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Kann sich Premier Sanchez doch noch seine Wiederwahl sichern?

© AFP/FERNANDO CALVO

Vorgezogene Neuwahlen in Spanien: Bricht Spanien mit Regierungschef Sánchez?

Spanien wählt bald ein neues Parlament. Den Sozialdemokraten von Premier Sánchez droht eine Niederlage. Die Opposition macht den politischen Stil des Amtsinhabers zum Thema.

Von Juan F. Álvarez Moreno

Waghalsig, ehrgeizig, unberechenbar. Ein Narzisst, der „um jeden Preis an der Macht festhält“: So porträtierte die konservative Zeitung „El Mundo“ Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez vor Kurzem. Die kommenden Parlamentswahlen seien die finale Prüfung für das System Sánchez, den „Sanchismus“, schreibt das Blatt.

Am 23. Juli entscheiden die Spanier, ob der Sozialdemokrat an der Macht bleibt – bis dahin ist ein harter Wahlkampf zu erwarten. Die Oppositionsparteien haben dabei das Ziel, den „Sanchismus“ abzuschaffen.

Sánchez’ Sozialdemokraten hatten die Kommunal- und Regionalwahlen Ende Mai deutlich verloren. Am Tag nach der Wahl rief Sánchez überraschend vorgezogene Parlamentswahlen aus. Eine Flucht nach vorne, mit der er seinen parteiinternen Kritiker zuvorkam. Denn Sánchez hatte die Regionalwahlen zu einer Abstimmung über seine Politik gemacht.

Seine Wähler sehen ihn als fähig, führungsstark und mutig; seine Gegner als einen arroganten Menschen, der zu allem fähig ist, um Recht zu behalten.

Berta Barbet, Politologin der Analystengruppe Politikon

Statt sich seinen Parteigegnern nach der Wahlschlappe zu stellen, stellt sich Sánchez lieber gleich dem Volk zur Wahl. Offiziell beginnt der neue Wahlkampf erst im Juli, doch alle führen ihn bereits. Und es dreht sich wieder alles um den Sozialdemokraten.

„Sánchez stößt wegen seines politischen Stils bei vielen auf Ablehnung“, sagt Berta Barbet, Politologin der Analystengruppe Politikon, dem Tagesspiegel. Er sei bekannt für seinen Wagemut und sein Selbstvertrauen – ein zweischneidiges Schwert, so Barbet: „Seine Wähler sehen ihn als fähig, führungsstark und mutig; während seine Gegner ihn als einen arroganten Menschen wahrnehmen, der zu allem fähig ist, um Recht zu behalten.“

Barbet erwartet von der Opposition einen emotionalen Wahlkampf um die Person Sánchez, bei dem seine Politik eine untergeordnete Rolle spielen werde. Denn die Bevölkerung bewerte die Maßnahmen seiner Regierung eher positiv, sagt die Politologin.

Die Inflation im Land liegt gerade mal bei drei Prozent

Aktuell liegt die Inflation in Spanien laut Eurostat unter drei Prozent – halb so viel wie in Deutschland. In den fünf Jahren der Regierung Sánchez sank die Arbeitslosenzahl trotz Pandemie, Ukrainekrieg und Energiekrise. Zugleich stieg der Mindestlohn um 25 Prozent.

In den Umfragen führt dennoch die oppositionelle konservative Volkspartei (PP). 32 Prozent der Spanier würden sie heute wählen. Sanchez’ Sozialdemokraten liegen bei 25 Prozent, gefolgt von der rechtspopulistischen Partei Vox und der linken Sammelbewegung Sumar.

Im Parlament kämen bei einer Wahl Konservative und Rechte auf eine satte Mehrheit, würde sich die PP für einen Pakt mit den Rechtspopulisten entscheiden.

Es gibt keine Brandmauer nach rechts

Doch genau das bietet Sánchez Angriffsfläche. Denn nach den Regional- und Kommunalwahlen kann die konservative PP vielerorts nur mithilfe der rechtspopulistischen Vox regieren. Der PP-Vorsitzende, Alberto Núñez Feijóo, schloss Koalitionen mit den Rechten bisher nicht aus. Eine Brandmauer nach rechts, wie sie in Deutschland oft beschworen wird, gibt es in Spanien nicht.

In mehreren Städten hat sich die PP bereits für Koalitionen entschieden. Doch Politologin Barbet bezweifelt, dass Sánchez von der „Angst vor den Rechten“ profitieren kann. „Die PP-Wähler rechnen mit einem Pakt mit Vox und glauben, dass das besser ist als eine Regierung mit Linken und Nationalisten.“

Der lange Schatten des ETA-Terrorismus

Auch Sánchez steht wegen politischer Partner in der Kritik, insbesondere der baskischen linksnationalistischen Partei Bildu. Bei den Kommunalwahlen traten Dutzende ehemalige Mitglieder der 2011 aufgelösten baskischen Terrorgruppe ETA für die Bildu an. Sieben von ihnen hatten zuvor Haftstrafen wegen Mordes abgesessen.

„Die ETA lebt weiter, sie ist an der Macht und lebt von unseren Geldern“, polemisierte Isabel Díaz Ayuso, Chefin der PP in der Region Madrid.

Doch ohne die parlamentarische Unterstützung von Bildu und anderen kleinen Parteien hat Sánchez kaum Chancen, erneut Ministerpräsident zu werden. „Das werden die Konservativen im Wahlkampf für sich nutzen“, vermutet Barbet.

25
Prozent der Spanier würden laut Umfragen derzeit die Sozialdemokraten wählen. Die Konservativen kämen auf 32 Prozent.

Neu in diesem Wahlkampf ist das Thema Klimakrise. Grund dafür ist auch ein in Deutschland beliebtes Lebensmittel: die Erdbeere. Sie wird in der andalusischen Region Huelva rund um ein Feuchtgebiet angebaut, während der nahe gelegene Nationalpark wegen der Dauerdürre austrocknet.

Andalusiens konservative Regierung will nun illegale Anbauflächen legalisieren, was Sánchez Zentralregierung strikt ablehnt. Als die Aktivistengruppe Campact aus Deutschland – dem wichtigsten Exportziel spanischer Erdbeeren – zum Boykott des spanischen Produkts aufrief, teilte Sánchez die Forderung auf Twitter. Die Konservativen beschuldigten ihn daraufhin, sich an einer Hetzkampagne gegen die Bauern zu beteiligen.

Sánchez hat nun nur noch wenige Wochen, um eine erneute Wahlschlappe abzuwenden und Ministerpräsident zu bleiben. Wenig Zeit, um den Rückstand aufzuholen. Nach dem überraschenden Neuwahl-Manöver könnte dem unberechenbaren Sozialdemokraten dabei erneut sein Wagemut helfen. „Sánchez liegt in Umfragen hinten”, sagt Politologin Barbet. „Er hat wenig zu verlieren.“

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