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Ein Mann durchsucht am 9. März 2023 die Trümmer eines Hauses nach einem russischen Angriff in dem Dorf Velyka Vilshanytsia, etwa 50 km von Lwiw entfernt. 

© AFP/Yuriy Dyachyshyn

Verluste, Zerstörung, Vernichtung: 600 Tage Krieg in der Ukraine – eine Zwischenbilanz

Vor 600 Tagen ist Russland in der Ukraine eingefallen. Auf beiden Seiten sollen bis zu 500.000 Soldaten getötet und verwundet worden sein. Auch Wohnraum, Schulen und Krankenhäuser wurden massiv zerstört.

Es war ein Tag, der die Welt verändern sollte: Am 24. Februar 2022 begann Russland mit einer groß angelegten Invasion in der Ukraine. Der von Moskau als „Sonderoperation“ bezeichnete Einmarsch sollte nach dem inoffiziellen Plan des Kremls relativ rasch erfolgen – mittlerweile dauert der Krieg schon 600 Tage an. Die Ukraine verteidigt ihre Grenzen und kämpft an einer Frontlinie von 3800 Kilometer. Die menschlichen Opfer zeigen, dass der Krieg zu einem der größten Konflikte in Europa ausgewachsen ist.

Vom 24. Februar 2022 bis zum 24. September 2023 verzeichnete das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) 27.449 zivile Opfer in der Ukraine: 9701 Tote und 17.748 Verletzte. Nach Angaben des OHCHR gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der zivilen Opfer viel höher ist.

Insbesondere die Daten aus Mariupol in der Region Donezk sowie aus Lyssytschansk, Popasnaja und Sewerodonezk in der Region Luhansk, wo zahlreiche Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung verzeichnet wurden, müssen noch geklärt und bestätigt werden.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, hat den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag besucht.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, hat den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag besucht.

© dpa/Remko De Waal

Was bekannt ist: Nach Zahlen der Vereinten Nationen handelt es sich bei den Todesopfern um 4521 Männer, 2707 Frauen, 289 Jungen und 237 Mädchen. Das Geschlecht von 29 Kindern und 1918 Erwachsenen konnte noch nicht ermittelt werden. Am 18. September begann in Den Haag die Anhörung über eine Klage der Ukraine gegen Russland gemäß der Völkermordkonvention.

Nach Angaben von US-Beamten, die im August 2023 von der „New York Times“ veröffentlicht wurden, wurden bis zu 500.000 ukrainische und russische Militärangehörige getötet oder verwundet. Die genaue Zahl der Opfer sei allerdings schwer zu ermitteln, da Russland sie zu niedrig ansetze und die Ukraine sie nicht offenlege.

Angehörige und Freunde trauern nach einem russischen Luftangriff im ostukrainischen Dorf Goza.
Angehörige und Freunde trauern nach einem russischen Luftangriff im ostukrainischen Dorf Goza.

© AFP/Genya Savilov

Die Verluste des russischen Militärs belaufen sich nach offiziellen Angaben auf annähernd 300.000 (etwa 120.000 Tote und 170.000 bis 180.000 Verwundete). Die Ukraine verzeichnet etwa 70.000 getötete und 100.000 bis 120.000 verwundete Soldaten.

Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Oleksiy Danylov, bezeichnete die Informationen der westlichen Medien über die Höhe der ukrainischen Verluste während des gesamten Krieges als unzuverlässig. In einem Interview mit der „Welt“ erklärte er: „Unsere Armee ist nicht so groß, dass man von Verlusten von 70.000 Soldaten sprechen könnte. Diejenigen, die solche Zahlen nennen, haben offensichtlich keine genauen Informationen über die Lage in unserem Land“, sagte Danylov.

Schulbildung massiv beeinträchtigt

Massive Auswirkungen hat der Krieg auch auf das Bildungssystem im Land, der Zugang für Millionen Kinder und Jugendliche wird erschwert. Mehr als 3500 Gebäude wurden beschädigt oder zerstört, darunter 1700 Einrichtungen der Sekundarstufe, mehr als 1.000 Vorschulen und 586 Hochschulen.

Auch im Bereich des Gesundheitswesens nehmen die Verluste weiter zu. Sie wurden bis September 2023 auf 2,9 Milliarden Dollar geschätzt. Insgesamt wurden 1223 medizinische Einrichtungen durch den Krieg zerstört oder beschädigt, darunter 384 Krankenhäuser und 352 ambulante Kliniken.

