zum Hauptinhalt
Im Computer-Kurs, der in einem Gebäude auf dem Schulgelände von Mankosi angeboten wird, lernen die Schülerinnen mehr als nur Surfen.

© Roger Jardine Photography

„Von der Dunkelheit ins Licht geführt“: Wie ein Dorf in Südafrika das Internet für alle einführte

Zenzeleni Community Networks ist der erste Internetanbieter in Südafrika, der einer Kooperative gehört. Er hat das Leben einer kleinen Gemeinde grundlegend geändert.

Von Leonie March

Frühmorgens, wenn Nontsokolo Sigcau aufwacht, wirft sie zuerst einen Blick auf ihr Smartphone. Die Großmutter schaut nach, ob die Internet-Verbindung funktioniert. „Das ist eine meiner Pflichten“, sagt sie. Denn auf ihrem Grundstück ist der zentrale Hotspot ihres Dorfs installiert. „Wenn ich keinen Zugang habe, dann sind meine Nachbarn auch offline“, erklärt Sigcau. Und das seien sie lang genug gewesen.

Sie tritt aus der Tür: Ihr Haus liegt auf einem der vielen Hügel von Mankosi, einer Gemeinde aus insgesamt zwölf Dörfern an Südafrikas Wild Coast. Etwa 5000 Menschen leben hier, Sigcaus Nachbarn wohnen weit verstreut in grasgedeckten Rundhäusern, teils ergänzt durch modernere rechteckige Häuser mit Blechdächern. In der weiten Graslandschaft weiden Kühe, Bauern bewirtschaften kleine Felder. Bis zur nächsten Teerstraße ist es weit, unbefestigte Straßen und Fußpfade führen durch die Gemeinde.         

Dunkle Zeiten

Die Gegend gehört zu den ärmsten in Südafrika. Erst vor ein paar Jahren wurden die Häuser an das Stromnetz angeschlossen, Wasser gibt es bis heute nur aus kommunalen Hähnen, die sich mehrere Haushalte teilen. Auch um ein Mobilfunksignal zu empfangen, musste man früher weit laufen, sagt Sigcau. „Das waren dunkle Zeiten. Wir waren von der Welt abgeschnitten.“

Nontsokolo Sigcau (rechts), ist eine der Gründerinnen der Zenzeleni-Kooperative in Mankosi und hilft ihren Nachbarinnen bei Internet-Fragen.
Nontsokolo Sigcau (rechts), ist eine der Gründerinnen der Zenzeleni-Kooperative in Mankosi und hilft ihren Nachbarinnen bei Internet-Fragen.

© Roger Jardine Photography

Aber das ist nun Geschichte. „Wir haben uns selbst geholfen“, sagt Sigcau und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern hat sie Zenzeleni Community Networks gegründet, den ersten Internetanbieter Südafrikas, der einer Kooperative gehört und nicht, wie üblich, einem der großen Telekommunikationskonzerne. Zenzeleni bedeutet in der Sprache isiXhosa so viel wie „Mach es selbst.“

Sigcau brennt darauf, zu erklären, wie ihr System funktioniert. Auf dem Dach des kleinen Ladens, der zu ihrem Grundstück gehört, ist ein Solarpanel installiert, das den Hotspot mit Strom versorgt. Sigcau deutet auf eine runde Antenne an der Hauswand: „Sie empfängt das Signal von unserem Turm, leitet es an meinen Hotspot weiter und der teilt es dann mit meinen Nachbarn.“ Das drahtlose Mesh-Netzwerk ihrer Kooperative besteht aus mehreren miteinander verbundenen sogenannten Knoten, die das Signal in der weitläufigen Ortschaft übertragen.

Zwei Männer, eine Idee

Wenn sie nach einem der in Südafrika häufigen Stromausfälle die Verbindung nicht wiederherstellen kann, ruft sie einen der drei Techniker ihres Netzwerks an. Sinethemba Lukozi ist einer von ihnen. Der 33-Jährige ist an diesem Tag zur Inspektion ins rund 40 Kilometer entfernte Nomadola gefahren, zu einem der beiden Mobilfunkmasten des Netzwerks.

Mit einem Seil gesichert, einen Helm auf dem Kopf, klettert er nach oben und prüft die Kabelverbindungen. Das Signal wird vom Universitätscampus in der nächstgrößeren Stadt Mthatha übertragen, dort ist das Netzwerk seit 2017 an das Glasfasernetz angeschlossen. 

Unsere Kinder sollen sich in der digitalen Welt zurechtfinden.

Sinethemba Lukozi, Netzwerk-Techniker

Früher hat Lukozi im Lager eines Supermarkts in Mthatha gearbeitet. Dass er nun in seinem eigenen Dorf arbeiten und zu dessen Entwicklung beitragen kann, erfüllt ihn mit Stolz. „Unsere Eltern hatten keine Bildungschancen und auch wir kaum. Unsere Kinder sollen sich in der digitalen Welt zurechtfinden.“ Zenzeleni Community Networks hat seine technische Grundausbildung bezahlt und schickt ihn auch regelmäßig zu Fortbildungen.

