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Damit die türkische Opposition Erdoğan besiegen kann, muss der 74-jährige CHP-Parteichef der CHP Kemal Kılıçdaroğlu zur Seite treten, fordern seine Kritiker.

© dpa/Murat Kocabas

Parteitag der türkischen CHP: Gelingt der Opposition der Generationswechsel?

Mit den alten Rezepten hat die türkische Opposition keine Chance gegen Präsident Erdoğan und seine AKP. Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu muss den Weg frei machen, fordern seine Kritiker.

Die älteste politische Partei der Türkei sucht ihre Zukunft. Nach der Wahlniederlage bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai entscheiden an diesem Wochenende knapp 1400 Delegierte der Republikanischen Volkspartei (CHP) bei einem Parteitag in Ankara über einen Neuanfang.

Neuaufstellung gegen Erdoğan

Der 74-jährige Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu stellt sich als Vorsitzender zur Wiederwahl. Doch seine innerparteilichen Kritiker um den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu dringen auf einen Generationswechsel. Sie wollen Kılıçdaroğlu stürzen. Dass er zur Seite tritt, sehen sie als Voraussetzung dafür, Präsident Recep Tayyip Erdoğan an der Wahlurne besiegen zu können. Und der nächste Test ist nicht mehr weit. Im kommenden März werden in der Türkei Kommunalwahlen abgehalten.

Kılıçdaroğlu steht seit 2010 an der Spitze der CHP, der größten Oppositionspartei des Landes. In dieser Zeit hat er fast alle Wahlen gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und dessen Regierungspartei AKP verloren.

Schmerzliche Niederlage im Mai

Besonders schmerzlich für die CHP war Kılıçdaroğlus Niederlage bei der Präsidentenwahl im Mai. Viel Hoffnung ruhte damals auf dem Bündnis aus sechs Oppositionsparteien, das mit Kılıçdaroğlu an der Spitze gegen Erdoğan angetreten war. Doch der Sieg gegen den amtierenden Präsidenten gelang nicht. Innerparteiliche Gegner fordern seitdem Kılıçdaroğlus Rücktritt.

„Ehrlicherweise muss man sagen, dass die CHP in keiner guten Verfassung ist,“ sagt Türkei-Experte Friedrich Püttmann im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Lagerkämpfe zwischen dem „Team Kılıçdaroğlu“ und den „Reformern“, angeführt vom Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu, hätten nicht zu mehr innerparteilicher Demokratie geführt, sondern eher zum inneren Zerfleischen der Partei. Für den Parteikongress erwartet Püttmann einen neuen Höhepunkt der Streitigkeiten.

Kılıçdaroğlu kann nicht loslassen

Kılıçdaroğlu hat sich von früheren Fehlern seiner Partei distanziert. Doch die CHP ist unter seiner Führung nicht über 25 Prozent hinausgekommen. Eine Öffnung der Partei für linke, grüne oder kurdische Wähler hat es nicht gegeben.

Kritiker halten Kılıçdaroğlu vor, so sehr am Chefposten der Partei zu hängen, dass Wahlsiege für die CHP unmöglich geworden seien. „Klein, aber mein“, das sei Kılıçdaroğlus Motto, schrieb der Kolumnist Mehmet Yilmaz von der Nachrichtenplattform T24.

Kılıçdaroğlus Festhalten an der Macht sei für viele CHP-Anhänger schockierend. „Damit bestätigt er augenscheinlich Erdoğans Kritik an ihm, dass er kein „echter Demokrat“ sei,“ meint Püttmann. Dabei müsse man allerdings Kılıçdaroğlus Umfeld im Blick behalten. Sie feierten ihn bei seinem Einzug auf dem Parteitag am heutigen Samstag als „Hoffnung des Volkes“. „Sie möchten seinen Rücktritt und den damit verbundenen eigenen Machtverlust verhindern“, erläutert Püttmann.