Nicht geringer ist auch die Zahl an Kultureinrichtungen im Land, die Schaden genommen hat. Mehr als 1700 Objekte wurden beschädigt – darunter Klubhäuser, Bibliotheken, Kunstschulen, Museen, Galerien und Theater. Die größten Verluste und Schäden an der kulturellen Infrastruktur gab es in den Regionen Donezk, Cherson, Charkiw, Kiew, Mykolajiw, Luhansk und Saporischschja. 

Angriffe auf Infrastruktur und Energie

Die Kiewer Wirtschaftshochschule schätzt die direkten Schäden an Geäuden und Infrastruktur auf 150,5 Milliarden US-Dollar, wovon 55,9 Milliarden auf Wohngebäude entfallen. Schäden in Höhe von etwa einer Milliarde US-Dollar entstanden durch Überschwemmungen und die Zerstörung von Wohnhäusern infolge der Explosion des Kachowka-Kraftwerks. Im Detail: Insgesamt wurden bisher 167.000 Wohngebäude zerstört, davon 148.000 Privathäuser und 19.000 Mehrfamilienhäuser.

Rettungskräfte helfen nach einem russischen Raketenangriff in Charkiw.
Rettungskräfte helfen nach einem russischen Raketenangriff in Charkiw.

© AFP/Sergey Bobok

Der Infrastruktursektor – also Verkehr, Eisenbahninfrastruktur, Straßen, Luftfahrt und Häfen – steht an zweiter Stelle, was die Höhe der Schäden betrifft. Sie belaufen sich auf 36,6 Milliarden US-Dollar. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine wurden 18 Flughäfen und zivile Flugplätze, mindestens 344 Brücken und Brückenkreuze sowie mehr als 25.000 Kilometer staatliche und lokale Autobahnen und Gemeindestraßen beschädigt. 

Die Verluste an Wirtschaftsgütern werden auf 11,4 Milliarden US-Dollar geschätzt, wobei mindestens 426 große und mittlere Privatunternehmen und staatliche Unternehmen seit Kriegsbeginn beschädigt oder zerstört wurden. Ihre Zahl könnte jedoch höher sein, da noch keine Informationen über Einrichtungen in den besetzten Gebieten vorliegen.

50
Prozent des gesamten Energiesystems wurden beschädigt

Nach Angaben des ukrainischen Energieministeriums wurden durch die Kämpfe und die Raketenangriffe auf das Energiesystem 50 Prozent der gesamten Infrastruktur beschädigt. Betroffen sind 24 Erzeugungsanlagen, darunter Wärmekraftwerke, Wärmezentralen, Wasserkraftwerke und -speicher, etwa die Hälfte der Umspannstationen des Übertragungsnetzes und 43 Prozent der Hauptnetze.

Aufgrund der Besetzung des Kernkraftwerks Saporischschja stehen dem ukrainischen Energiesystem etwa 44 Prozent der nuklearen Erzeugung nicht zur Verfügung.

Gebietsverluste und erfolgreiche Rückeroberung

Nach dem Beginn der groß angelegten Invasion gelang es den russischen Streitkräften, fast 3500 Siedlungen in der Ukraine zu beschlagnahmen. Wie das ukrainische Integrationsministerium berichtet, wurden von Ende September seit Beginn der Invasion 687 Siedlungen in 87 Gebietskörperschaften enteignet, 2804 Siedlungen in 144 Gebietskörperschaften stehen unter russischer Besatzung.

Nach Angaben des Instituts für Kriegsforschung hat Russland 2023 insgesamt 857 Quadratkilometer erobert, von denen die ukrainische Armee jedoch bereits 370 Quadratkilometer zurückgeholt hat. Jetzt halten die Russen etwa 487 Quadratkilometer.

Die Russische Föderation kontrolliert derzeit etwa 18 Prozent des ukrainischen Hoheitsgebiets, insbesondere die Krim und den Donbass. Seit Beginn des Krieges im Jahr 2014 haben die Russen etwa sieben Prozent des Territoriums erobert, seit dem 24. Februar 2022 weitere zehn Prozent.

Insgesamt wurden bei den Offensivaktionen der ukrainischen Armee im Süden bereits mehr als 260 Quadratkilometer befreit, weitere 51 Quadratkilometer im Gebiet von Bachmut.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es im Teaser, bis zu 500.000 Soldaten seien bislang auf beiden Seiten im Krieg getötet worden. Es handelt sich aber um Getötete und Verwundete. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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