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Am 16. Dezember 1997 unterzeichneten die damaligen Nato-Staaten das Protokoll für den Beitritt von Polen, Ungarn und Tschechien.

© picture-alliance / dpa/Herwig Vergult

Nato-Osterweiterung: Sicherheit für Europa oder Keim für Konflikte?

Vor 30 Jahren unterzeichneten die damaligen Nato-Staaten das Beitrittsprotokoll für Polen, Ungarn und Tschechien. Welche Lehren lassen sich aus den Erfahrungen von damals ziehen?

Immer wieder als obsolet kritisiert, vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron 2019 gar als „hirntot“ beschimpft, scheint die Relevanz der Nato seit der russischen Invasion der Ukraine kaum jemand mehr in Frage zu stellen. Ihre essenzielle Rolle bei der Friedenssicherung in Europa bezweifeln derzeit nur wenige.

Seit ihrer Gründung 1949 ist das transatlantische Verteidigungsbündnis stetig gewachsen. Heute vor 30 Jahren, am 16. Dezember 1997, unterzeichneten die damaligen Nato-Staaten das Protokoll für den Beitritt von Polen, Ungarn und Tschechien, der 1999 vollzogen wurde. Seitdem kamen elf weitere Staaten hinzu, Finnland und Schweden werden demnächst folgen, weitere haben großes Interesse.

Geändert habe sich durch den Erweiterungsschritt 1997 erstmal wenig, findet Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Es habe damals keine militärische Bedrohung durch Russland gegeben. „Aber die dortige innenpolitische Lage ließ erkennen, dass das Land irgendwann wieder einen revisionistischen Kurs einschlagen und zu einer militärischen Bedrohung wird. Dem sollte vorgebeugt werden,“ betont Krause.

Das Projekt war ein entscheidender Schritt für ein geeintes Europa.

Liana Fix, Council on Foreign Relations in Washington

Für Liana Fix vom Council on Foreign Relations in Washington stabilisierte die Nato-Aufnahme der drei Länder die östliche Nachbarschaft Deutschlands. Man habe damit verhindert, dass diese zu einer Grauzone unklarer Sicherheit werde. „Das Projekt war ein entscheidender Schritt für ein geeintes Europa, das das Erbe der sowjetischen Vorherrschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beendet und diesen Ländern eine sichere Perspektive für Wohlstand und Entwicklung gegeben hat,“ erläutert Fix.

Mit der Nato-Russland-Grundakte habe man gleichzeitig die russischen Sicherheitsbedenken aufgenommen und zum Beispiel die Stationierung von Atomwaffen auf dem Territorium neuer Mitglieder ausgeschlossen. Die Erweiterung sei damals mit sehr viel Fingerspitzengefühl eingefädelt worden, betont Krause. „Russland sollte sich nicht eingekreist fühlen, aber die neuen Mitgliedstaaten sollten eine Sicherheitsgarantie für den Fall des Wiederauflebens einer Bedrohung durch Russland bekommen,“ führt er aus.

Selbstverständlich würde man die Entscheidung heute genauso wieder treffen, ist Fix sich sicher. „Polen, Ungarn und Tschechien liegen im Herzen Europas. Es war nicht nur ihr moralisches Recht, nach Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft in ein freies Europa zurückzukehren, sondern auch eine wichtige strategische Entscheidung, die zu mehr Sicherheit und Prosperität an der östlichen Grenze geführt hat,“ so Fix. Und ergänzt: „Wenn diese Länder nicht in der Nato wären, wäre jetzt Deutschland die ‚Ostflanke‘ und an der Frontlinie mit Russland.“

Ohne die Nato-Osterweiterung wäre Europa wirtschaftlich ärmer und politisch instabiler gewesen.

Liviu Horovitz, Stiftung Wissenschaft und Politik

Wir sollten uns nichts vormachen, findet Liviu Horovitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Ohne die Nato-Osterweiterung wäre Europa wirtschaftlich ärmer und politisch instabiler gewesen. Und die Verbindung zu den USA wäre schon viel früher in Frage gestellt worden.“ Auch sei es mehr als fraglich, ob Europa ohne die Erweiterung bessere Beziehungen zu Russland hätte aufbauen können.

Welche Lehren können wir heute aus den damaligen Erfahrungen für künftige Erweiterungsschritte ziehen? Die Nato sei weder perfekt noch alternativlos, urteilt Horovitz. Sie sei jedoch ein effektives Instrument, um die Grundlagen für eine friedliche, stabile und demokratische Ordnung zu legen. „Und die Alternativen sind wesentlich kostspieliger,“ betont er.

Für Liana Fix sind Nato- und EU-Erweiterungen, die Hand in Hand gehen, eine Erfolgsformel, für die aufgenommenen Länder. Das große Interesse daran sei daher wenig überraschend. Für Joachim Krause bietet die Nato zwei Vorteile: zum einen organisiere sie Sicherheit auf einer multilateralen Ebene. Damit verhindere sie den Rückfall in nationalistische Verirrungen in der Verteidigungspolitik und gebe allen Staaten die Möglichkeit gestaltend mitzuwirken. Zum anderen biete sie Schutz gegen russische Aggressionen.

30
Staaten sind aktuell Mitglieder der Nato.

Wie sollte es nun weitergehen? Auf dem Nato-Gipfel in Bukarest 2008 habe man der Ukraine und Georgien versprochen, dass sie eines Tages Mitglieder würden, erläutert Fix. Eine konkrete Perspektive habe man ihnen jedoch nicht gegeben. Man habe sich mit diesem Mittelweg in zweierlei Hinsicht für die schlechteste Option entscheiden: „Die Ukraine und Georgien erhielten keinen klaren Aktionsplan. Und gleichzeitig hat sich durch dieses Versprechen das Risiko russischer Aggression erhöht,“ bedauert Fix.

Solange der Krieg in der Ukraine weitergehe und um einen mögliche Friedensperspektive zu sichern, müsse für die Ukraine eine Alternative zur Nato-Mitgliedschaft gefunden werden, die die Sicherheit des Landes garantiere, ohne dass es zu einem Nato-Russland-Konflikt komme.

Krause hält dagegen: „Nachdem der russische Angriffskrieg den wahren Charakter der Politik Putins hat erkennen lassen, sollten wir nicht mehr lange zögern, die Ukraine aufzunehmen.“ Rücksichtnahme auf geostrategische Bedenken Russlands sei nicht mehr angebracht. Angesichts der verbrecherischen Methoden Moskaus müsse die Verteidigungslinie der westlichen Freiheitszone so weit östlich wie möglich verlaufen.

Künstliche Grenze für zukünftige Erweiterungen sieht auch Horovitz nicht. „Das Bündnis wird dann weitere Staaten aufnehmen, wenn deren Sicherheit für die außenpolitischen Interessen, den wirtschaftlichen Wohlstand und den politischen Frieden der wichtigsten Akteure in der Allianz relevant wird,“ erläutert er. Ob die Ukraine in den nächsten zehn Jahren aufgenommen werde, könne heute unmöglich vorausgesagt werden – zu vieles sei dafür heute in Bewegung.

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