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Die Entdeckung von Massengräbern im vergangenen Monat in einem Wald nahe der Küstenstadt Malindi hat das mehrheitlich christliche und tief religiöse Kenia erschüttert.

© AFP/SIMON MAINA

Update

Verkaufte Pastor Organe von Gemeindemitgliedern?: Zahl toter Sektenmitglieder in Kenia steigt auf 179

Nach dem Fund eines Massengrabs in Kenia ermitteln die Behörden gegen einen selbsternannten Pastor wegen Terrorismus. Der Fall schockiert das Land – und gibt Rätsel auf.

| Update:

Nach neuen Leichenfunden ist die Zahl der Todesopfer eines extremen Sektenkults in Kenia auf 179 gestiegen. Ermittler entdeckten am Freitag 29 weitere Leichen in dem großen Waldgebiet nahe der Küstenstadt Malindi im Süden des Landes, wie die regionale Regierungsbeamtin Rhoda Onyancha mitteilte. Bei der jüngsten Suche seien keine Überlebenden gefunden worden, fügte Onyancha hinzu.

Bis vor kurzem war der Shakahola Forest ein selten betretenes Gebiet. Das änderte sich jedoch, als der Landstrich hinter Kenias Ostküste über Nacht zum wohl gruseligsten Wald der Welt wurde.

Heute liegt seine rote Erde zu Hügeln aufgeschüttet, markiert mit Nummern, dahinter Polizeiabsperrband: Die Entdeckungen verhungerter Kinderleichen wollen kein Ende nehmen.

Der Fall des selbsternannten Pastors Paul Mackenzie Nthenge sorgte weltweit für Schlagzeilen. Der Anführer der „Good News International Church“ muss sich in Kenia wegen „Terrorismus und Radikalisierung“ vor Gericht verantworten, weil er seine Anhänger zum Todesfasten aufgerufen haben soll.

Beweise deuten darauf hin, dass Kinder und Frauen zum Todesfasten genötigt oder gewaltsam gezwungen wurden.

Alex Jamii, kenianischer Staatsanwalt

Ultimatives Ziel sei es gewesen, „Jesus zu begegnen“. Am Dienstag bargen die Behörden weitere 21 Leichen aus den Massengräbern, die Mackenzie offenbar rund um seine Kirche hatte ausheben lassen.

Langsam kommen die Grausamkeiten ans Tageslicht

Einige der Opfer starben Mitte April im Krankenhaus, nachdem die Polizei sie im Zuge einer Razzia gerettet hatte.

Ein Gericht in der Hafenstadt Mombasa hat für den Pastor Mackenzie inzwischen Untersuchungshaft von 90 Tagen angeordnet, genau wie seine Ehefrau und 17 weitere Verdächtige.

Unterdessen werden immer grausigere Details bekannt. „Die Beweise deuten darauf hin, dass Kinder und Frauen zum Todesfasten genötigt oder gewaltsam gezwungen wurden“, sagte vergangene Woche der kenianische Staatsanwalt Alex Jamii.

Laut Autopsie seien einige zu Tode geprügelt oder erstickt worden. Offen ist weiter die Frage, ob die Gläubigen für ihre Organe ihr Leben lassen mussten.

Bei Ausgrabungen im Shakahola-Wald kommen immer mehr verhungerte Leichen zum Vorschein, darunter auch Kinder.

© AFP/YASUYOSHI CHIBA

Während die zuständigen Gerichtsmediziner diese Theorie in Frage stellen, berichtete nun der Chefermittler von „fehlenden Organen bei einigen der Opfer“.

Politische Antwort auf den religiösen Extremismus

Für Präsident William Ruto handelt es sich bei dem Sektenführer um einen „schrecklichen Kriminellen“. Vergangene Woche rief er zum Kampf gegen „religiöse Extremisten, Sekten, Kulte und ähnliche Einrichtungen“ auf.

So soll eine Arbeitsgruppe aus katholischen, protestantischen und weiteren Kirchenoberhäuptern gemeinsam mit Juristen eine Strategie entwerfen, mit der die Regierung künftig den Glaubenssektor regulieren will. Das 14-köpfige Gremium habe ein halbes Jahr, um Gesetzesänderungen vorzuschlagen, heißt es.

360
Personen wurden in Verbindung mit der Sekte als vermisst gemeldet.

Zusätzlich wurde eine Untersuchungskommission ins Leben gerufen. Familien, die einen oder mehrere Angehörige an den Sektenführer verloren, wollen Antworten. Laut Rotem Kreuz wurden insgesamt 360 Personen in Verbindung mit dem Kult als vermisst gemeldet; viele davon bleiben verschwunden.

Umstrittene Regulation der Freikirchen

„Die Geschehnisse von Shakahola werden aufgrund der staatlichen Untersuchungen und Polizeiermittlungen von außenstehenden Akteuren beherrscht. Das könnte einen gesunden Trauerprozess stören“, meint der Psychologe Stephen Asatsa in der Hauptstadt Nairobi.

Überhaupt habe der Vorfall eine tiefgläubige, christlich und muslimisch geprägte Gesellschaft zum Zweifeln gebracht: „Die Menschen fühlen sich von einem ihrer höchstgehaltenen Hilfssystemen im Stich gelassen: Religion.“

In Kenia versammeln sich Millionen Anhängerinnen und Anhänger hinter Sektenführer und Freikirchen.

© AFP/SIMON MAINA

Auch aus politischer Sicht ist Rutos Vorstoß heikel. In Kenia wie auch in anderen afrikanischen Ländern vereinen Freikirchen und selbsternannte „Propheten“ Millionen Anhänger hinter sich.

Kein Einzelfall: Missbrauch in religiösen Sekten

Zugleich sorgen sie seit Jahren wegen Missbrauchsskandalen für Schlagezielen. In Südafrika etwa verfütterte ein Kultführer seinen Anhängern Schlangen, Benzin und Gras, die er in Süßigkeiten verwandelt haben will. Ein weiterer verkaufte seiner gutgläubigen Herde „Himmel-Selfies“, die ihn bei einem Nahtoderlebnis zeigen sollen – umringt von Wolken.

Erneut wurden zu Jahresbeginn Rufe nach einer Regulierung von Kirchen laut. In Johannesburg hatten mindestens 15 Menschen ihr Leben verloren, als sie bei einer Flusstaufe von dem plötzlich anschwellenden Wasser mitgerissen wurden.

179
Tote hat die Sekte bisher zu verantworten.

Kurz darauf geriet die Praxis einiger Freikirchen auch in den Fokus der Gesundheitsbehörden, da sie etliche Cholera-Fälle ausgelöst haben soll. Die Krankheit wird meist über verunreinigtes Wasser übertragen.

Während in Südafrika weiter diskutiert wird, will Kenia seine Kirchen künftig gesetzlich regulieren. Lange hatten sich traditionelle Glaubensführer gegen den staatlichen Eingriff gewehrt.

Jetzt betonten Kenias katholische Bischöfe aber: „Hätte es einen starken Mechanismus gegeben, der Religionen reguliert, hätte der lange Arm des Gesetzes Pastor Mackenzie davon abgehalten, Kenianer in den Massensuizid zu führen.“

Wie ernst es der Regierung ist, zeigt das Beispiel eines einschlägig bekannten Predigers in Westkenia. Der Mann, bekannt als „Jesus von Tongaren“, schart zwölf Jünger um sich und verkauft sich als biblische Reinkarnation.

Am Mittwoch wurde er von der Polizei zum Verhör geladen. Das sei laut Behörden „im öffentlichen Interesse“. (mit AFP)

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