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Gruppenbild mit Schriftsteller: Peter Fabjan mit seiner ersten Frau Mágda (li.), das befreundete Ehepaar Grete und Viktor Hufnagel sowie rechts am Rand: Thomas Bernhard, in den siebziger Jahren.

© Thomas Bernhard Nachlassverwaltung GmbH/Suhrkamp Verlag

Peter Fabjans Buch über Thomas Bernhard: Aus der Kälte

Zum ewigen Dienst am Bruder verpflichtet: Der Mediziner Peter Fabjan erzählt von seinem Leben an der Seite von Thomas Bernhard.

Es muss in den frühen siebziger Jahren gewesen sein, bevor mit „Die Ursache“ der erste Band seiner schließlich fünf Bände umfassenden Autobiografie erschien, dass Thomas Bernhard zu seinem jüngeren Bruder Peter sagte: „Ich will nicht, dass ihr beide (gemeint waren wir Geschwister, also Susi und ich) nach mir einmal über mich befragt werdet und was erzählt. Darum schreibe ich meine Autobiografie. Man weiß ja sonst nicht, woher bei mir das alles kommt.“

Zum Beispiel daher, dass der 1931 als uneheliches Kind geborene Bernhard sich in seiner Autobiografie als „Fehltritt“ und „Schreckenskind“ beschreibt: als ein Kind, dass nur unzureichend in den Genuss der mütterlichen Liebe kam, weil diese „immer von dem Hass gegen den Vater dieses Kindes unterdrückt“ wurde. „Sie konnte sich niemals frei und in der größten Natürlichkeit entfalten.“

Peter Fabjan kam sieben Jahre nach Bernhard zur Welt, 1938, als Sohn von dessen Mutter Herta und ihres Ehemanns Emil Fabjan. Von Peter ist in Bernhards höchst stilisierten und literarisierten Kindheits- und Jugenderinnerungen nur wenig die Rede.

Fabjans Buch enthält auch tabellarische Lebensläufe

Da erzählt Bernhard in „Die Ursache“ lediglich, wie er seinen „damals siebenjährigen Halbbruder“ unerlaubterweise von Traunstein über die Grenze nach Salzburg mitnahm, um ihn bei seinem dann „entsetzten Onkel“ abzuliefern. „Denn was hätte ich mit meinem Halbbruder im Internat gemacht?“

Dabei entwickelte sich Peter als „lieber Bruder“ mit den Jahren durchaus zu einer wichtigen Bezugsperson; erst recht als Fabjan sich nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als Arzt in den letzten Lebensjahren Bernhards bis zu dessen Tod 1989 fast täglich um ihn kümmerte und schließlich auch die Verantwortung für den literarischen Nachlass und die Immobilien des Schriftstellers übernahm.

Fabjan hat nun mit „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard“ (Ein Rapport. Suhrkamp, Berlin 2021. 200 S., 24 €.) trotzdem ein Buch über seinen Bruder geschrieben; nicht, um Legenden zu zerstreuen oder Bernhards Autobiografie „wahrer“ zu machen, sondern einfach um, wie er das formuliert, zum „Woher“ des älteren, berühmteren Bruders etwas beizutragen.

Als „Rapport“ bezeichnen Fabjan und der Verlag dieses Buch. Das passt formal sehr gut; das Ganze hat auch etwas von einer Anamnese, einer Erhebung; aber auch bezüglich der etymologischen Bedeutungsvielfalt. Denn ein Rapport ist nicht nur ein dienstlicher Bericht, sondern beschreibt in der Psychologie ein zwischenmenschliches, durchaus von einer professionellen Distanz geprägtes Verhältnis.

Gleich zu Beginn schreibt Peter Fabjan denn auch über Thomas Bernhard: „Von nahen Verwandten verlangte er Zuneigung, zugleich waren sie ihm Bedrohung, daher die sichere Distanz, die er immer zu wahren wusste.“ Oder: „Mein Leben war ein Leben mit einem Phantom, ja, einem Dämon an meiner Seite.“

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Fabjan übt sich in seinem Buch gerade am Anfang und am Ende in streng und stringent wirkenden psychologischen Betrachtungen des berühmten Bruders.

