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Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson will verhindern, dass sein Land für Asylbewerber attraktiv erscheint.

© Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson (dpa/JAVAD PARSA)

Schweden verschärft Abschiebe-Praxis: „Natürlich ist viel Symbolpolitik dabei“

Wer in Schweden als Nicht-EU-Bürger nur wenig Geld verdient, muss mit einer Abschiebung rechnen. Der Migrationsforscher Parusel erklärt, wie Regierungschef Kristersson den Kurs verschärft.

Herr Parusel, Schweden verfolgt innerhalb der EU eine besonders strikte Linie bei Abschiebungen. Wie sieht diese aus?
In der Tat gilt seit Anfang November eine deutliche erhöhte Einkommensschwelle für die Arbeitskräftezuwanderung nach Schweden. Arbeitsmigranten, die weniger als 27.360 Kronen im Monat verdienen – also umgerechnet 2345 Euro –, sollen nicht mehr zuwandern dürfen. Das bedeutet auch, dass Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Ländern, die schon in Schweden leben und eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben, wieder gehen müssen, wenn ihre Aufenthaltserlaubnis ausläuft und sie weniger verdienen. Unabhängig davon sollen Zuwanderer generell ihren Aufenthalt nicht mehr verfestigen können, sofern sie sich nicht selbst versorgen können. Sie sollen nicht mehr von befristeten in unbefristete Aufenthaltserlaubnisse wechseln können. 

In welchen Fällen sollen bereits erteilte Aufenthaltsgenehmigungen sonst noch widerrufen werden?
Zum Beispiel, wenn ein ursprünglicher Asylgrund nicht mehr vorliegt. Es wird aber auch geprüft, ob Migranten, die sich nicht „regelkonform“ verhalten, gegen „grundlegende schwedische Werte“ verstoßen oder mit extremistischen Organisationen assoziiert sind, ihre Aufenthaltsgenehmigungen wieder verlieren und zur Rückkehr gedrängt werden können. Hier stehen allerdings eine rechtliche Klärung und ein eventuelles Gesetzgebungsverfahren noch aus. Die Maßnahme würde wohl weit über die bereits praktizierte Priorisierung der Abschiebung von Terrorverdächtigen, Gefährdern und Straftätern hinausgehen.

Über erleichterte Abschiebungen von kriminellen Ausländern wird gerade auch im französischen Senat debattiert. Was halten Sie davon?
Ich finde es grundsätzlich nachvollziehbar, dass man schwere Straftäter konsequenter abschieben will. Aber es gibt keine Garantie, dass die Rückführungen am Ende tatsächlich auch zustande kommen. Das hängt stark vom jeweiligen Herkunftsland ab, und jeder Einzelfall ist anders. Die Erwartungen sind oft zu hoch.

In welche Länder wird der Großteil der nicht bleibeberechtigten Ausländer von Schweden aus abgeschoben?
Die Rückführungen erfolgen häufig in europäische Nicht-EU-Staaten, die als sichere Herkunftsstaaten gelten. Dazu zählen unter anderem Albanien und Serbien. Relativ viele gab es zuletzt auch nach Usbekistan und Georgien. Seit wenigen Wochen werden Migranten auch wieder in den Irak abgeschoben. Das war lange Zeit nicht möglich.

Während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 versuchten Migranten, vom dänischen Pattburg aus nach Schweden zu gelangen.
Während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 versuchten Migranten, vom dänischen Pattburg aus nach Schweden zu gelangen.

© REUTERS/SCANPIX DENMARK

Wie macht sich der harte Kurs der Regierung von Ulf Kristersson, die auf die rechtspopulistischen Schwedendemokraten angewiesen ist, in der Migrations- und Abschiebungspolitik sonst noch bemerkbar?
Man arbeitet auf breiter Front daran, Schweden für Asylsuchende weniger attraktiv zu machen und mehr Zugewanderte zum Verlassen des Landes zu bewegen. Bei Asyl und Familiennachzug ist das Ziel, dass Schweden nur das bieten soll, was das internationale und europäische Recht als Minimum verlangt. Außerdem ist geplant, den Informationsaustausch zwischen den Behörden in Migrationsfragen zu verbessern. Es sollen mehr Personenkontrollen innerhalb des Landes durchgeführt werden, und es soll eine Pflicht für Angestellte im öffentlichen Dienst geben, eine Meldung zu erstatten, wenn sie auf Personen treffen, die keinen Aufenthaltsstatus in Schweden haben. Das wird hier sehr kontrovers diskutiert.

