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Dichterin und Erzählerin. Die Slowenin Maruša Krese (1947 - 2013).

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Alles zerfällt, auch das Ich: Maruša Kreses Roman „Trotz alledem“

Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2013 konnte die slowenische Lyrikerin Maruša Krese noch ihren ersten Roman fertigstellen - ein Glück. Denn es ist ein Werk, das voller Wahrheit steckt und politische enorm aufgeladen ist.

Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2013 konnte die slowenische Lyrikerin Maruša Krese ihren ersten Roman abschließen – einen Roman, der vielleicht schon als Kind in ihr entstanden war. Als sie klein war, erzählte sie Besuchern an ihrem Krankenbett, habe sie Partisanin werden wollen, wie es ihre Eltern während des Zweiten Weltkriegs gewesen seien. Partisanen seien aber nicht mehr gebraucht worden, also habe sie sich vorgenommen, „Vom Winde verweht“ als Partisanenroman zu schreiben.

Mit Margaret Mitchell hat Kreses literarisches Vermächtnis, das nun unter dem Titel „Trotz alledem“ in der Übersetzung von Liza Linde auf Deutsch erscheint, allerdings wenig zu tun. Kreses Abgesang auf die Geschichte Jugoslawiens erzählt auf stilistisch eindrückliche Weise von ihren Eltern, von Slowenien und ihrem eigenen Leben.

Mehrere Stimmen hallen darin nach, genauer: drei Ichs. Im Wechsel sprechen eine Frau und ein Mann, beide im Widerstand gegen die Deutschen, die Italiener, die Weißgardisten. Die slowenischen Partisanen kämpfen mit den Kommunisten unter Tito gegen die Besatzer.

Die Grausamkeit des Krieges

Die junge Frau wird Truppenkommissarin, der Mann verliert in einem Gefecht ein Bein. Die Grausamkeit des Krieges, die alle Familien betrifft und jedem Einzelnen zusetzt, wird von Krese minutiös geschildert. Der Krieg bestimmt das Leben. Und er verbindet.

Die respektierte Kommissarin und der versehrte Veteran werden zum Wir. Sie heiraten. Stürzen sich in den Aufbau Jugoslawiens, als Wissenschaftlerin und politischer Kader. Sie passen sich den jeweiligen Gegebenheiten an, sind für, dann gegen die Sowjetunion, immer stehen sie an der Seite Titos. Und sie gründen eine Familie.

Da kommt das dritte Ich ins Spiel, die Tochter der beiden, die man als Maruša Krese selbst identifizieren darf. Sie bricht aus dem Rahmen des Systems aus, misstraut den alten Partisanen-Mythen, auch den Narrativen ihrer Eltern, wenngleich sie deren Nähe spürt – eine Nähe zu deren heroischer Geschichte und zum Schicksal des Landes.

Versuch einer Selbstfindung

Ein Land, das in den 1990er Jahren gewaltsam auseinanderbricht und in dem neue Überlieferungen entstehen, die die alten auslöschen und die Mutter nach dem Tod ihres Mannes fast ratlos hinterlassen.

„Alles zerfällt, und ich zerfalle. Nichts wird von unserem Erbe übrig bleiben. Ich beneide ihn, weil er schon gegangen ist, und bin wütend, weil er mich in dieser Geschichte allein gelassen hat. Aber er würde das doch gar nicht ertragen, was heute passiert. Alles kehrt zurück. So viele jener, die nach dem Krieg geflohen sind, sind wiedergekehrt. Oder ihre Kinder. Langsam, langsam verwandeln sie sich in Sieger.“

1941, 1952, 1968 und 2012 lauten die Überschriften der vier Kapitel dieses Romans: Bedeutsame Jahre, die Brüche hervorbringen und Entscheidungen verlangen, in denen die große Geschichte das private Leben fast vollkommen absorbiert.

Durchaus ein Wagnis

Was Krese macht, ist durchaus ein Wagnis: Sie schlüpft ins Innere ihrer Mutter und ihres Vaters, erzählt also nicht aus einer historischen, mit Zweifeln aufgeladenen Distanz, sondern aus ihren Figuren heraus. Das erzeugt freilich, weil es gelingt, eine große Direktheit: So könnte es gewesen sein, so dürfte es sich angefühlt haben, einem übermächtigen Feind die Stirn zu bieten – und schließlich mit allen Erinnerungen und Desillusionierungen, mit den vielen Toten und opportunistischen Genossen weitergelebt zu haben.

Ob die Träume der Gegangenen weiter geträumt werden können? Oder ob sie sich mit der Zeit verwandeln? Und ist nicht das eigene Leben zu kurz, um alles zu verstehen, was einem mitgegeben wurde? Auch das fragt dieser wahrheitssuchende, poetisch aufgeladene Roman. Für Ilma Rakusa, die ein persönliches Nachwort beigetragen hat, sei „Trotz alledem“ nicht zuletzt „ein Buch über familiäre Traumata und der Versuch einer Selbstfindung“. Ein Glück, so schließt Rakusa, konnte Maruša Krese es trotz ihrer Krankheit beenden.

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