Begonnen hat alles vor zehn Jahren mit einer Begegnung von zwei jungen Männern: dem lokalen Aktivisten Masibulele Jay Siya und dem spanischen Studenten Carlos Rey Moreno. Der studierte damals Informations- und Kommunikationstechnologien für Entwicklung an der University of the Western Cape und kam für eine Fallstudie nach Mankosi. „Ich habe Carlos gesagt, dass wir daran interessiert sind, aber nur wenn die lokale Bevölkerung auch etwas davon hat“, erinnert sich Siya, der damals für eine lokale Entwicklungsorganisation arbeitete.

So entstand die Idee für den Aufbau eines eigenen Netzwerks, das zuverlässig und preiswert sein sollte. Damals habe man nur auf bestimmten Hügeln Mobilfunksignale empfangen und auch diese Verbindung sei nicht stabil gewesen, erzählt Siya. Zudem sind Telekommunikationskosten und Datenpreise in Südafrika so teuer wie in kaum einem anderen afrikanischen Land. „Die Kosten waren unerschwinglich für die Dorfbewohner“, sagt Siya. Sie betrugen damals über ein Fünftel ihres Einkommens.

Digitale Spaltung

Die Gründung dieses Community-Netzwerks war „historisch“, sagt Shaun Pather, Professor an der University of the Western Cape sowie Vorsitzender von Zenzelenis Non-Profit-Organisation. Nach Angaben der südafrikanischen Statistikbehörde hat nur eine Minderheit einen Internetanschluss zu Hause, mehr als die Hälfte gehen über ihr Mobiltelefon online. Weltweit leiden Schätzungen zufolge 2,9 Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung, unter der sogenannten digitalen Spaltung.    

Das Netzwerk hilft der Community bei der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, der Suche nach Arbeitsplätzen und der Kommunikation mit Regierungsbehörden.

Shaun Pather, Professor an der University of the Western Cape und Vorsitzender von Zenzelenis Non-Profit-Organisation

Zenzeleni Community Networks war 2014 die erste Kooperative, die von der Regulierungsbehörde, Independent Communications Authority of South Africa, eine Ausnahmegenehmigung erhielt. Die wenigen lokalen Unternehmen, darunter ein Backpackers-Hostel, haben Abos abgeschlossen, die Einwohner kaufen Voucher, die einen Monat gültig sind. 25 Rand, umgerechnet etwa 1,40 Euro, kostet die Flat-Rate, dafür bekommt man bei den großen Anbietern nicht einmal 240MB.

Ein weiterer Vorteil: Das Geld geht nicht an Konzerne, sondern bleibt in den Dörfern. Etwa 350 Voucher verkaufen die Mitglieder der Kooperative in Mankosi jeden Monat, in Ferienzeiten, wenn viele junge Leute im Dorf sind, verdoppelt sich diese Zahl nahezu.

Neue Perspektiven

Die University of the Western Cape begleitet das Projekt wissenschaftlich. Gerade sei eine Studie zu den Auswirkungen des Netzwerks abgeschlossen worden, erzählt Shaun Pather. „Das Netzwerk hilft der Community bei der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, der Suche nach Arbeitsplätzen und der Kommunikation mit Regierungsbehörden“, sagt Shaun Pather.

Meine Enkelin wird es besser haben als wir.

Nontsokolo Sigcau 

Ein großer Schritt nach vorn sei die Einrichtung eines gemeinschaftlich genutzten solarbetriebenen Computerlabors, das vor rund einem Jahr mit Hilfe von Sponsorengeldern auf dem Gelände der örtlichen Schule eingerichtet wurde.

Drinnen unterrichtet Yoleka Libalele einige Schülerinnen. „Mir ist aufgefallen, dass sie zwar Smartphones haben, aber ihr Wissen extrem begrenzt ist“, sagt Libalele. Zum Beispiel können sie zwar einen Link öffnen, aber im Internet nicht gezielt nach Informationen suchen. Auch E-Mail-Programme sind neu für sie, bislang nutzten sie nur Kurznachrichtendienste. Einen eigenen Computer besitzen die wenigsten Familien in dieser Gegend.

Konzentriert tippt die Siebtklässlerin Bulela Qatsi ein Bewerbungsschreiben in ein Textverarbeitungsprogramm. „Ich bin schon etwas schneller geworden. Zu Anfang sah es so aus, als würde ich Bohnen pflücken“, erzählt sie etwas verlegen.

Mittlerweile geht nicht nur das Tippen schneller, die Schülerin kann Texte auch abspeichern und kennt die Grundlagen der Tabellenkalkulation. Das Mädchen strahlt über das ganze Gesicht: „Mit diesen Kenntnissen kann ich mich bald für die weiterführende Schule bewerben und später vielleicht für die Universität. Und das alles online, ohne, dass ich hinfahren muss.“         

In Südafrika hat das Projekt bereits Nachahmer gefunden, in anderen Regionen haben sich ebenfalls Community Networks gegründet. „Ich bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagt Nontsokolo Sigcau.

Früher galt die Gegend als rückständig, aber nun kämen Leute von überall her, um zu lernen. Ihre Enkelin klettert auf ihren Schoss. „Sie wird es besser haben als wir. Sie kann studieren und muss dafür nicht einmal wegziehen. Sie kann online lernen“, sagt die Großmutter. Zenzeleni habe sie „von der Dunkelheit ins Licht geführt.“ Es sei ihr Erbe für die kommenden Generationen.

Diese Recherche wurde gefördert vom European Journalism Center durch das Programm Solutions Journalism Accelerator. Dieser Fonds wird unterstützt von der Bill und Melinda Gates Foundation.     

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false