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Grund zum Feiern: Jakov Milatovic (Mitte) hat die Wahl in Montenegro klar gewonnen.

© REUTERS/MARKO DJURICA

Montenegro wählt den Wechsel: Das Ende der Ein-Mann-Demokratie

Jakov Milatović hat die Präsidentschaftswahlen in Montenegro gewonnen, damit enden mehr als drei Jahrzehnte der Dauerregierung von Milo Djukanović.

Der überzeugende Sieg von Jakov Milatović (36) bei den Präsidentschaftswahlen in Montenegro am vergangenen Sonntag beendet eine 34 Jahre währende Ära. So lange regierte sein Gegner in der Stichwahl, Milo Djukanović, den kleinsten postjugoslawischen Staat mit seinen nur 620.000 Bürgern.

Milatović, der einer der Führer der neu gegründeten Bewegung „Europa jetzt!“ ist, gewann fast 60 Prozent der Stimmen gegen den langjährigen Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS), der Nachfolgerin des Bundes der Kommunisten Montenegros (LCM).

Der neue Präsident, der sein Amt am 21. Mai antritt, kam erst 2020 in die Politik. Da wurde er Minister für wirtschaftliche Entwicklung in der ersten Koalitionsregierung ohne Beteiligung der DPS, einem Expertenkabinett. Die DPS und die LCM waren in Montenegro 75 Jahre lang ohne Unterbrechung an der Macht, von 1945 bis 2020.

Der Neue arbeitete zuvor in Banken

Mit der Niederlage von Djukanović bei den Präsidentschaftswahlen ist die Macht in Montenegro zum ersten Mal vollständig in den Händen seiner politischen Gegner.

34
Jahre hat Milo Djukanović zuvor regiert.

Der neu gewählte Präsident hat in Montenegro und im Ausland – unter anderem in Oxford – Wirtschaftswissenschaften studiert. Er arbeitete in verschiedenen Banken, unter anderem bei der Deutschen Bank in Frankfurt und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. In seiner offiziellen Biografie erwähnt Milatović seine Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem britischen Chevening-Stipendium.

Milatović war nicht die erste Wahl als Präsidentschaftskandidat seiner Bewegung. Er musste den ehemaligen Finanzminister Milojko Spajić ersetzen. Dieser zog sich zurück, als die Medien herausfanden, dass er die serbische Staatsbürgerschaft besitzt und auch einen Wohnsitz in Belgrad angemeldet hat.

Milatović war ein Kind, als der Vorgänger erstmals regierte

Das Hauptaugenmerk bei dieser Wahl lag jedoch eher auf Milo Djukanović als auf Jakov Milatović. Montenegrinischen Analysten zufolge waren mindestens ein Drittel der Gesamtstimmen für Milatović in erster Linie gegen Djukanović gerichtet und galten erst in zweiter Linie Milatović selbst. Djukanović blieb zu lange an der Macht, aber frühere Versuche, ihn abzulösen, scheiterten daran, dass er seine Gegner erfolgreich als antipatriotisch, pro-serbisch und pro-russisch darstellte.

Diesmal ist ihm das nicht gelungen. Die Mitgliedschaft des Landes in der Nato (seit 2017), die Marginalisierung des realen russischen Einflusses im Land, das nach dem Krieg in der Ukraine Sanktionen gegen Russland erließ, und die klare Pro-EU-Orientierung von Milatovićs Bewegung machten es unmöglich, den alten Trick anzuwenden.

Der ehemalige Präsident von Montenegro Milo Djukanovic wiederholte im Wahlkampf alte Rhetorik.

© AFP/ELVIS BARUKCIC

Djukanović wirkte alt, als er versuchte, die Rhetorik von früher zu wiederholen, dass Montenegro nur dann sicher sei, wenn er Präsident bleibe. Außerdem stand er einem Konkurrenten gegenüber, der erst fünf Jahre alt war, als Djukanović zum ersten Mal Premierminister von Montenegro wurde.

