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Palästinenser stehen inmitten zerstörter Gebäude in Gaza-Stadt.

© dpa/Mohammed Talatene

Nach Hamas-Angriff auf Israel: Vereinte Nationen kritisieren Abriegelung des Gazastreifens

Während Israel seine Reaktion auf den Hamas-Angriff verschärft, wächst die Besorgnis über die humanitäre Lage im Gazastreifen. Die WHO fordert die Einrichtung eines humanitären Korridors.

Die Vereinten Nationen haben Israel vor einer vollständigen Abriegelung des Gazastreifens gewarnt. Israel hatte dies angesichts des verheerenden Angriffs palästinensischer Hamas-Terroristen aus dem Küstenstreifen mit rund 900 israelischen Toten und mehr als 2600 Verletzten angeordnet.

Die Vereinten Nationen betonten dennoch, die Unterbrechung aller Lieferungen von Wasser, Strom oder Benzin in den Gazastreifen sei unter dem humanitären Völkerrecht verboten. Menschen dürfe nicht das vorenthalten werden, was sie zum Überleben brauchen, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, am Dienstag in Genf.

Israel hatte mit der Maßnahme auf das schlimmste Massaker seiner Geschichte reagiert, das die im Gazastreifen herrschende Hamas im Grenzgebiet angerichtet hatte. Armeesprecher Daniel Hagari beschrieb die Hamas am Dienstag als „IS-ähnliche Einheit“.

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Hamas habe sich mit dem Massaker im Grenzgebiet „auf die Liste der mörderischsten und barbarischsten Organisationen in der Geschichte gesetzt“. Ziel Israels ist es nun, die Fähigkeiten der auch von EU und USA als Terrororganisation eingestuften Gruppierung zu zerstören.

UN zählt mehr als 187.000 Vertriebene im Gazastreifen

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte am Sonntag „Rache“ für die Massaker an israelischen Zivilisten geschworen. „Was die Hamas erleben wird, wird hart und fürchterlich sein. Wir sind erst am Anfang“, sagte er am Sonntag.

Die Warnung der UN unterstreicht die enormen Probleme Israels bei der Bekämpfung der Hamas, die israelische Ortschaften immer wieder aus dem dicht besiedelten Gazastreifen mit Tausenden Raketen beschießt. Israel wirft der Hamas dabei unter anderem vor, zivile Gebäude militärisch zu nutzen.

Wegen der Vergeltungsschläge Israels sind nach UN-Angaben bereits mehr als 187.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden. Das berichtete eine Sprecherin am Dienstag. 137.000 davon suchten in rund 80 Schulen des UN-Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA) Zuflucht, wie es weiter hieß.

Nur 54 der Schulen seien ausgestattet, um als Notunterkünfte zu dienen, sagte Tamara Alrifai. Dort gebe es genügend Sanitäranlagen, Decken und Matratzen und die Menschen könnten mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt werden. In den anderen Gebäuden werde die Lage ohne dringende Unterstützung von außen immer prekärer.

Die Palästinenserin Samah Abu Latifa, die vor den israelischen Angriffen aus ihrem Haus geflohen ist, sucht mit ihrer Familie in einem Kindergarten in Khan Younis im südlichen Gazastreifen Schutz.
Die Palästinenserin Samah Abu Latifa, die vor den israelischen Angriffen aus ihrem Haus geflohen ist, sucht mit ihrer Familie in einem Kindergarten in Khan Younis im südlichen Gazastreifen Schutz.

© REUTERS/IBRAHEEM ABU MUSTAFA

Die Bewohner des Gazastreifens können das Gebiet selbst nicht verlassen. Ägypten hat seinen einzigen Grenzübergang nach Beschuss aus Israel geschlossen.

Nach Angaben des UN-Nothilfebüros (OCHA) haben die Bewohner des Gazastreifens nur noch drei bis vier Stunden Strom am Tag, nachdem Israel die Stromlieferungen gestoppt hat. Dem einzigen Kraftwerk dürfte in wenigen Tagen der Treibstoff ausgehen, sagte ein OCHA-Sprecher in Genf.

Nach Angaben von Alrifai ist die Versorgung durch das UNRWA für 1,7 der 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen eine Rettungsleine. Die Mehrheit lebe unter der Armutsgrenze und könne ohne Unterstützung nicht überleben.

