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Emmanuelle Haïm dirigiert die Berliner Philharmoniker.

© Marianne Rosenstiehl

Berliner Philharmoniker: Alles sprüht vor Spiellust

Musikalisch war Europa immer grenzenlos: Dirigentin Emmanuelle Haïm und die Berliner Philharmonikern widmen sich der Barockmusik.

England vor dem Brexit: Nie war der britische Königshof weltoffener und den schönen Künsten zugeneigter als in der Restaurationszeit nach dem puritanischen Cromwell-Regime. Gegenüber den Einflüssen der europäischen Nachbarländer zeigte man sich aufgeschlossen.

An Henry Purcell rühmte man die Verbindung italienischer „Köstlichkeit und Schönheit“ mit französischer „Grazie und Heiterkeit“. Am meisten Furore auf der Opernbühne machte wenig später ein Migrant aus Sachsen, Georg Friedrich Händel. Am Mutterland der Musik, Italien, kam auch er nicht vorbei. „La terra è liberata“ (Das Land ist befreit) heißt eine frühe Kantate, mit der er seinen Einstand bei Hofe gab.

Die traurige Liebesgeschichte zwischen Apollo und Daphne, die sich vor den Nachstellungen des Gottes in einen Lorbeerbaum verwandelt, macht die temperamentvolle Emmanuelle Haïm am Pult der Berliner Philharmoniker fesselnd lebendig.

Da sprüht alles vor virtuoser Spiellust. Bariton Florian Sempey gestaltet seinen Apollo facettenreich zwischen aufbrausendem Liebeswahn und anrührender Resignation. Unwiderstehlich klagt Jonathan Kellys Oboe zu den Pastoraltönen von Lucy Crowes lieblich-zurückweisender Daphne.

Die Dirigentin, auch das Cembalo bedienend, macht den sonst der großen romantischen Symphonik verpflichteten Klangkörper beweglich. Die Violinen – mit süß-eindringlichen Soli angeführt von Krysztof Polonek – schwirren dahin in nie gehörter Leichtigkeit, das Holz enthüllt schimmernde Farben, gerade im Verein mit einem geschmähten Instrument wie der Blockflöte.

Zwitschernde Leichtigkeit und goldene Kastagnetten

Sébastien Marq belebt Purcells Suite „The Fairy Queen“, Auszug aus der gleichnamigen „Semi-opera“ nach Shakespeares „Sommernachtstraum“, auch in den „Hornpipe“ genannten Tänzen mit Piccoloflöte. Die wirkt besonders skurril in der ehrwürdig gesetzten „Chaconne“, die gleichzeitig zum „Dance for a chinese man and woman“ deklariert wird.

Noch das Entlegenste wird herangezogen, um den Klang bunt zu machen, etwa das Klappern goldener und hölzerner Kastagnetten. Im „Song of a chinese woman“ bejubelt Lucy Crowe mit zwitschernder Leichtigkeit die Freiheit. Die Totenklage „O let me weep“ verlangt von der Sopranistin umso tiefgründigere Nuancen bis zur Verzweiflung enthüllenden Tönen.

Energisch vertreibt die Dirigentin jeden Schatten eines Vorurteils gegenüber „Barockmusik“: Welches Stück könnte das besser gebrauchen als Händels „Feuerwerksmusik“? Im gravitätischen „französischen“ Rhythmus entfaltet sich die Klangpracht der Ouvertüre, um im Allegroteil in Trompetenglanz zu explodieren. Im von Oboengesang getragenen „La Paix“, der trommelrasselnden „Rejouissance“, dem nachdenklichen Belcanto des ersten Menuetts, immer zeigt das zum Aachener Frieden 1749 vor 12 000 Menschen aufgeführte Werk: Wenigstens musikalisch war Europa immer grenzenlos.

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