Unterstützer Miloševićs, dann Dauerregent

Djukanović (61) begann seine politische Karriere Mitte der 1980er Jahre in der kommunistischen Jugendorganisation, 1986 wurde er Mitglied des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens. Zwei Jahre später wurde er zum Vorsitzenden der ideologischen Kommission der Partei befördert, ein sehr hohes Amt für einen so jungen Mann.

Er war einer der Hauptakteure jener „antibürokratischen“ Revolution auf Seiten Milosevics, die die vorherige politische Führung Montenegros stürzte. Er unterstützte den späteren serbischen Präsidenten Milošević in den Schlüsseljahren des Zerfalls Jugoslawiens und der postjugoslawischen Kriege. Im Jahr 1992 stimmte Montenegro in einem Referendum, das nicht frei und fair war, gegen die Unabhängigkeit.

Djukanovic war einer der Hauptakteure pro Milošević.

Dejan Jovic, Politikwissenschaftler

Nach dem Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina beschloss Djukanović 1997 jedoch, sich auf die Seite des Westens zu stellen, und änderte damit seine Politik der Unterstützung von Milošević. Dabei wurde er von den unabhängigheitsliebenden Kräften im Land unterstützt. Zugleich brachte dies die pro-serbischen Kräfte im Land gegen ihn auf.

So spaltete er Montenegro in zwei identitätsbasierte politische Lager, die sich bald als promontenegrinisch und proserbisch identifizierten. Seitdem regierte er als Vertreter des antiserbischen montenegrinischen Nationalismus.

Der Vater der Unabhängigkeit Montenegros – und Serbiens

1999, während der Bombardierung des noch gemeinsamen Staates Serbien und Montenegro (damals Bundesrepublik Jugoslawien genannt), forderte Djukanović den Rücktritt von Slobodan Milošević. Im November desselben Jahres führte er die D-Mark als offizielle Währung in seiner Republik ein, die noch immer kein unabhängiger Staat war.

Im Jahr 2003 leitete er die serbisch-montenegrinische Föderation ein, ein Prozess, der im Mai 2006 durch ein Referendum zur vollständigen Unabhängigkeit führte. Djukanović war nicht nur der Vater der montenegrinischen Unabhängigkeit – die er 1992 abgelehnt hatte – sondern auch der serbischen, da Serbien infolge des Austritts Montenegros aus der Union unabhängig wurde.

55,5
Prozent der Bevölkerung in Montenegro waren 2003 für eine Abspaltung von Serbien.

Obwohl auch Montenegro im Krieg der 1990er Jahre eine Rolle spielte – dazu gehörten auch militärische Angriffe auf die nahe kroatische Stadt Dubrovnik an der Adriaküste – entging das Land der Stigmatisierung. Allerdings wurde es ethnisch und politisch stärker gespalten als je zuvor. Dabei spielten sowohl die Trennung von Serbien eine Rolle wie auch die antiserbische Rhetorik und Politik von Djukanović.

Die Unabhängigkeit wurde 2003 von 55,5 Prozent befürwortet, aber von 44,5 Prozent abgelehnt, und zwar nachdrücklich. Und bei der Volkszählung von 2003 stieg die Zahl derjenigen, die sich als ethnische Serben bezeichneten, von 9 Prozent (wie bei der letzten Volkszählung 1991) auf 32 Prozent.

Ethnienwechsel als Widerstand

Gleichzeitig sank der Anteil derjenigen, die sich selbst als ethnische Montenegriner bezeichneten, von 62 auf 43 Prozent. Somit änderten etwa 20 Prozent der Bevölkerung ihre ethnische Zugehörigkeit, größtenteils im Widerstand gegen Djukanovićs Politik des montenegrinischen antiserbischen Nationalismus.

20
Prozent der Bevölkerung wechselten ihre ethnische Zugehörigkeit aus Protest.

Montenegro ist heute der einzige postjugoslawische Staat, in dem keine ethnische Gruppe die Mehrheit der Bevölkerung stellt. Der einzige andere derartige Fall war Bosnien und Herzegowina. Bei der letzten Volkszählung von 2013 aber stieg dort der Anteil der Bosniaken auf über 50 Prozent.

