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Der türkische Präsident Erdogan schüttelt dem russischen Außenminister Lavrov die Hand.

© AFP/Adem Altan

Putin, Erdogan und die europäischen Bauern: Der komplizierte Streit um das ukrainische Getreide

Im Osten der EU staut sich Getreide aus der Ukraine. Länder wie Ungarn verbieten die Einfuhr. Aber auch Russland und die Türkei haben in dem Streit ihre eigene Agenda.

Eigentlich wollte die EU der Ukraine helfen, als sie die Zölle auf Getreide von dort aufheben ließ. Was eine große Geste war, stieß schnell auf Empörung bei den europäischen Bauern.

Ziel der 27 Mitgliedsstaaten war, die „Kornkammer“ Europas zu unterstützen, als der Export aufgrund von Russlands Seeblockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen unmöglich wurde. Auch das zwischen Kiew und Moskau später vereinbarte Abkommen, doch Schiffe durchzulassen, schafft wenig Abhilfe.

Nun feuert Brüssels Politik zurück, denn Europas Landwirte leiden massiv unter Dumpingpreisen, entstanden durch eine regelrechte Getreideschwemme aus der Ukraine. Vor allem die osteuropäischen Mitglieder sind betroffen, haben nun zu Gegenmaßnahmen gegriffen und die Einfuhr von ukrainischem Weizen blockiert.

Der Streit dauert schon seit Ende letzten Jahres. Dass Polen, Ungarn und Slowakei jetzt ihre eigenen Bedingungen an die Lieferungen stellen und den Transit durch ihre Länder verweigern, ist nun die nächste Eskalationsstufe.

Proteste polnischer und rumänischer Bauern

„Die Situation mit dem Getreide hat sich im Prinzip schon monatelang entwickelt“, sagt die Sonderbotschafterin des ukrainischen Außenministeriums Olga Trofimtseva dem Tagesspiegel. „Anfang des Jahres haben wir bereits gesehen, wie polnische und rumänische Landwirte protestierten, weil die Lage schwierig für sie ist.“ Die Probleme entstünden, so argumentiert die ukrainische Expertin, jedoch nicht nur aufgrund des Getreides aus ihrer Heimat: „Die Preise fallen auf dem gesamten Weltmarkt.“

Gleichzeitig wolle die Ukraine ihr Verhältnis zu Europa nicht aufs Spiel setzen. „Wir sind natürlich sehr daran interessiert, dass wir unsere guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU und gerade mit Ländern wie Polen, die uns im Krieg sehr helfen, nicht verlieren“, betont die Diplomatin.

Die EU war nicht auf solch große Getreidemengen vorbereitet.

Olga Trofimtseva, Sonderbotschafterin des ukrainischen Außenministeriums

Ukrainische Experten warnten bereits im Juni 2022, als die Einfuhrzölle aufgehoben wurden, logistische Probleme mit den Lieferungen in und durch das Unionsgebiet voraus.

„Die EU war nicht auf so große Getreidemengen vorbereitet und konnte sie deshalb nicht weiter transportieren. Aktuell läuft vieles ungünstig für die Ukraine“, meint Trofimtseva.

Nach Gesprächen mit der Ukraine hat Polen den Getreidetransit durch sein Gebiet inzwischen wieder gestattet. Er wurde in der Nacht zum Freitag wieder aufgenommen.

Im Zuge der zeitweise blockierten ukrainischen Getreidelieferungen durch Polen stauten sich LKWs an der gemeinsamen Grenze.

© AFP/Yuriy Dyachyshyn

Wird ein Kompromiss gefunden?

Währenddessen bereitet die EU auf Druck Polens und Ungarns Notfallbeschränkungen für die Einfuhr ukrainischen Getreides in fünf EU-Mitgliedstaaten vor, berichtet die „Financial Times“. Eine Abstimmung über die Verlängerung der Zollfreiheit für ukrainische Produkte wurde hingegen verschoben.

