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Erdogan-Anhänger in Hamburg feiern den erneuten Wahlsieg des amtierenden Präsidenten.

© dpa/Thomas Müller

Can Dündar über deutsch-türkische Wähler: In einer Demokratie leben, aber für einen Autokraten stimmen

Warum wählen Menschen, die in Deutschland leben, aber in der Türkei noch wahlberechtigt sind, Erdoğan? Das sei die häufigste Frage an ihn, seit er in Berlin lebe, schreibt der bekannte Exil-Journalist.

Ein Gastbeitrag von Can Dündar

Seit ich in Deutschland wohne, wird mir eine Frage am häufigsten gestellt. „Warum stimmen Türken, die in einem demokratischen Land wie Deutschland leben, für einen Autokraten wie Erdoğan?“

Es gibt keine einfache Antwort darauf. In Deutschland leben etwa 1,5 Millionen Menschen, die in der Türkei wahlberechtigt sind. Ihre Wahlbeteiligung liegt meist nicht über 50 Prozent. Dieses Mal kletterte sie immerhin auf 55 Prozent.

Da sich die Wahllokale in der Regel in Konsulaten befinden, können oder wollen viele Oppositionelle – wie ich – nicht wählen gehen. Dennoch ist der Stimmenanteil der Opposition nicht gering: Bei der letzten Präsidentschaftswahl stimmten zwar zwei von drei türkischen Wählern in Deutschland für Erdoğan. Aber eben auch einer von dreien für den Oppositionskandidaten.

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Es entspricht der allgemeinen Psychologie der Diaspora, den Führer im Heimatland noch stärker zu unterstützen als diejenigen es tun, die dort leben. Und so erklären auch einige sozio-psychologische Gründe die AKP-Sympathien der deutsch-türkischen Wählerschaft.

Viele der hier lebenden Türken glauben, dass Deutschland die Idee der gleichberechtigten Staatsbürgerschaft weder auf staatlicher noch auf gesellschaftlicher Ebene verinnerlicht hat.

Erdoğan ist es gelungen, jenen Menschen, die sich in Deutschland seit Jahren ausgegrenzt fühlen, Selbstvertrauen zu geben. Er vermittelt ihnen, dass „die Deutschen neidisch auf die Türkei sind“. Er hat ihnen eine Identität gegeben. Das ist früheren türkischen Politikern und der deutschen Regierung bislang nicht gelungen.

Und es gibt noch weitere Faktoren, die deutsch-türkische Wähler mehrheitlich für Erdoğan stimmen lassen. Dazu zählen die politischen Aktivitäten von Moscheen, die Einschüchterung von Dissidenten und der starke Einfluss parteiischer Fernsehsender; aber auch der gute Service, den die türkischen Konsulate den Staatsangehörigen hier in Deutschland anbieten.

Interessant ist, dass Menschen, die in der Türkei für die Konservativen stimmen, in Deutschland meist die Sozialdemokraten oder die Grünen unterstützen. Das zeigt, dass ihre Präferenzen eher interessengeleitet als ideologisch sind. Würden sich die Dinge in der Türkei ändern, könnten einige von ihnen also durchaus bereit sein, ihr Wahlverhalten zu ändern.

Perspektivisch zeichnet sich ein neuer Trend ab. Der Braindrain aus der Türkei hat in den letzten fünf Jahren deutlich zugenommen. Er wird das Profil der Zuwanderer in Deutschland verändern. Denn viele der Neuankömmlinge sind keine Anhänger von Erdoğan, sondern Dissidenten.

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