Als Reaktion auf diese Trends, die er als Bedrohung der montenegrinischen Unabhängigkeit durch lokale Serben aus Montenegro – unterstützt von Serbien – darstellte, verstärkte und förderte Djukanović den Nationalismus. Er benannte die Amtssprache von Serbokroatisch in Montenegrinisch um und führte sogar zwei neue Schriftarten für das Alphabet ein.

Durch den Wahlsieg von Jakov Milatović findet in Montenegro zum ersten Mal seit 34 Jahren ein Machtwechsel statt.

© Reuters/Stevo Vasiljevic

Die Flagge des neuen Staates sollte sich so weit wie möglich von der alten unterscheiden, die fast die gleiche war wie die serbische Trikolore. Und – ganz entscheidend – Djukanović geriet in einen Konflikt mit der serbisch-orthodoxen Kirche über die Frage des Eigentums an ihren Kirchen und Klöstern.

Dieser letzte Schritt löste massive öffentliche Proteste vor allem von ethnischen Serben aus, die teilweise von Belgrad instrumentalisiert wurden, dessen Vorstellung von einer „serbischen Welt“ an die russische Politik der ethnopolitischen Einflussnahme in den Nachbarländern der ehemaligen Sowjetunion erinnerte.

Milatović - ein junger Djukanović?

Milatović verdankt seinen Erfolg der Tatsache, dass er weder in den Krieg der 1990er Jahre noch in die Entstehung neuer Gräben zwischen Montenegrinern und Serben nach der Unabhängigkeit persönlich verwickelt war. Er repräsentiert eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten, und manche sehen in ihm den jungen Djukanović, der im Alter von 29 Jahren Premierminister von Montenegro wurde.

Anhänger von Jakov Milatovic, die seinen Sieg nach Verkündung der Wahlergebnisse feiern.

© REUTERS/STEVO VASILJEVIC

Die Proteste gegen den alten Präsidentne wurden schnell von vielen anderen Menschen in Montenegro unterstützt, nicht nur von denen, die sich als Serben bezeichneten. Das führte zu einer ersten (wenn auch knappen) Wahlniederlage der DPS bei den Parlamentswahlen 2020, die nun durch den Sieg von Milatović bei den Präsidentschaftswahlen bestätigt wurde.

Bei diesen Wahlen besiegte Milatović sowohl Djukanović als auch seinen langjährigen serbischen Gegenkandidaten, Andrija Mandić, der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen den dritten Platz belegte. Milatović scheint den Wunsch nach einem neuen, integrativeren, weniger korrupten und erfolgreicheren Montenegro zu symbolisieren.

Montenegro sucht keine Feinde, sondern Freundschaften mit anderen Ländern des westlichen Balkans.

Jakov Milatović, Präsident von Montenegro in seiner Siegesrede.

In seiner Siegesrede am Sonntagabend sagte Milatović, dass Montenegro unter seiner Führung keine Feinde, sondern Freundschaft mit anderen Ländern des westlichen Balkans suchen werde. Dies steht in scharfem Gegensatz zu Djukanovićs antiserbischer Haltung.

Er versprach auch, dass Montenegro während seiner fünfjährigen Amtszeit Mitglied der EU werden würde. Dies könnte zu optimistisch sein. Schließlich sind es die EU-Mitgliedstaaten, die über die Mitgliedschaft entscheiden, und sie sind von einer weiteren Erweiterung nicht gerade begeistert. Es zeigt jedoch, in welche Richtung sich das Land unter dem neuen Präsidenten entwickelt.

Er nutzte seine Rede, um zu einem „versöhnten Montenegro“ aufzurufen, in dem ethnischer Nationalismus nicht mehr als Quelle für einen unendlichen Machterhalt genutzt wird. Nun hoffen seine Anhänger, dass eine neue Ära begonnen hat. Seine Gegner hoffen jedoch, dass sie nicht so lange andauern wird wie die von Djukanovic.

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