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Emmanuelle Haïm

© AFP

Emmanuelle Haïm im Kammermusiksaal: Als Gott tanzte

Barocke Kirchenmusik im Kammermusiksaal: Emmanuelle Haïm und Le Concert d’Astrée.

Barock kommt von Beschwingtheit. Jedenfalls wenn Emmanuelle Haïm ihr Barockensemble Le Concert d’Astrée dirigiert. Wie sie in die Knie geht bei den GrandMotets von Jean-Philippe Rameau und Zeitgenossen, wie sie die Melismen mit den Händen moduliert, Orchester und Chor dazu animiert, bruchlos vom Jubel zur Klage, von der Lautmalerei zur gottesfürchtigen Besinnung hinüberzuwechseln: Schon ihr zuzusehen, ist eine Freude.

Dabei fügt sich Haïms natürliche Autorität – die schon bei ihren Konzerten mit den Berliner Philharmonikern im Oktober Jubel auslöste –, ihre Kunst, die Partitur wie eine Choreografin zum Tanzen zu bringen, kongenial zum Charakter der geistlichen Werke an diesem Abend im Kammermusiksaal.

Temperamentvoll komponiert

Handelt es sich bei den französischen Motetten von Rameau („In convertendo Dominus“) und Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville („In exitu Israel“) und vor allem beim Requiem des fast vergessenen André Campra doch um ausgesprochen unfromme, temperamentvolle Kompositionen. Die Psalmvertonungen und die Totenmesse, die der damalige Kapellmeister von Notre-Dame zur Trauerfeier für den Pariser Erzbischof schrieb, machen die biblischen Szenen ebenso unmittelbar anschaulich wie die Gemütswallungen der Gläubigen. Und das mit leichter Hand, im franko-italienischen Stil, gleichermaßen voller Lust an der Rhetorik wie an dramatischen Affekten. Unüberhörbar wird dies bei Mondonvilles Wellengang des geteilten Roten Meers und den in Tonrepetitionen stockenden, sich türmenden Wassermassen des Jordan, bis der Fluss sich in Tonleiter-Sturzbächen hinter dem Volk Israel wieder schließt.

Lobpreis des Herrn

Auch die tremolierend bebenden Herzen und der tirilierende Lobpreis des Herrn verraten die barocke Lust an der Exaltation. An jener „Aufgewühltheit menschlicher Leidenschaften“, wie das Programmheft einen Rameau-kritischen Abbé jener Zeit zitiert.

Die Solisten bereichern den geschmeidigen Originalklang des Orchesters und die Agilität der Sängerinnen und Sänger um die unterschiedlichsten Temperamente. Marie Perbost mit funkelndem, auch schneidendem Sopran, Samuel Boden mit schlankem Haute-Contre-Timbre, Zachary Wilder und Victor Sicar mit feiner Expressivität.

Die eigentliche Entdeckung des Abends ist jedoch Campras Requiem. Ein Werk so voller Hingabe – vom eindringlichen Flehen über die plastisch-schroffe Höllenschilderung im Offertorium bis zur Anmut des Agnus Dei –, dass man es auf der Stelle ein zweites Mal hören möchte. Warum ist Mozarts Requiem ein Kultstück, und kaum einer kennt Campras Kirchenmusik? Hoffentlich kommt Emmanuelle Haïm bald wieder nach Berlin und bringt Pretiosen mit.

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