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Noa Tucker setzte sich mitten im Berufsverkehr auf die Kungsgatan (Symbolbild) und widersetzte sich der Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen.

© dpa/Julian Stratenschulte

„Klimawandel ist bereits spürbar“: Gericht in Schweden verurteilt Aktivisten – aber ohne Strafe

Die Anwältin des Angeklagten nennt den Beschluss „historisch“, auch wenn es Berufung geben könnte: Erstmals habe ein Gericht geurteilt, dass sich Schweden im Klimanotstand befinde.

Es ist ein ungewöhnliches Urteil aus Schweden, das wohl auch in anderen Ländern Aufmerksamkeit erregen dürfte: Ein Bezirksgericht in Stockholm hat einen Klimaaktivisten zwar des Ungehorsams gegen die Polizei für schuldig befunden. Eine Strafe bleibt dem 41-jährigen Noa Tucker (oben Symbolfoto) aber erspart. Dies berichtet unter anderem der schwedische öffentlich-rechtliche Sender SVT online.

Zwei von vier Richter argumentierten dem Bericht zufolge, der Angeklagte habe „mit dem Ziel“ gehandelt, eine Gefahr für die Gesellschaft abzuwenden. Bei einem Patt in der Jury erhalten Angeklagte in Schweden demnach die mildeste Strafe. Das Gericht folgte damit der Argumentation des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft erklärte am Freitag, sie habe noch nicht entschieden, ob sie in dem Fall Berufung einlegen will.

Was war passiert? Ende des Sommers 2022 blockierten Tucker, ein ehemaliger Abgeordneter der Gemeinde Ekerö, und etwa 40 andere Klimaaktivisten dem Bericht zufolge eine der größten Straßen im Zentrum Stockholms.

Noa Tucker hat gehandelt, weil ein wichtiges, von der Rechtsordnung geschütztes Interesse gefährdet ist, und er hat seine Tat in der Absicht begangen, diese Gefahr zu beseitigen.

Aus dem Urteil des Gerichts in Stockholm

Tucker setzte sich mitten im Berufsverkehr auf die Kungsgatan und widersetzte sich der Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen. Er wurde festgenommen und anschließend wegen Ungehorsams gegen Sicherheitskräfte angeklagt.

Nun wurde der Aktivist Mitte der Woche tatsächlich deswegen verurteilt, muss aber keine Geldstrafe zahlen, weil das Gericht diese für „offensichtlich unangemessen“ hält. „Es handelt sich um eine akute Notlage und die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits spürbar“, zitiert SVT aus dem Urteil.

Das Bezirksgericht schreibt demnach weiter: „Noa Tucker hat gehandelt, weil ein wichtiges, von der Rechtsordnung geschütztes Interesse gefährdet ist, und er hat seine Tat in der Absicht begangen, diese Gefahr zu beseitigen.“

Tuckers Anwältin Pia Björstrand sagte dem Sender, dass weder sie noch ihre Kollegen jemals einen ähnlichen Fall erlebt haben. „Ich betrachte dies als historisch. Nicht weil dieses Urteil Bestand hat und zur gültigen Rechtsprechung wird, sondern weil wir zum ersten Mal in der Geschichte Schwedens ein Urteil haben, in dem tatsächlich festgestellt wird, dass wir uns in einem Klimanotstand befinden.“

Björstrand betonte, dass es sich um ein Geschworenenurteil handele und daher ein großes Risiko bestehe, dass das Berufungsgericht eine Änderung vornimmt.

Klimaaktivist Tucker glaubt, dass das Urteil in Schweden noch geändert wird

Auch Tucker selbst ist sich nicht sicher, dass das Urteil Bestand haben wird. „Ich hoffe, dass sie den Ernst der Lage begreifen und dies nach dem Notstandsrecht auslegen können, aber vieles deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall sein könnte“, sagte er SVT nach dem Urteil in Schweden.

Ein vergleichbares Urteil wie dies in Schweden hat es in Deutschland bisher nicht ansatzweise gegeben – im Gegenteil. Erst Ende der Woche hat das Landgericht München I in einer rechtskräftigen Entscheidung den Anfangsverdacht zur Einstufung der Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung bestätigt.

Der Zweck und die Tätigkeit der Vereinigung seien auf das Begehen von Straftaten ausgerichtet, entschied die Staatsschutzkammer des Gerichts in einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung. Das Gericht verwies zur Begründung unter anderem auf Blockaden von Straßen und Flughäfen durch Klimaaktivisten der „Letzten Generation.“

Das Landgericht München schrieb in seinem Beschluss, die „Letzte Generation“ erfülle die Voraussetzung einer kriminellen Vereinigung, weil sie ein auf Dauer angelegter Zusammenschluss mehrerer Hundert Personen darstelle – mit dem übergeordneten gemeinsamen Ziel, ihre klimapolitischen Forderungen gegenüber der Bundesregierung durch „zivilen Ungehorsam“ durchzusetzen.

Ist ein Urteil zum Klimawandel wie in Schweden in Deutschland denkbar?

Die Taten der „Letzten Generation“ stellten dem Gericht zufolge eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Durchsuchungsmaßnahmen bei Verdächtigen seien verhältnismäßig. Mit der Entscheidung wies das Gericht zehn Beschwerden von Klimaaktivisten gegen vom Amtsgericht München genehmigte Durchsuchungen und Beschlagnahmen als unbegründet zurück.

Die Berliner Justizverwaltung dagegen beurteilt den Sachverhalt bei der „Letzten Generation“ anders. Dort heißt es, die Aktionen der Gruppe zielten zwar auf größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit, würden aber „stets ohne jede körperliche Aggression“durchgeführt.

Ihre Taten wiesen nicht die erforderliche Erheblichkeit der Straftaten im Sinne einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auf. Den Verdacht, dass die Aktivistinnen und Aktivisten eine kriminelle Vereinigung bildeten, halten die Berliner Juristen für „schwer nachvollziehbar“.

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