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Kanadische Ureinwohner kommen zum Ort des Besuchs von Papst Franziskus im Rahmen seiner mehrtägigen Kanadareise.

© Johannes Neudecker/dpa

Vatikan distanziert sich vom Kolonialismus: Indigene in Kanada fordern Aufarbeitung historischer Verbrechen

Über Jahrhunderte hat die katholische Kirche die Eroberung Amerikas gerechtfertigt. Jetzt rückt der Vatikan davon ab, Vertretern der Ureinwohner reicht das aber nicht.

Für viele Menschen in Kanada ist die Kehrtwende des Vatikan eine lange ersehnte Sensation: Ende März hat sich die katholische Kirche von einer bislang offiziellen „Doktrin der Entdeckung“ verabschiedet, mit der sie über Jahrhunderte die Eroberung Nordamerikas gerechtfertigt hatte.

Die Doktrin aus dem 15. und 16. Jahrhundert – ein päpstlicher Rechtsakt – verfügte, dass die europäischen Kolonisatoren von ihnen „entdecktes“ Land, das von nicht-christlicher Bevölkerung bewohnt wird, für die europäischen Monarchien in Anspruch nehmen dürfen.

Nun hat die Kirche die mit der Kolonialisierung verbundene Unterdrückung indigener Völker und den Landraub durch die europäischen Siedler vor allem aus England, Frankreich, Spanien und Portugal verurteilt. „Die Entdeckungs-Doktrin ist nicht Teil der Lehre der katholischen Kirche“, teilte der Vatikan Ende März mit. Die entsprechenden historischen Papstschreiben seien „nie als Ausdruck des katholischen Glaubens“ angesehen worden.

Papst Franziskus traf im Sommer 2022 in Kanada Mitglieder indigener Gemeinschaften um bat um Vergebung für kirchliche Vergehen an den Ureinwohnern.
Papst Franziskus traf im Sommer 2022 in Kanada Mitglieder indigener Gemeinschaften um bat um Vergebung für kirchliche Vergehen an den Ureinwohnern.

© Gregorio Borgia/AP/dpa

Für viele Kanadierinnen und Kanadier wird damit eine der großen Enttäuschungen vom Papstbesuch 2022 wettgemacht – vor allem für diejenigen, die zu den indigenen Völkern gehören, „First Nations“ genannt, oder sich für deren Interessen einsetzen. Trotz vielfacher Appelle hatte sich Papst Franziskus bei seiner Kanada-Reise im vergangenen Sommer nicht von der „Doktrin der Entdeckung“ distanziert.

Die jetzige Kehrtwende des Vatikans wird von Vertretern der indigenen Bevölkerung als bedeutsamer symbolischer Schritt gelobt. Wichtiger als die Erklärung selbst sei allerdings, welche Auswirkungen sie auf die aktuelle Politik habe.

Es gibt immer noch eine Mentalität da draußen – sie wollen indigene Menschen assimilieren, dezimieren, vernichten, ausrotten.

Ernie Daniels, ehemaliger Chief der Long Plain First Nation

„Es muss eine grundlegende Änderung in der Einstellung, im Verhalten, in den Gesetzen und in der Politik aufgrund dieser Erklärung geben“, sagte Ernie Daniels, der ehemalige Chief der Long Plain First Nation in Manitoba, dem öffentlichen Sender CBC nach der Vatikan-Verkündung.

Daniels gehörte zu einer Delegation, die Papst Franziskus im vergangenen Jahr in Rom getroffen hatte und dann erneut während des Besuchs in Kanada. Er kritisierte, dass  Institutionen auf der ganzen Welt weiterhin koloniale Haltungen gegenüber indigenen Völkern vertreten: „Es gibt immer noch eine Mentalität da draußen – sie wollen indigene Menschen assimilieren, dezimieren, vernichten, ausrotten.“

Papst Franziskus hatte bei seinem als „Pilgerreise der Buße“ angekündigten Kanada-Besuch 2022 um Vergebung für kirchliche Vergehen an den Ureinwohnern gebeten, was damals von vielen Betroffenen mit gemischten Gefühlen gesehen wurde.

Eines der zentralen Themen war bei dem Besuch der Umgang mit dem Erbe der sogenannten Residential Schools, jenen vom kanadischen Staat gegründeten und von der katholischen Kirche betriebenen Internaten für indigene Jungen und Mädchen, in denen Gewalt, kulturelle Unterdrückung und oft auch sexueller Missbrauch zum Alltag gehörten.

Rund 150.000 Kinder wurden hier ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1990er Jahre von ihren Familien getrennt und umerzogen, Tausende überlebten das nicht.

Auch in anderen einst von Europa kolonisierten Ländern wurde die aktuelle Vatikan-Erklärung zwar einerseits begrüßt. Andererseits wurde aber auch gefordert, dass weitere Schritte folgen müssten. Boliviens Ex-Präsident Evo Morales, der erste gewählte indigene Staatschef des Andenstaates, forderte eine offizielle Entschuldigung der Europäer. Die könnte etwa die Europäische Kommission aussprechen und ihre Präsidentin Ursula von der Leyen. (mit KNA)

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