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Olaf Scholz bei der Pressekonferenz.

© SERGIO LIMA/AFP

Olaf Scholz bei Brasiliens Präsident Lula: Eine kalte Dusche für den Kanzler

Regenwald, Klimapolitik, Ukrainekrieg, Umgang mit China und Russland: Bei der Südamerikareise des Kanzlers brechen gravierende Konflikte mit Deutschlands Wunschpartner auf.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Brasilien kehrt zurück auf die Weltbühne, jubelten die Optimisten nach dem Sieg des Ex-Gewerkschafters Luiz Inácio Lula da Silva bei der Präsidentenwahl gegen den Rechtspopulisten Jair Bolsonaro. Deutschland habe wieder einen Partner. Das galt besonders für die in Berlin regierende Sozialdemokratie, die den 77-jährigen Lula als Bruder im Geiste schilderte.

Gemessen an dieser Erwartung ist der Besuch des Bundeskanzlers zu einem ernüchternden Realitätscheck geworden. Olaf Scholz und Lula schreiten nicht „Seit‘ an Seit‘“, wie es das alte Arbeiterlied beschwört.

Lula lässt Scholz bei den für Deutschland zentralen Anliegen auflaufen: Rückkehr Brasiliens zu einer ehrgeizigen Klimapolitik, Ende der Abholzung des Regenwalds, Lösungen bei den letzten Hindernissen für das Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur, gemeinsame Haltung zum Ukrainekrieg sowie zum Umgang mit Russland und China.

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Nein zu Scholz’ Klimaclub

Lula möchte nicht dem von Scholz beworbenen „Klimaclub“ beitreten. Er beschwert sich über die Vorgaben des deutschen Lieferkettengesetzes, in deren Folge nur solche Produkte aus Brasilien eingeführt werden dürfen, für deren Herstellung nachweislich kein Regenwald abgeholzt wurde. Dieselbe Bedingung findet sich in EU-Auflagen. Wegen des Streits um solche Details ist das Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur immer noch nicht in Kraft.

Lulas Ablehnung schmerzt Scholz, Auf anderen Stationen seiner Südamerikareise fand er mehr Unterstützung für den „Klimaclub“. Argentiniens Präsident Alberto Fernández tritt bei. Chiles Präsident Gabriel Boric will den Ko-Vorsitz übernehmen. Scholz braucht aber die größte Volkswirtschaft Südamerikas: Brasilien.

Dieser Typ ist für den Krieg genauso verantwortlich wie Putin.

Lula da Silva vor seiner Wahl zum Präsidenten Brasiliens über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj

Als Alternative zu einem „ökologischen Club“ schlägt Lula einen „Friedensclub“ vor. Scholz‘ Bitte, Brasilien solle vorübergehend mit Munition für die Flugabwehr-Panzer Gepard aushelfen, die Deutschland der Ukraine überlassen hat, lehnt er ab. Wegen der systematischen russischen Luftangriffe auf zivile Ziele in der Ukraine ist diese Munition knapp. Deutschland wird sie erst ab Juni in einer neuen Fabrik herstellen können.

„Brasilien ist ein Land des Friedens. Und deswegen will Brasilien keinerlei Beteiligung an diesem Krieg – auch nicht indirekt“, sagt Lula auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Er widerspricht Scholz; der gibt Russland die Verantwortung für den Krieg. Die Ukraine sei ebenfalls schuldig am Krieg, meint Lula. Und es liege an ihr, dass es keine erfolgreichen Friedensverhandlungen gebe.

„Ich glaube, Russland hat den klassischen Fehler begangen, in das Territorium eines anderen Landes einzudringen“, sagt Lula. Und beruft sich dann auf ein brasilianisches Sprichwort: „Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.“ Soll heißen: Wenn die Ukraine nur wolle, sei der Krieg rasch vorbei.

In einem Interview mit dem „Time“-Magazin 2022 hatte Lula mit der Behauptung über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Aufsehen erregt: „Dieser Typ ist für den Krieg genauso verantwortlich wie Putin.“

Scholz widerspricht: Ukraine darf nicht Gebiet verlieren

Scholz widerspricht: Es dürfe keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben. Und das Land als Folge dieses Krieges kein Territorium verlieren.

Stattdessen sei es notwendig, „eine Gruppe von Ländern zu bilden, die stark genug ist und respektiert wird, und sich mit den beiden an einem Verhandlungstisch zusammensetzt“. Als mögliche Vermittler nennt Lula Brasilien, China und Indien. „Ich weiß nicht, wann der Krieg aufhören wird, wenn wir so lange untätig bleiben.“

Umarmung zwischen Scholz und Lula beim Besuch des Kanzlers in Brasilien.

© UESLEI MARCELINO/REUTERS

Er greift damit zwei zentrale Fehlannahmen über die Hindernisse für eine zügige diplomatische Verhandlungslösung auf, die in der deutschen Debatte immer wieder auftauchen und auch in der SPD populär sind: Es liege am fehlenden Bemühen, wenn es da keine Fortschritte gebe. Und: Nur neutrale Länder kommen als Vermittler infrage.

Umso bemerkenswerter, dass Scholz gegenhält. Dass er Russland als das Friedenshindernis benennt. Und Forderungen zurückweist, die Ukraine solle um des Friedens willen Gebiete abtreten und damit den Aggressor belohnen.

Fehlt der Wille zur Vermittlung?

Es gibt einige Konflikte auf der Erde, die seit Jahrzehnten ungelöst sind – trotz unzähliger diplomatischer Bemühungen. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Nahostkonflikt.

Scholz und andere telefonieren regelmäßig mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Der Eindruck danach ist unverändert: Moskau möchte keine Lösung am Verhandlungstisch. Es sei denn, sie läuft auf die militärischen Kriegsziele hinaus: Abtretung der Krim und großer Teile der Ostukraine.

Vermittler müssen neutral sein? Es gibt bereits eine Instanz, die in Einzelfragen des Konflikts erfolgreich war: die Türkei und ihr Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Er hat das Abkommen über die Getreideausfuhr aus der Ukraine, auf die Afrika angewiesen ist, vermittelt. Und mehrfach einen Gefangenenaustausch.

Erdoğan wird von Moskau wie Kiew respektiert. Dabei ist er alles andere als neutral. Er hat kürzlich einen Stellvertreterkrieg gegen Russland geführt – und gewonnen. Indem er Aserbaidschan mit Drohnenlieferungen zum Sieg über das von Moskau protegierte Armenien verhalf.

Scholz hat auf Lula gesetzt, wurde aber enttäuscht. „Ich freue mich, wir freuen uns alle, dass Brasilien zurück auf der Weltbühne ist. Ihr habt gefehlt!“, lobt er Lula öffentlich. Auf die verbale Umarmung folgt eine körperliche Umarmung. Im Kopf ist der Kanzler nach der Abfuhr wohl einen Gedanken weiter: Ein Brasilien unter diesem Lula, das hat ihm gerade noch gefehlt.

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