Dieses Problem gehe auch Transitländer wie die Slowakei und Rumänien an, weil ukrainische Produkte in Drittländern wie etwa Deutschland erwartet werden. „Über die Direktimporte nach Polen und Ungarn sollte dann separat verhandelt werden“, sagt Trofimtseva.

In Polens Fall kommen noch die im Herbst dieses Jahres anstehenden Parlamentswahlen hinzu. Die Regierungspartei PiS schöpft einen großen Teil ihrer Wählerschaft aus den besonders vom Getreidestau betroffenen ländlichen Regionen.

Politische Spiele von Putin und Erdogan

Doch der Landtransit ist nur ein Teil des Problems. Das Hauptproblem liegt im Schwarzen Meer.

Am 17. April bestätigte der Hohe Vertreter der EU, Josep Borrell, dass etwa 50 Frachtschiffe mit ukrainischem Getreide im Schwarzen Meer von Russland blockiert worden sind.

Für die Ukraine ist das Getreideabkommen mit Russland eine Möglichkeit, seine eigenen Lieferungen wieder auf den internationalen Markt zu bringen. Der Kreml verfolgt hingegen eine gänzlich andere Taktik.

60
Tagen Verlängerung für das Schwarzmeer-Abkommen stimmte Russland zu

„Für Russland ist es eine Gelegenheit, von der internationalen Gemeinschaft die Aufhebung der Sanktionen zu fordern, insbesondere gegen russische Banken, Logistikunternehmen und Versicherungsgesellschaften“, sagt Yevgeniya Gaber, eine ukrainische Außenpolitikexpertin beim Atlantic Council in der Türkei.

Außerdem sei es eine Erpressungsmöglichkeit. Indem Russland regelmäßig Getreidelieferungen unterbricht, provoziere es Preisschwankungen auf den Weltmärkten. Und dann komme natürlich noch die Propaganda hinzu: „Es ist Teil eines Krieges, der nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Informationsraum geführt wird.“

In Bezug auf die Schwarzmeer-Initiative hatte Russland einer Verlängerung von nur 60 Tagen zugestimmt, also der Hälfte der in der Vereinbarung vorgesehenen Zeit. Diese Frist endet am 18. Mai.

„60 Tage sind bereits ein Verstoß gegen die Vereinbarungen, denn das Getreideabkommen ist sehr eindeutig: Es besteht die Möglichkeit, die Initiative entweder um 120 Tage zu verlängern oder sie nicht zu verlängern. 60 Tage sind eine illegale und unrechtmäßige Option“, sagt Yevgeniya Gaber.

Russland hat in Erdogan viel Kapital investiert, sowohl politisch als auch finanziell.

Yevgeniya Gaber, ukrainische Außenpolitikexpertin

Am 14. Mai finden zudem in der Türkei die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, die sich ebenfalls auf die Situation auswirken.

„Russland hat in Erdogan viel Kapital investiert, sowohl politisch als auch finanziell. Für Moskau ist es von Vorteil, ihn an der Macht zu halten“, sagt Gaber. Sollte es zu einem Regierungswechsel kommen, müssten bestehenden Vereinbarung womöglich ausgesetzt werden.

Aber die Türkei übt auch Druck auf Russland aus, um den Getreidehandel zu verlängern. “Das Wichtigste für die Türkei ist die Fortsetzung der Getreidekorridore: Sowohl aus wirtschaftlicher Sicht als auch als außenpolitischer Erfolg“, erklärt die Expertin.

Die Ukraine ist derzeit auf eine ausgewogene EU-Politik angewiesen. „Vor allem die ukrainische Landwirtschaft und deren Produzenten leider unter der Situation“, sagt Sonderbotschafterin Trofimtseva. Die Auswirkungen seien jedoch viel verheerender: „Diese Krise gefährdet die Landwirtschaft weltweit.“

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