Die Gefolgsleute des Parteichefs sagen, Kılıçdaroğlu bewerbe sich um eine letzte Amtszeit, um die Partei in die wichtigen Kommunalwahlen im März führen zu können. Dagegen meint der Politologe Berk Esen von der Istanbuler Sabanci-Universität, Kılıçdaroğlu sei politisch gescheitert, wolle seine Anhänger in der CHP aber vor der Kommunalwahl mit aussichtsreichen Listenplätzen versorgen. „Ein ehrenhafter Abgang ist das nicht“, schrieb Esen auf Twitter.

Istanbuler Bürgermeister bald mächtigster Mann der CHP?

İmamoğlu und seine Anhänger versprechen demgegenüber einen grundsätzlichen Wandel. Der 52-jährige Istanbuler Bürgermeister will bei der Präsidentschaftswahl 2028 gegen Erdoğan antreten und sich mit einem Wechsel in der CHP-Führung eine Machtbasis dafür schaffen.

Ekrem İmamoğlu, Kandidat ums Bürgermeisteramt von Istanbul, bei einer Kundgebung vor seinen Anhängern.
Ekrem İmamoğlu, Bürgermeister von Istanbul, fordert einen grundsätzlichen Wandel der CHP.

© dpa Bildfunk

Beim Parteitag in Ankara will İmamoğlu seinen Verbündeten Özgür Özel zum neuen Parteichef wählen lassen. Özel, ein 49-jähriger gelernter Apotheker, ist derzeit Fraktionschef der CHP im Parlament von Ankara. Sollte Özel gewinnen, wäre İmamoğlu der mächtigste Mann in der CHP.

Die Abstimmung über das Amt des Vorsitzenden wird spannend. Die Parteirebellen um İmamoğlu und Özel profitieren davon, dass Kılıçdaroğlu wegen seiner Weigerung, mit einem Rücktritt die politische Verantwortung für die Wahlniederlagen zu übernehmen, an Ansehen verloren hat.

Außerdem hat das Team İmamoğlu-Özel den Istanbuler CHP-Verband hinter sich, der mehr als zehn Prozent der Parteitags-Delegierten stellt. Kılıçdaroğlu hat dagegen die klare Mehrheit der 135 Parlamentsabgeordneten der CHP auf seiner Seite.

Der nächste Test: Die Kommunalwahlen im Mai

Nach dem Parteitag beginnt für die CHP die Vorbereitung auf die Kommunalwahlen am 31. März. Vor vier Jahren hatte die Partei die Macht in Istanbul und Ankara übernommen. Nun will Erdoğan beide Städte für die AKP zurückgewinnen: Im März wird sich zeigen, ob die CHP nach mehr als 20 Jahren Erdoğan-Regierung ein Rezept gegen den Präsidenten finden kann.

Friedrich Püttmann ist skeptisch, dass dies gelingen kann. „Die CHP hatte ihre große Chance letzten Mai.“ Inzwischen hätten nahezu alle vorigen politischen Alliierten – von der linken pro-kurdischen HDP bis zur nationalistischen Iyi-Partei – ihre Zusammenarbeit mit Kılıçdaroğlu bedauert, und angekündigt, nicht noch einmal mit der CHP im Vorfeld einer Wahl zu koalieren

„Was die CHP bräuchte, ist eine größere Nähe zum Volk,“ meint Püttmann. Diese sei aber in einem politischen Klima, das von extremer Identitätspolitik und Polarisierung sowie völlig ungleichen Wettbewerbschancen bestimmt wird, kaum möglich. Die Opposition sei so gespalten, dass ihre Chance eines Erfolgs angesichts eines neu erstarkten Erdoğans gleich null sei.

„Der Parteitag dieses Wochenendes ist also im Sinne der Demokratie zu begrüßen,“ findet Püttmann. „Für die nahe politische Zukunft der Türkei aber ist er – seien wir ehrlich – quasi irrelevant.“

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