WHO fordert humanitären Korridor

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte, einen humanitären Korridor zur Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen einzurichten. Der Küstenstreifen am Mittelmeer ist rund 40 Kilometer lang und zwischen sechs und zwölf Kilometer breit ist. Es müsse möglich sein, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, sagte ein WHO-Sprecher in Genf.

Die WHO habe vor der jüngsten Eskalation Materiallager im Gazastreifen unterhalten, aber alles sei inzwischen aufgebraucht. Die Krankenhäuser könnten die hohe Zahl der Verwundeten ohne weitere Unterstützung nicht bewältigen. Das palästinensische Gesundheitsministerium gab die Zahl der Toten durch israelische Luftangriffe mit mindestens 765 an, weitere 4000 seien verletzt worden. Diese Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar.

Bis Montagnachmittag seien im Gazastreifen durch israelische Angriffe 13 Gesundheitseinrichtungen unter Beschuss gekommen, sagte der Sprecher. Sechs Mitarbeiter seien getötet, vier verletzt worden. Nach israelischen Angaben sei in Israel bei den Angriffen von Palästinensern ein Sanitäter ums Leben gekommen. Unter humanitärem Völkerrecht müssten Gesundheitseinrichtungen geschützt und vor Angriffen bewahrt werden, sagte der Sprecher.

Zweite Front im Norden Israels droht

Israel wird nicht nur vom Gazastreifen aus angegriffen, sondern muss auch seine Nordgrenze zum Libanon im Auge behalten. Am Vortag war es dort zu Gefechten mit Bewaffneten gekommen. Dabei sei der Vize-Kommandeur der 300. Brigade, Oberstleutnant Alim Abdallah, getötet worden, teilte die Armee mit.

Die Sorge ist groß, dass es dort zu einer zweiten Front für Israel kommen könnte, wenn die wie die Hamas mit dem Iran verbündete und hochgerüstete Schiitenorganisation Hisbollah Israel aus dem Südlibanon mit Raketen beschießen sollte.

Irans Staatsoberhaupt Ali Chamenei wies eine Verstrickung in den Hamas-Terrorangriff auf Israel zurück. „Unterstützer des zionistischen Regimes“ hätten unsinnige Worte verbreitet, sagte der Ajatollah am Dienstag während einer Rede in Teheran. Sie hätten die Verantwortlichkeit für die Angriffe dem Iran zugeschrieben. „Sie machen einen Fehler“, sagte Chamenei.

„Natürlich verteidigen wir Palästina. Natürlich verteidigen wir die Kämpfe“, sagte der 84-Jährige. „Natürlich ist die gesamte islamische Welt verpflichtet, die Palästinenser zu unterstützen und wird sie mit Gottes Erlaubnis unterstützen, aber das ist das Werk der Palästinenser selbst“, sagte Chamenei. Er gilt als mächtigster Mann im Iran und hat in allen strategischen Belangen das letzte Wort.

Israel zieht Bodentruppen zusammen

Unterdessen mehrten sich die Anzeichen für eine bevorstehende Bodenoffensive Israels in den Gazastreifen. Neben der Abriegelung des Gebiets wurden auch 300.000 Reservisten mobilisiert. In Videobildern war die Verlegung von Kampfpanzern und Haubitzen an den Rand des Gazastreifens zu sehen.

Die Hamas drohte unterdessen, für jeden von Israel ausgeführten Angriff eine zivile Geisel hinzurichten, wie ein Sprecher sagte. Sie soll rund 150 israelische Geiseln in den Gazastreifen verschleppt haben, unter ihnen auch Deutsche und Bürger mehrerer anderer westlicher Staaten.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe leitete Ermittlungen gegen unbekannte Mitglieder der Hamas wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ein. Das sagte eine Sprecherin der Anklagebehörde am Dienstag in Karlsruhe. Hintergrund seien die Entführungen und mutmaßlichen Tötungen deutscher Staatsbürger nach dem Großangriff der Hamas auf Israel.

Deutsche Berufsschüler und ihre Begleiter wurden unterdessen aus Israel ausgeflogen. Sie kamen aus Baden-Württemberg. Eine andere Schülergruppe aus Nordrhein-Westfalen war am Samstagabend von israelischen Freunden in enger Abstimmung mit dem Militär aus der unmittelbaren Gefahrenzone an einen sicheren Ort in der Negev-Wüste gebracht worden. (dpa)

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