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Blick in die Berliner Ausstellung von Gregor Schneider.

© Roman März

Am Abgrund: Gregor Schneider in der Galerie Konrad Fischer

Zerstörte Orte, die einst Heimat waren, stehen im Mittelpunkt seiner jüngsten Berliner Ausstellung. Die Kunst entfaltet eine bedrückende Schönheit.

Die Stadt Mönchengladbach liegt an einem Abgrund. An der südlichen Stadtgrenze beginnt der Braunkohletagebau Garzweiler, dem eine gigantische Naturlandschaft und ganze Dörfer gewichen sind. Der Raumkünstler Gregor Schneider wohnt nicht weit weg von diesem Krater. Seit seiner Jugend erlebt er hier, wie Bestehendes ausradiert und Heimat vernichtet wird. Um Räume, die im Verschwinden begriffen sind, geht es deshalb auch in seiner neuen Ausstellung „Homeless“ in der Berliner Konrad Fischer Galerie.

Im ehemaligen Umspannwerk werden neben Skulpturen und Fotografien drei filmische Arbeiten des Künstlers präsentiert. Zwei große Leinwand-Installationen umklammern den Ort, der Gegenwart verkörpert und doch unwirklich scheint. Auf der einen Seite sind nächtliche Aufnahmen von der Terra Nova-Aussichtsplattform am Tagebau Hambach zu sehen: Liegestühle und ein Sonnenschirm vor einer zerstörten Landschaft.

Gegenüber schaut der Besucher in einen Sonnenuntergang vor dem Hintergrund der „rekultivierten“ Landschaft des Braunkohletagebaus Garzweiler. Dieser grünen Wiese vor der neuen Autobahn A44 ist nicht mehr anzusehen, was hier einmal war. Für Schneider eine vergebene Chance auf eine bessere Zukunft, erzählt er im persönlichen Gespräch. Seine Installation fügt sich perfekt in den abgedunkelten Raum der Galerie.

Kapitalismus als Prozess kreativer Zerstörung

Im Raum zwischen den Installationen befinden sich Skulpturen, von denen unklar bleibt, ob sie Baustelle oder Ruine symbolisieren. Ihre Zukunft ist noch nicht geschrieben. Schneiders Kunst rückt dem Betrachter auf die Pelle. Sie erinnert uns an Orte – die kleinbürgerliche Wohnung der Großeltern, die verfallene Fabrik am Stadtrand, die leeren Ladenzeilen in der Provinz –, die einst mit Leben gefüllt waren und nun fast unsichtbar sind.

Sie passen auch nicht in ein optimistisches Bild vom ungetrübten Fortschritt. Ihre Schönheit wird vielleicht erst in dem Augenblick deutlich, in dem wir um ihre Vergänglichkeit wissen.

Der Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter beschreibt den Kapitalismus als Prozess einer kreativen Zerstörung. Sein Bild ist tröstlich: Was hier durch die Bagger vernichtet wird, soll an anderer Stelle neues Leben entfalten. Ob Schneiders Kunst diesen Trost zulässt, ist allerdings fraglich. Für den einzelnen Ort, die individuelle Existenz bringt dieselbe Kreativität womöglich nichts Konstruktives. In einer Stadt wie Mönchengladbach, die vom Krieg zerstört und hastig dank Plattenbauten wiedererrichtet wurde, ist dies allgegenwärtig.

Schneider kaufte Goebbels Geburtshaus

Gregor Schneider ist dafür bekannt, dass er auch Vergangenheit thematisiert, die andere gerne verschweigen würden. 2014 kaufte der Künstler das Geburtshaus des einstigen NS-Propagandaministers Joseph Goebbels in Mönchengladbach, ließ es entkernen und stellte den Bauschutt in einer Warschauer Galerie aus.

Garzweiler und Goebbels, Naturzerstörung und Massenmord: Auch dafür stehe Mönchengladbach, meint Schneider. Vielleicht ist seine Kunst als Protest dagegen zu deuten. Obwohl er die Stadt deprimierend nennt, lebt er weiter dort. Über dem Stadtteil Rheydt liege ein Fluch, zitiert Schneider Veit Loers, den ehemaligen Direktor des Städtischen Museum Abteilberg.

Offensichtlich ist Schneider an seiner Heimat gelegen. Mitte der 1980er-Jahre begann er, Räume im sogenannten „Haus ur“ in Mönchengladbach-Rheydt auszubauen. Um sie zu „retten“, wie er sagt. Momentan verliert Schneider nicht nur metaphorisch, sondern real ein Stück Heimat: Sein Mietvertrag für das Atelier wurde gekündigt. Womöglich ist die Ausstellung „Homeless“ gerade deshalb so gelungen, weil sie der Gefühlslage von Schneider entspricht.

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