Haben Asylverfahren in Schweden eine kürzere Dauer als in anderen EU-Ländern?
Es ist schwer, das systematisch zu vergleichen. Erstinstanzliche Asylverfahren dauern in Schweden im Moment durchschnittlich rund 200 Tage. Wenn man die Klageverfahren an den Gerichten hinzurechnet, dauern die Asylverfahren oft wesentlich länger. Grundsätzlich gilt: Je schneller die Verfahren durchgeführt werden, umso eher ist es möglich, bei einer Ablehnung auch die Ausreisepflicht zu vollziehen. Je länger sich die Asylverfahren hinziehen, umso geringer wird die Neigung der Neuankömmlinge, ihr Zielland wieder zu verlassen, und es treten mehr Faktoren auf, die die Rückführung erschweren.

Wie steht es um ausreisepflichtige Ausländer in Schweden, die inzwischen beispielsweise eine Ausbildung begonnen haben?
In der Vergangenheit waren sogenannte „Spurwechsel“ durchaus in bestimmten Fällen möglich, und Schweden galt hier als fortschrittlich. Schon seit längerer Zeit, und insbesondere seit dem Amtsantritt von Regierungschef Kristersson wird aber diskutiert, Asylsuchenden die Arbeitsaufnahme zu erschweren und den Wechsel aus dem Asylsystem in die Arbeitszuwanderung zu stoppen. Auf dem Papier ist es im Moment nach wie vor in manchen Fällen möglich, aber in Deutschland erscheint mir das Vorgehen beim Spurwechsel aber inzwischen progressiver als in Schweden.

Soll ein Signal in die Welt ausgesandt werden, das dazu führt, dass sich Migranten Schweden gar nicht erst als Zielland aussuchen?
Natürlich ist viel Symbolpolitik dabei. Die seit gut einem Jahr amtierende Regierung des Ministerpräsidenten Kristersson versucht wie gesagt, Schweden für Asylbewerber möglichst unattraktiv zu machen. Das ändert aber nichts daran, dass sich Schweden genauso schwer wie andere EU-Staaten tut, Menschen wieder in bestimmte Länder abzuschieben, zum Beispiel nach Syrien oder Afghanistan.

Nicht nur die nordischen Länder, sondern alle EU-Staaten haben dasselbe Problem.

Bernd Parusel, Migrationswissenschaftler

Die nordischen Staaten Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden planen künftig in Zusammenarbeit mit der EU-Grenzschutzbehörde Frontex gemeinsame Abschiebeflüge. Gehen alle diese Länder nun verschärft gegen Migranten ohne Bleibeperspektive vor?
Nicht nur die nordischen Länder, sondern alle EU-Staaten haben dasselbe Problem: Migranten bleiben oft in den Zielländern, auch wenn sie im Asylverfahren abgelehnt wurden. Vielen erscheint ein Leben ohne aufenthaltsrechtlichen Status offenbar immer noch besser als eine Rückkehr in die Umstände, vor denen sie geflohen sind. Die Regierungen in der EU bemühen sich in unterschiedlichem Maße, daran etwas zu ändern. In Schweden und den anderen nordischen Ländern sind die Anstrengungen insgesamt erhöht worden. In Schweden hat man eine Rückkehrquote erreicht, die im EU-Vergleich relativ hoch ist.

Wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, so wurden nach den Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat im zweiten Quartal dieses Jahres die meisten Menschen aus Deutschland und Frankreich abgeschoben.
Das ist nicht verwunderlich, weil Deutschland und Frankreich ja auch einen großen Teil der Asylbewerber in der EU aufnehmen. Grundsätzlich braucht es aber – und das gilt für alle EU-Staaten einschließlich Schwedens – eine bessere Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsländern, um eine bessere Rückführungsquote zu erzielen. Deutschland, Frankreich oder Italien stehen alle vor demselben Problem: Die Herkunftsstaaten weigern sich häufig, die für Abschiebungen nötigen Papiere auszustellen, es gibt tatsächlich Zweifel an der Herkunft und Identität der Personen, oder es gibt keine Möglichkeit, Abschiebeflüge tatsächlich zu organisieren.

Wie lässt sich das ändern?
Es reicht aus meiner Sicht nicht, den Transit- und Herkunftsländern mit einem Stopp der Entwicklungshilfe oder Visabeschränkungen zu drohen. Oft wird das von den Herkunftsländern als sehr einseitig empfunden. Damit Vereinbarungen über die nötigen Abschiebungen getroffen werden können, müssen Migrationsabkommen für die betreffenden Drittstaaten auch positive Elemente bieten, zum Beispiel, dass Wege für die legale Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt nach Europa geöffnet werden.

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