Vor allem konzentriert er sich jedoch auf die Familie und die späteren „Lebensmenschen“ von Bernhard, viele von ihnen Frauen.

Er beginnt mit der Mutter, mit Herta Paula Fabjan, der 1904 geborenen Bernhard, die früh stirbt, 1950, sowie ihrem Mann Emil Fabjan, Bernhards ungeliebtem Stiefvater; auch den leiblichen Vater, den er nie gesehen hat, stellt Fabjan kurz vor; es geht weiter mit den Großeltern, insbesondere mit dem so wichtigen Großvater Johannes Freumbichler, dem „Heimatdichter“.

Später kommen die Freunde und Bekannten, allen voran die Vertrauteste unter Bernhards Vertrauten, das „Zentrum“ laut Fabjan: Hedwig Stavianicek. Aber auch weniger enge Freundinnen wie die Pianistin Ingrid Bülau oder Wittgensteins ferner Verwandter Paul.

Tabellarisch ist dieses Buch nicht nur sprichwörtlich: Von Staviancek gibt es einen tabellarischen Lebenslauf, weitere Bekanntschaften werden von Fabjan einfach gelistet, genauso wie die Krankengeschichte seines Bruders, „in groben Teilstationen“, nicht zuletzt am Ende das eigene Leben.

„Die immer wieder fühlbare Verachtung war ihm Bedürfnis"

Was er trotzdem eindrücklich transportiert: Diese Familie ist nicht nur eine „verwunschene“, sondern auch eine zwischen und nach den Weltkriegen vom Unheil verfolgte, letztendlich sich nicht sehr zugetane.

Glück ist bei den Fabjans und Freumbichlers nicht vorgesehen, höchstens Erfüllung: Die Kunst bei dem einen dient wie die Medizin bei dem anderen als „Überlebensstrategie“.

Eine gewisse Düsternis, wie man sie besonders aus den frühen Bernhard-Romanen kennt, liegt über diesem „Rapport“, über den trocken-prägnanten Sätzen des inzwischen fasst 82 Jahre alten Mediziners und Nachlassverwalters.

Immer wieder kommt Fabjan auf die unterschiedlichen Welten zurück, in denen er und Thomas Bernhard leben: die viel glamourösere, weitläufigere der Kunst, Literatur und Medien hier, die eigene „enge Welt der Medizin“ dort. Sich selbst mag er hier gar nicht groß in den Vordergrund stellen. 

Ist Fabjans Leben ein "gestohlenes"?

Die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend sind spärlich, die an die Studienjahre ebenfalls. Die ärztliche Tätigkeit ein Vierteljahrhundert lang als frei praktizierender, für eine große Gemeinde zuständiger Internist scheint ihm Spaß gemacht zu haben.

Ob er gelitten hat im immer größer werdenen Schatten des Bruders? Gelitten unter dessen komplizierter Persönlichkeit? „Die immer wieder fühlbare Verachtung war ihm Bedürfnis, um die ebenso stets vorhandene Zuneigung auszugleichen; desgleichen Provokation, ja Verletzung des Gegenübers, um in der Reaktion (...) eigenes Leben spüren zu können, das in ihm wohl in frühester Kindheit erstorben war.“

Fabjan fühlte sich familiär verpflichtet, zu Lebzeiten des Bruders, als dessen Leiden stärker wurde, und nach dessen Tod. Aus seiner Ambivalenz macht er keinen Hehl, aus seiner Treue genauso wenig. Die Frage, ob sein Leben „ein gestohlenes“ ist, hat Peter Fabjan sich wohl gestellt – um sie nicht zuletzt mit diesem bei aller Nüchternheit, aller Anamnesehaftigkeit sehr eindringlichen „Rapport“ zu verneinen.

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