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Kultur: An den Ufern des schwarzen Atlantik

Das Berliner Haus der Kulturen vermisst die Grenzen der „Black Community“ in Kunst, Tanz, Film

Ein Mann geht mit knirschenden Schritten über eine riesige Eisfläche. Die Szene ist bekannt, ein fester Topos: So ähnlich muss es gewesen sein, als die Polarforscher den Norden eroberten. Mit diesen Erwartungen spielt der Filmbeginn, wunderschön fotografiert und auf Triptychonformat zelebriert. Doch wenig später wird sich die Rückenfigur zum Zuschauer umdrehen und ihn in Staunen versetzen. Das vermummte Gesicht eines Schwarzen wendet sich ihm zu. Der Fall ist belegt, nur kaum bekannt. Zum Expeditionsteam von Robert Peary, der als einer der ersten Menschen den Nordpol erreichte, gehörte auch der Afroamerikaner Matthew Hensen (1866–1955).

Der schwarze Filmemacher Isaac Julien hat ihm sein neuestes Werk „True North“ gewidmet. Mit seinen poetischen Bildern schreibt er Gegengeschichte. Doch die von ihm gewählte Mischung aus Ästhetik und Politik ist weit entfernt vom aufklärerischen Impuls früherer Jahre. Dem schwarzen Filmemacher,der als Favorit für den Turner-Preis gehandelt wurde und sowohl auf der Documenta 11 als auch auf der jüngsten Berlin-Biennale zu den herausragenden Teilnehmern gehörte, geht es vielmehr um eine Reflexion über Zeitläufte, kulturelle Räume, Fragen nach der Bedeutung der eigenen Existenz. Dass seine Filminstallationen Motive afroamerikanischer Lebenswirklichkeit aufgreifen, liegt auf der Hand – und ist im Kulturbetrieb doch keineswegs selbstverständlich.

Es gibt also noch immer viel zu tun; ein Auftrag nach Maß für das Berliner Haus der Kulturen der Welt, das sein gesamtes Herbstprogramm unter das Motto „Black Atlantic“ stellt. Der Titel ist dem gleichnamigen Buch des britischen Soziologen und Philosophen Paul Gilroy entlehnt, in dem er die schwarze Diaspora von Süd- bis Nordamerika, von Afrika bis Europa beschreibt – also rund um den Atlantik. Dieses vermeintlich unbekannte Gestade versucht nun das Haus der Kulturen zu vermessen: mit Konzerten, Performances, Workshops, Lesungen, einem Filmprogramm, einem neuen Tanzstück von Ismael Ivo und eben jener großen Ausstellung, in deren Zentrum zwei Installationen Isaac Juliens stehen. Neben „True North“ zeigt er seine Documenta-Arbeit „Paradise Omeros“, die wie in einer Traumsequenz verschiedene Erinnerungsebenen ineinanderschiebt und darin Fragen von Identität und territorialer Zuordnung zu einem ästhetischen Bilderteppich verwebt.

Heimat, Erinnerung, Identität sind auch die Stichworte für die drei anderen Teilnehmer der „Black Atlantic“-Ausstellung. Der ebenfalls in London lebende Künstler Keith Piper recherchierte vor Ort. In seiner „Sounding Gallery“ erinnern sich drei Schwarze deutscher Herkunft an die Repressionen während des Nationalsozialismus. Als Gehäuse dafür schuf er die Anmutung typischer deutscher Wohnstuben, um die falsche Gemütlichkeit jener Jahre, aber auch heutige Verdrängungsmechanismen anzuprangern. Unversehens birgt seine arg didaktische Installation die Gefahr, genau jenen Raum zu verschließen, den Isaac Julien mit seinen assoziativen Bildern geöffnet hat.

„Black Atlantic“ meint zwar eine Verständigung über „schwarze“ Erfahrungen, die zuallererst durch Rassismus geprägt ist, aber auch die Möglichkeit einer transnationalen Identität. Der in Wien lebende Schotte Tim Sharp hat dafür eine melancholische Metapher gefunden: In historische Fotografien von Venedig, Helgoland und Norderney montierte er die Figur einer Tuareg-Frau als Chiffre des Reisenden; daneben sind Auszüge eines Handbuchs zu lesen, was zu tun ist, will man seine Identität aufgeben. Willkommen an den Ufern des „Black Atlantic“.

Haus der Kulturen, John-Foster-Dulles-Allee 10, bis 15. November.

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