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Donald Trump

© IMAGO/UPI Photo/GARY I ROTHSTEIN

Nach Trumps „Lügenspektakel“ auf CNN: Sollen ihm Medien keine Plattform mehr geben?

Trump log und polterte. Folglich liegen nach seinem Auftritt bei CNN viele Nerven blank. Es sei falsch gewesen, den Ex-Präsidenten eingeladen zu haben, sagen Kritiker. Doch Ignoranz wäre verkehrt.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wenn Kinder sich gruseln oder vor etwas Angst haben, halten sie die Hände vor ihre Augen. Der Trugschluss lautet: Was ich nicht sehe, ist nicht da. Ein ähnlicher Reflex findet sich in der modernen Medienwelt. Der Schlüsselbegriff lautet „Deplatforming“.

Gemeint ist eine Strategie, die missliebige Personen, Gruppen und Parteien von Plattformen wie TV-Talkshows oder Sozialen Netzwerken ausschließen soll. Minimiert werden soll die öffentliche Repräsentanz bestimmter Positionen. Dahinter steht die Hoffnung, dass diese Positionen dann weniger Anhänger finden.

Am Tag, nachdem Ex-US-Präsident Donald Trump 70 Minuten lang in einem Townhall bei CNN aufgetreten war, tobten dessen Gegner: Wie konnte das bloß passieren? Denn Trump war Trump gewesen. Er log und polterte. Und zwar so schnell und so oft, dass die ansonsten gut vorbereitete Moderatorin Kaitlan Collins mit Richtigstellungen kaum hinterherkam.

Die Mahner fühlten sich mit ihren Prognosen bestätigt

Trump hielt an der Lüge von einer gestohlenen Wahl fest, verteidigte die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021. Unterstützt wurde er von Anhängern aus dem Publikum, die johlten und applaudierten. Mit der Wirkung seines Auftritts, ausgerechnet beim liberalen Sender CNN, konnte der Ex-Präsident zufrieden sein.

Desto unzufriedener waren Demokraten und Mitarbeiter von CNN. Schon vor Trumps Auftritt hatten viele von ihnen gewarnt: Durch das Format würden Trumps Aussagen normalisiert und legitimiert. Der ehemalige MSNBC-Moderator Keith Olbermann schrieb auf Twitter, CNN begehe „journalistischen Selbstmord“.

Nach der Sendung fühlten sich die Mahner mit ihren Prognosen bestätigt. CNN-Mitarbeiter sprachen laut „Guardian“ von einer „verdammten Schande“, einem „Desaster“, der hauseigene Medienredakteur Oliver Darcy bilanzierte in seinem Newsletter, er verstehe nicht, „wie Amerika durch das Lügenspektakel auf CNN ein Dienst erwiesen“ worden sei.

Die schärfste Kritik kam von Michael Fanone, der als Polizist des „Metropolitan Police Department“ bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 dabei war, von Trump-Sympathisanten verprügelt und mehrfach mit einem Eletroschocker malträtiert worden war und einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Überschrift zu seinem Artikel, abgedruckt von „rollingstone.com“, lautet: „CNN Is Hosting a Town Hall for a Guy Who Tried to Get Me Killed“.

Inzwischen arbeitet Fanone für CNN und beschuldigt nun den TV-Sender, durch die Einladung an Trump seine journalistische Integrität geopfert zu haben. „Es geht nur um Einschaltquoten und Geld“, schreibt Fanone. Trump diese Plattform geboten zu haben, sei moralisch nichts anderes, als einem geistig Verwirrten ein Schnellfeuergewehr in die Hand zu drücken.

„Glauben Sie wirklich, dass dieser Mensch einfach verschwindet?“

War es falsch von CNN, Trump eingeladen zu haben? CNN-Moderator Anderson Cooper verteidigt die Sendung. Die Zuschauer hätten zwar „jedes Recht, wütend zu sein und diesen Sender nie wieder einzuschalten“, sagte er, doch dann fuhr er fort: „Aber glauben Sie wirklich, dass dieser Mensch einfach verschwindet, wenn Sie in Ihrem Getreidespeicher bleiben und nur den Menschen zuhören, mit deren Ansichten Sie übereinstimmen?“

Trump ist ein ehemaliger Präsident und der mit großem Abstand führende republikanische Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur 2024. In einigen Umfragen liegt er vor dem amtierenden Präsidenten, Joe Biden.

Der „vielleicht berühmteste Mensch auf dem Planeten“

Die liberale „New York Times“ schreibt nach der CNN-Sendung, Trump bleibe das Schwergewicht in der amerikanischen Politik. Laut konservativer „Washington Times“ ist er der „vielleicht berühmteste Mensch auf dem Planeten“. Sollten Medien und Soziale Netzwerke diesem Menschen keine Plattform bieten dürfen?

Zu Trumps Inszenierungen gehört die Opferrolle. Er werde von bösen Kräften gejagt – den Demokraten, der Justiz, den Medien, dem Establishment –, weil sie sich vor ihm ängstigten. Schließlich sei er der Einzige, der den „tiefen Staat“ dieser intriganten Meute zerschlagen könne.

In diese Erzählung ließe sich eine Deplatforming-Strategie seiner Gegner leicht integrieren. „Seht her“, würde Trump tönen, „sie trauen sich nicht einmal, mir zuzuhören.“ Das wäre für ihn eine Genugtuung, für seine Gegner eher peinlich.

Amerikas Medien haben aus dem Debakel von 2016 gelernt. Sie wissen, dass in der Berichterstattung über Trump zwischen Nachricht und Hype unterschieden werden muss. Nicht über jedes Stöckchen, das er ihnen vorhält, wollen sie springen. Ihm aber jede Aufmerksamkeit zu entziehen, würde ihn womöglich noch stärken.

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