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Das Jubiläumskonzert 100 Jahre Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in der Philharmonie.

© Peter Adamik

100 Jahre Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: Das Jubiläumskonzert in der Philharmonie

Vor genau 100 Jahren, am 29. Oktober 1923, begann der Rundfunk in Deutschland – und im selben Augenblick die Geschichte des RSB. Jetzt wurde mit einem Jubiläumskonzert gefeiert.

Runder als 100 geht kaum. Zu so einem Anlass holt man sich natürlich die Kulturstaatsministerin, mindestens. Claudia Roth erinnert zu Beginn des Jubiläumskonzerts in der Philharmonie daran, dass das Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) in aufgewühlten, düsteren Zeiten entstand: Inflation, Hitler-Putsch. Und dass die Welt heute ähnlich dunkel sei, womit sie sicher nicht die einen Tag zuvor erfolgte Zeitumstellung meint.

Roth macht das einzig Richtige, gedenkt der israelischen Opfer vom 7. Oktober und sagt, es sei absolut inakzeptabel, wenn „dieser Blutrausch auf deutschen Straßen gefeiert“ werde – was natürlich überhaupt nicht ausschließt, auch das Leid der Menschen in Gaza zu benennen. Die schon fast vergessene Ukraine erwähnt sie ebenfalls, bevor sie auf die Musik kommt: „Wir sind verdammt stolz auf dieses Orchester, wir brauchen Sie, immer und immer wieder, und zwar hier, live!“. Eine gute Rede.

Wichtige Stationen der Orchestergeschichte

Und überhaupt ein gutes Konzert. Es soll programmatisch an wichtige Stationen der Orchestergeschichte erinnern, beginnt aber – schöne Geste – zukunftsgewandt mit einer Uraufführung. Solobratscher Gernot Adrion hat „Ouverture solennelle“ geschrieben, ein Stück auf Basis der drei Töne R(é), Es und B. Dann der erste Aha-Effekt: Vom Band erklingt jenes Andantino von Fritz Kreisler, mit dem der Allround-Musiker Otto Urack am Cello vor genau 100 Jahren die erste Rundfunksendung in Deutschland eröffnete, die zugleich die Geburtsstunde des späteren RSB war. Die Aufnahme überblendet langsam ins Heute, Konstanze von Gutzeit sitzt im Ensemble, greift die Melodielinie auf und führt sie sehnsuchtsvoll zu Ende.

Konstanze von Gutzeit spielt das Andantino von Fritz Kreisler.
Konstanze von Gutzeit spielt das Andantino von Fritz Kreisler.

© Peter Adamik

Im Gespräch mit Moderatorin Anette Gerlach erzählt Chefdirigent Vladimir Jurowski, warum sein Orchester – wie er dem Tagesspiegel im Interview erklärt hat – ein Alleskönner ist und wie er als 25-Jähriger erstmals das RSB dirigierte. Das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg“, das 1929 beim Einzug ins neue Haus des Rundfunks an der Masurenallee erklang, gerät angemessen prunkvoll, wenn auch ein bisschen langsam und getragen. Im starken Kontrast dazu: der 3. und 4. Satz des Violinkonzerts von Strawinsky, das dieser zu Beginn der 30er Jahre selbst mit dem Orchester aufgeführt hat. Solistin Simone Lamsma verausgabt sich völlig, spielt herb, herzlich, furios.

Kulturstaatssekretärin Claudia Roth bei ihrer Rede zum Jubiläumskonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin.
Kulturstaatssekretärin Claudia Roth bei ihrer Rede zum Jubiläumskonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin.

© Peter Adamik

Das Orchester ein Alleskönner: Auch Barockmusik funkelt an diesem Abend, hinreißende Tänze von Jean-Féry Rebel, mit einem lauten Schellenring im Schlagwerk, der sich leider etwas zu präsent in den Vordergrund drängt. Sehr originell die „Bagatellen für B.“ von Reiner Bredemeyer: eine Skelettierung des Wiener Klassikers Beethoven, zugleich ein wildes Panoptikum aus Motiven und Original-Komposition, interpretiert von Heike Gneiting am Klavier. Das Ende, umgestülpt: Alle Musiker stimmen sich ein, aber nicht auf A, sondern – auf B. Witzig.

Gar nicht witzig war die politische Entwicklung in Deutschland, die Nationalsozialisten vereinnahmten das Medium Rundfunk für ihre Zwecke ähnlich wie Rechtspopulisten und Verschwörungsgläubige heute das Medium Internet. Als alles vorbei war, das Deutsche Reich in einem Meer aus Blut, Tränen und Giftgas untergegangen war, fand sich das RSB in einem neuen Land wieder, der DDR. Aufgeweckt und brillant gespielt: die Orchestersuite Nr. 3 nach dem Film „Kuhle Wampe“ von Hanns Eisler.

Katherine Mehrling ist kurz darauf für ihre Interpretation des Songs „Youkai“ von Kurt Weill auf Mikrofonverstärkung angewiesen, was in der Philharmonie immer befremdet. Junge Musiker der Deutschen Streicherphilharmonie kommen für Tschaikowskys Serenade für Streichorchester hinzu, fulminanter Ausklang ist der Marsch aus Prokofjews Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“. Das weist schonmal auf den kommenden Sommer voraus, dann wird das RSB ein dreitägiges Fest an seiner alten Wirkungsstätte feiern, dem Funkhaus Nalepastraße, und dort mit der Doppelbedeutung des Wortes „Funk“ spielen. Der DJ heißt Prokofjew, doch damit nicht genug: Er ist auch tatsächlich der Enkel des russischen Komponisten.

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