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Palästinenser an einem Checkpoint der israelischen Armee.

© Reuters/Mussa Issa Qawasma

Israels Kampf um Demokratie: Die ungleiche Behandlung von Arabern kommt auf die Agenda

Arabische Israelis halten sich fern vom Protest gegen die Justizreform, denn sie sehen sich von Gerichten diskriminiert. Liberalen Israelis dämmert, dass Demokratie ohne Gleichbehandlung unmöglich ist.

Jeden Samstagabend während der Proteste gegen die geplante Justizreform in Tel Aviv wehen auf der Kaplan-Straße, dem Zentrum der Proteste, palästinensische Fahnen. Meist sind es nicht viele, vielleicht ein Dutzend, konzentriert nahe dem Gebäude der Zionistischen Weltorganisation.

Und doch stechen sie deutlich heraus aus dem Meer der blau-weißen israelischen Fahnen, die zum Symbol des Aufstands gegen die rechts-religiöse Regierung geworden sind.

Eine kleine Gruppe von Demonstranten protestiert nicht nur gegen den geplanten Umbau der Justiz, der Israels Obersten Gerichtshof schwächen soll, sondern auch gegen Israels Besatzung der Palästinensergebiete.

Alle Umfragen zeigen: Die meisten arabischen Bürger lehnen die Reformen ab“, sagt der arabisch-israelische Journalist. Aber sie tun nichts dagegen.

Mohammad Magadli, arabisch-israelischer Journalist

Ein Rückfall in schlechtere Zeiten

Es sind allerdings vor allem linke jüdische Aktivisten, die in Tel Aviv die Palästina-Fahnen schwenken. Denn die arabische Minderheit, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung, hält sich von den Protesten weitgehend fern – obwohl Rechtsexperten warnen, dass wohl keine andere Gruppe so sehr unter dem geplanten Umbau der Justiz zu leiden hätten wie sie.

Barak Medina, Rechtsprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, fürchtet einen Rückfall in schlechtere Zeiten. Bis Anfang der Neunziger Jahre, sagt Medina, hätten israelische Regierungen, gleich ob links oder rechts, arabische Bürger in vielerlei Hinsicht diskriminiert, „bei der Finanzierung von Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen und anderen Feldern“.

1992 jedoch beschloss die Knesset, Israels Parlament, eines jener sogenannten Grundgesetze, die bis heute als eine Art Verfassungsersatz gelten: das „Grundgesetz zur Würde und Freiheit des Menschen“. Dieses Gesetz setzte eine Entwicklung in Gang, die Medina als „Menschenrechtsrevolution“ bezeichnet: Von nun an begann das Oberste Gericht, Entscheidungen der Regierung auf Diskriminierung zu prüfen.

„Es ist nicht so, dass die Politik seitdem perfekt gewesen wäre“, sagt Medina, „aber die Richtung war positiv, es gab mehr Respekt für Gleichberechtigung, auch in der öffentlichen Meinung“.

Die geplanten Reformen drohten, die seit 1992 erzielten Fortschritte abzuschaffen, fürchtet der Professor, der sich selbst in der Protestbewegung engagiert. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sage „ganz klar: Unser Ziel ist, die Revolution der Neunziger rückgängig zu machen“. Medina hat keinen Zweifel: Gemeint, wenn auch nicht explizit benannt, sei damit die „Menschenrechtsrevolution“.

Es ist Zeit eine Verfassung zu schreiben, die explizit die Gleichbehandlung von Juden und Arabern, sowie ein Ende der Besatzung fordert.

Barak Medina, Rechtsprofessor

Die Folgen der Reformen für die Palästinenser im Westjordanland schätzt der Rechtsexperte als geringer ein – aber nur deshalb, weil das Oberste Gericht in die Handlungen der Regierung dort ohnehin viel weniger eingreife. So ermöglichte das Gericht etwa den Bau der meisten Siedlungen in jenem besetzten Gebiet, auf dem die Palästinenser ihren zukünftigen Staat gründen wollen..

„Das Einzige, was das Gericht dort verhindert hat, war die Errichtung israelischer Siedlungen auf privatem palästinensischen Land“, sagt Medina. Dieser Punkt ist allerdings ideologischen Befürwortern des Siedlungsprojekts, etwa Finanzminister Bezalel Smotrich, ein Dorn im Auge. Sollte die Regierung den Obersten Gerichtshof tatsächlich schwächen, wäre ein noch stärkerer Ausbau der Siedlungen zu erwarten.

Araber nehmen Gerichte als Feinde wahr

Warum aber gehen dann Israels arabische Bürger, von denen sich viele als Palästinenser identifizieren, nicht in größeren Zahlen auf die Straße? „Alle Umfragen zeigen: Die meisten arabischen Bürger lehnen die Reformen ab“, sagt der arabisch-israelische Journalist Mohammad Magadli. „Aber sie tun nichts dagegen.“

Magadli gehört zu den wenigen arabischen Journalisten, die sowohl in arabisch- als auch in hebräischsprachigen Medien bekannt und erfolgreich sind. Zum einen leitet er die Nachrichtensparte des arabischsprachigen Radiosender Nas in Nazareth; zum anderen tritt er wöchentlich in einer beliebten Politsendung des hebräischsprachigen Fernsehsenders Kanal Zwölf auf. Er ist es gewohnt, zwischen zwei Gruppen zu vermitteln, die in vielerlei Hinsicht wenig Berührungspunkte haben.

Viele arabische Bürger, erklärt Magdali, nähmen die Gerichte als feindliche Institutionen wahr. Um das zu erklären, muss man ein wenig ausholen. Viele arabische Bürger klagen darüber, dass sie nur äußerst schwer Genehmigungen zum Bau neuer Häuser bekämen; viele vermuten dahinter Diskriminierung.

Protest gegen die umstrittene Justizreform in Israel.

© dpa/Ilia Yefimovich

In der Folge werden in arabischen Dörfern und Städten etliche Gebäude ohne Genehmigung errichtet. Viele dieser Gebäude lassen staatliche Stellen anschließend wieder abreißen – und die Genehmigung für den Abriss erteilen Gerichte.

Einspruch gegen solche Entscheidungen akzeptierten die Richter nur selten, berichtet Magdali. „Deshalb sind die meisten arabischen Bürger wütend auf die Gerichte.“ Dazu komme der Frust über die Zurückhaltung des Obersten Gerichtshofes bei der Politik in den besetzten Gebieten. „Wenn also jüdische Israelis aus dem Mitte-Links-Lager zu arabischen Bürgern sagen: ‚Kommt mit uns demonstrieren!’, dann fragen die: ‚Moment mal, wo wart ihr die letzten 50 Jahre?’“

Trotz allem glaubt Mohammad Magdali, dass in der aktuellen Krise auch eine Chance liegt. „Das Mitte-Links-Lager versteht heute, dass man keine liberale Regierung bilden kann ohne die richtige Haltung gegenüber den Minderheiten und den Palästinensern, die Israel militärisch kontrolliert.“

Barak Medina, der Rechtsprofessor, äußert eine ganz ähnliche Hoffnung. Immer mehr Israelis begriffen, dass es Zeit sei, „eine Verfassung zu schreiben, die explizit die Gleichbehandlung von Juden und Arabern sowie ein Ende der Besatzung fordert“, sagt er. „Wir können nicht für liberale Demokratie kämpfen, ohne uns zu Gleichbehandlung zu verpflichten.“

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