelegenheit, diesen mürrischen Maler und sein böses Werk vollständig kennenzulernen. Für den Betrachter, der selbst verschont bleibt, ist es ein Genuss, wie man sich unschwer vorstellen kann. Nach Vilhelm Hammershöi und Helene Schjerfbeck gräbt das Ausstellungshaus nun einen weiteren zu Unrecht vergessenen Avantgardisten der Jahrhundertwende aus. Eine echte Neuentdeckung ist Vallotton zwar nicht – in der Schweiz ist er hochverehrt und in vielen Sammlungen vertreten; der neue Roman des Bestsellerautors Martin Suter über die Niederungen des Auktionsgeschäfts rankt sich um ein Vallotton-Bild –, aber in Deutschland blieb seine Würdigung bislang aus.

Vallotton war ein Multitalent: Er malte, produzierte Holzdrucke, entwarf kunstgewerbliche Objekte wie Lampenschirme und eine Bonbonniere, gestaltete Bücher und Plakate, schrieb Theaterstücke und Romane. Zu seinen stärksten Werken gehören die Interieurs, der Salon mit seinen tiefen Schatten, in denen das bürgerliche Drama seinen Ausgang nahm, das Valloton in allen Genres künstlerisch umkreiste. „Der Besuch“, „Der Kuss“, „Die Erwartung“ – stets herrscht in diesen Bildern eine bedrohliche Atmosphäre. In Vallottons bedrückenden Räumen finden die heimlichen Liebespaare kein Glück, höchstens den Tod. In seinem Roman „Das mörderische Leben“ schreibt der Künstler, „dass die Zimmer von Ermordeten kurz nach dem Verbrechen genau so aussehen“.

Für die Doppelmoral und Verlogenheit hinter den schweren Portieren und dicken Gobelins hatte der Maler, der auch im Kreis seiner Künstlerfreunde immer ein Fremder blieb, der „Nabi étranger“, ein feines Gespür. Nach der Heirat mit der wohlhabenden Witwe Gabrielle Rodriguez-Henrique 1899 ändert sich das vorübergehend, und er malt sein eigenes häusliches Idyll. Die Erfüllung wird die Ehe nicht. „Was hat der Mann nur so Schlimmes getan, dass er diese schreckliche Partnerin, die Frau, dulden muss“, klagt er am Ende seinem Tagebuch. Seine Akte in den plüschigen Salons, knieend vor rotem Sofa oder vor gelbem Grund, zeigen deshalb auch nie Schönheiten, sondern in aller Unverblümtheit hängende Brüste, dicke Bäuche und sehr rundliche Hintern. Lustbetont in Farbigkeit und Komposition sind sie gleichwohl.

Mit den Jahren wird Vallottons Malerei kühler, geht er zu seinem dargestellten Personal immer weiter auf Distanz. In den „Grandes Machines“ genannten Bildern mit mythischen Szenen kippt die Darstellung fast ins Groteske, denn die Helden der Antike entstammen der Gegenwart. Seine Andromeda mit ihrem modisch hochgesteckten Haar wirkt wie eine schlecht gelaunte Dame der Pariser Gesellschaft, während sich ihr schnauzbärtiger Perseus im Kampf mit dem Drachen abmüht. Für Vallotton sind die Männer stets die Verlierer, von den Frauen verführt und fügsam gemacht. Programmatisch erscheint das Großformat „Der Hass“ (1908) mit einem nackten Paar, bei dem der Mann passiv die Arme vor Brust verschränkt hält, während die grimassierende Frau die Fäuste ballt, als wollte sie gleich zuschlagen. Kein Wunder, dass viele in den Beiden Vallotton und seine ungeliebte Gattin vermuteten.

Die Surrealisten und Maler der Pittura metafisica waren von diesen befremdlichen Szenen fasziniert. Ihre merkwürdige Entrücktheit, die Kühle und Monumentalität der Figuren übernahmen sie für ihre Bilder. Große Wirkung auf nachfolgende Generationen hatte auch Vallottons Grafik. Die „Brücke“-Künstler studierten bei dem Schweizer aus Paris den betont flächigen Stil, die Konzentration auf klare Formen. In ihren eigenen Drucken sollte sich auch das Motiv eines Aktes auf dem Diwan, der mit einem Kätzchen spielt, Jahrzehnte später wiederfinden. Ausgerechnet dieses Bild strahlt eine Ruhe und einen inneren Frieden aus, den man sonst beim Zyniker Vallotton nicht kennt.

Hamburg, Kunsthalle, bis 18. Mai; Katalog 35 Euro.

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