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Christian El-Hadad (links) und sein Kollege Shaan Bhambra haben das neue System entwickelt.

© McGill University

Multikulturelles Gesundheitssystem in Kanada: Sehtests erstmals mit Alphabet der indigenen Völker

Zwei Augenärzte aus Montréal haben einen Test mit Buchstaben des indigenen Alphabets entwickelt. Das hilft vor allem Patienten aus entlegenen Regionen.

Angehörige der indigenen Völker Kanadas, die keine der beiden offiziellen Staatssprachen Englisch und Französisch gut lesen oder sprechen können, haben lange Zeit ein Problem gehabt, wenn sie einen Sehtest beim Augenarzt machen wollten. Denn die dort verwendeten Sehtests arbeiten mit lateinischen Buchstaben, wie sie auch im Deutschen üblich sind.

Doch indigene Völker wie die Inuit, die in den nördlichen Polar-Regionen leben, benutzen für die schriftliche Darstellung ihrer traditionellen Sprachen ein anderes Alphabet, ebenso wie die weiter südlich lebenden Angehörigen der Cree und der Ojibwe, die zu den größten indigenen Völkern Nordamerikas zählen.

Das führte dazu, dass Patienten, die diesen Gruppen angehören, bei Augen-Untersuchungen oft irreführende Ergebnisse bekamen, die weniger über ihre Sehfähigkeit aussagten als über ihre Kenntnis des lateinischen Alphabets.

Wir wollen eine Versorgung bieten, die die Einzigartigkeit dieser Gemeinschaften respektiert und anerkennt.

Shaan Bhambra, Augenarzt

Nun hat ein Team von Ärzten der McGill-Universität in Québec erstmals einen Sehtest entwickelt, der das indigene Alphabet benutzt. Die kanadische Silbenschrift basiert auf der im 19. Jahrhundert entwickelten Cree-Schrift.

Der bisherige Sehtest, links, und der neu entwickelte mit der kanadischen Silbenschrift im Vergleich.
Der bisherige Sehtest, links, und der neu entwickelte mit der kanadischen Silbenschrift im Vergleich.

© McGill University

„Bei einer Stichprobe von Patienten des McGill University Health Centre, die Inuktitut und Englisch lesen, stellten die Ärzte fest, dass die meisten Patienten mit der Inuktitut-Tafel im Vergleich zur Standardtafel mit lateinischem Alphabet ein gleiches oder besseres Ergebnis erzielten“, erklärte die Pressestelle der Montréaler Hochschule.

Eine große Mehrheit der Inuit gibt nach Angaben der Hochschule Inuktitut als ihre erste Sprache an. „Es war wichtig, diese Sehschärfentabelle zu entwickeln, um die Versorgung indigener Kanadier in ihrer Muttersprache zu erweitern und um zu zeigen, dass die Messung der Sehschärfe mit dem Alphabet der Muttersprache eines Patienten gleiche oder bessere Ergebnisse liefern kann.“

Ärzte ohne Grenzen: Christian El-Hadad (links) und sein Kollege Shaan Bhambra
Ärzte ohne Grenzen: Christian El-Hadad (links) und sein Kollege Shaan Bhambra

© McGill University

Entwickelt wurde der neue Sehtest von zwei Augenärzten, die in der Inuit-Siedlung Puvirnituq im Norden der Provinz Québec gearbeitet haben, Christian El-Hadad und sein Kollege Shaan Bhambra.

„Wir hoffen, diese Sehschärfentafeln Augenärzten zur Verfügung stellen zu können, die mit indigenen Bevölkerungsgruppen arbeiten, um eine Versorgung zu bieten, die die Einzigartigkeit dieser Gemeinschaften respektiert und anerkennt“, erklärte Shaan Bhambra.

Etwa 260.000 indigene Kanadierinnen und Kanadier sprechen nach seinen Angaben ihre traditionellen Sprachen, 85 Prozent davon könne man nun mit dem neuen Test bedienen.

Die neuen Tafeln werden jetzt auch im Augenzentrum des McGill University Health Centre eingesetzt. Zwei der ersten Patientinnen, die den Test mit dem Indigenen-Alphabet machten, waren die Inuit Pavvi Etok und ihre Großmutter Annie Hubloo Etok.

Die beiden waren Anfang April ins 1500 Kilometer südlich gelegene Montréal geflogen, um sich untersuchen zu lassen – für die Bevölkerung der strukturschwachen Regionen Nordkanadas keine Seltenheit, da die medizinische Versorgung dort oft schlecht ist. „Manche Leute bei uns sprechen nicht gut Englisch, vor allem ältere Menschen, sagte Hubloo Etok dem Fernsehsender CTV. „Auch für Kinder wird es eine Hilfe sein.“

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