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Abgesperrt. Eines der Lager auf der griechischen Insel Kos.

© AFP/Aris Messinis

In der „Hölle der Asylsuchenden“: Was Migranten erleben, wenn sie es bis Griechenland schaffen

Auf der Insel Kos harren Menschen in der Hoffnung auf Asyl aus. Sie leben dort unter haftähnlichen Bedingungen, ihre Verzweiflung ist groß. Unsere Autorin hat mit ihnen gesprochen.

Von Aora Helmzadeh

Vergangene Woche kenterte ein überladenes Fischerboot vor der griechischen Küste. Von den geschätzt 750 Geflüchteten an Bord konnten nur 104 gerettet werden.

Die griechische Küstenwache wurde scharf kritisiert, rechtfertigte sich aber: Die Geflüchteten hätten es abgelehnt, sich von ihnen retten und nach Griechenland bringen zu lassen. Warum? Darum geht es in diesem Text.

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Dieser Bericht basiert auf Interviews mit Menschen auf der griechischen Insel Kos, in der Nähe des bekannten Abschiebegefängnisses. Es wird derzeit häufiger als Modell genannt für das, was im Rahmen der Reform des EU-Asylrechts geplant ist.

Wir beginnen die Reise am Anfang. Stellen Sie sich vor, Sie sind nicht Sie selbst, sondern leben in Afghanistan, im Iran, Irak, in Syrien oder einem anderen kaputten Land. Stellen Sie sich vor, Ihre Familie wird von den Taliban, dem Assad-Regime, den iranischen Mullahs oder dem IS bedroht, gefoltert, eingesperrt. Vielleicht sehen Sie auch aus anderen Gründen keine Perspektive. Sie wollen leben, Würde und suchen einen Ausweg.  Also machen Sie sich auf den Weg. Europa hört sich gut an.  

Sie kommen zur türkischen Grenze. Wie viele werden Sie von der türkischen Polizei gefasst, sie entkleiden Sie und nehmen Ihnen alle Habseligkeiten weg. Vielleicht schiebt man Sie zurück. Zum Beispiel in den Iran. Die Polizei verprügelt Sie, dass Sie bereuen, jemals geboren zu sein. Nach mehreren Anläufen schaffen Sie es und überqueren die Grenze. Glück gehabt. Allerdings haben Sie spätestens jetzt definitiv kein Geld mehr. Für die Weiterreise benötigen Sie mindestens 3000 bis 5000 Euro. Also jobben Sie. 

27 Anläufe, die Grenze zu überqueren

Das nächste Ziel ist Griechenland. Dafür braucht man außer Geld auch unheimlich viel Glück! Wählen Sie den Landweg, werden Sie wahrscheinlich bei der Überquerung des Fluss Maritsa von der griechischen Polizei verhaftet. Sie werden geschlagen und entkleidet, zurückgeschickt. Ich habe mit einem Mann gesprochen, der 27 Anläufe brauchte, bis er die Grenze passiert hatte.

Und wenn Sie Griechenland über das Mittelmeer erreichen wollen, dann segne Sie Gott! Die Überfahrt ist, das wissen Sie, sehr gefährlich. Gehen wir einmal davon aus, Ihr Boot hält, dann treffen Sie nun vielleicht auf die griechische Küstenwache. Ein Mann sagte im Interview, dass die Küstenwache um ein Flüchtlingsboot raste, bis es durch den Wellengang sank.

Doch gehen wir davon aus: Sie schaffen es ans Ufer, dann brauchen Sie wieder Glück. Immer wieder berichten Flüchtlinge, dass sie von der Polizei wieder aufs Meer zurückgeschickt wurden.

Die griechische Regierung bestreitet solche Push-Backs. Doch ich habe viele getroffen, die persönlich diese Praxis erlebt haben.

Gehen wir einmal davon aus, Sie schaffen es an Land. Dann könnten Sie jetzt von der griechischen Polizei als Menschenschmuggler verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Wie bitte? Ja, genau. In der Regel schicken die türkischen Schleuser ihre Kunden allein aufs Meer. Wer von den Flüchtenden das Steuern des Bootes übernimmt, macht sich als Menschenschmuggler strafbar.

Gehen wir aber davon aus: Ihr Boot geht nicht unter, Sie erleben keinen Push Back, werden nicht verhaftet, dann beantragen Sie jetzt Asyl: Willkommen in Griechenland, der „Hölle der Asylsuchenden“!

Wenn Sie aus Afghanistan, Bangladesch, Pakistan, Somalia und Syrien kommen, besteht eine 95-prozentige Chance, dass Ihr Asylantrag innerhalb von zwei Wochen abgelehnt wird. Sie haben 20 Tage, um Griechenland zu verlassen oder einen Berufungsantrag zu stellen. Der Nachteil der Berufung ist, dass Sie im Falle eines negativen Bescheids sofort verhaftet werden können, was in etwa 90 Prozent der Einspruchsfälle der Fall ist. Bis zu 18 Monate dauert diese Haft.

Nun landen Sie zum Beispiel in dem erwähnten Abschiebegefängnis auf Kos. Den Häftlingen wird bei der Ankunft das Handy abgenommen oder die Handykamera wird zerstört. Deswegen gibt es kaum Bilder dieser Gefängnisse.

Ex-Häftlinge berichten von Zimmern mit bis zu zwölf Personen; zusammengepfercht. Ein Jugendlicher sagte, er habe sich aus Verzweiflung und Depression selbst schwer verletzt. Es gibt viele Berichte von Selbstmord und psychischer Erkrankung. 

Ein Lager für Geflüchtete auf Kos: Wer hier lebt, hat Glück gehabt und ist zumindest nicht im Mittelmeer ertrunken.
Ein Lager für Geflüchtete auf Kos: Wer hier lebt, hat Glück gehabt und ist zumindest nicht im Mittelmeer ertrunken.

© AFP/Aris Messinis

Für viele beginnt nun ein Kreislauf. Sie werden entlassen, sollen das Land verlassen und werden abermals eingesperrt. Die Wenigen, die Asyl bekommen, werden ohne Hilfe entlassen, viele landen abermals im Gefängnis.

Gerade haben sich die EU-Innenminister auf eine Reform des gemeinsamen Asyl-Systems geeinigt. Kernstück der Reform ist die Errichtung von Auffanglagern an den Außengrenzen, und die Abschiebegefängnisse in Griechenland gelten als Vorbilder. Allerdings sollen die Verfahren verschärft und die Grenzen noch besser gesichert werden. Da will man sich gar nicht mehr vorstellen, ein Flüchtling zu sein.

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