zum Hauptinhalt
Der belgische MItarbeiter einer Hilfsorganisation, Olivier Vandecasteele, begrüßt seine Familie nach seiner Freilassung im Mai 2023.

© Reuters/Didier Lebrun/Pool

Irans Geiseldiplomatie: Sechs Freilassungen – aber kein Deutscher darunter

Teheran hat einen Belgier gegen einen Top-Terroristen ausgetauscht. Vermutlich war die Freilassung sechs weiterer Europäer Teil des Deals. Tut Berlin zu wenig für seine Staatsbürger?

An die ersten Worte, die sie zueinander sagten, erinnert sich Nilufar Mossaheb nicht mehr. „Wir sind uns alle in die Arme gelaufen, haben uns lange gehalten und geweint“, erzählt sie.

Nilufar Mossaheb und ihre Schwester hatten ihren Vater seit mehr als vier Jahren nicht gesehen. Der heute 76-jährige Österreicher Massud Mossaheb befand sich seit Januar 2019 in iranischer Geiselhaft.

Am 2. Juni kehrte er auf österreichischen Boden zurück, gemeinsam mit Kamran Ghaderi, einem weiteren politischen Gefangenen. „Unser jahrelanges diplomatisches Ringen um ihre Freilassung hat Früchte getragen“, schrieb der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg in einer Pressemitteilung, in der er seine Freude über die Freilassung der zwei Männer deutlich machte.

In den vergangenen Wochen wurden auffällig viele europäische Geiseln aus iranischer Haft entlassen: Zwei französische Staatsbürger, ein Däne, ein Belgier und die zwei Österreicher. Sechs Freilassungen in wenigen Wochen, nachdem sich zuvor jahrelang nichts bewegt hatte. Was steckt dahinter?

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg empfängt Kamran Ghaderi (re.) und Massud Mossaheb (li.) bei der Rückkehr nach Österreich. Die österreichischen Staatsbürger waren seit 2016 bzw.  2019 in Iran festgehalten worden.
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg empfängt Kamran Ghaderi (re.) und Massud Mossaheb (li.) bei der Rückkehr nach Österreich. Die österreichischen Staatsbürger waren seit 2016 bzw. 2019 in Iran festgehalten worden.

© AFP/Austrian Interior Ministry/Karl Schober

Geiseldiplomatie sei für das iranische Regime zu einem strategischen Mittel der Außenpolitik geworden, so schreibt die US-amerikanische Denkfabrik The Stimson Center in einer Analyse von Ende Mai. Der Iran benutze die Geiseln, um Zugeständnisse von den jeweiligen Staaten zu erzwingen.

Mit dieser Taktik, so scheint es, ist dem iranischen Regime tatsächlich ein Coup gelungen. Es konnte die Rückkehr eines seiner Top-Terroristen erwirken: Assadolah Assadi. Er wollte im Jahr 2018 in Paris einen Terroranschlag ausüben und wurde in Belgien zu 20 Jahren Haft verurteilt. Ende Mai wurde bekannt, dass Assadi gegen den Belgier Olivier Vandecasteele ausgetauscht wurde.

Es ist anzunehmen, dass die anderen europäischen Geiseln informell dem Assadi-Deal zuzurechnen sind, auch wenn dieser in erster Linie ein Austausch zwischen Iran und Belgien war. Unter den Freigelassenen war jedoch keine deutsche Geisel: Weder Jamshid Sharmahd noch Nahid Taghavi durften den Iran verlassen.

Nahid Taghavi wurde im Oktober 2020 unter fadenscheinigen Gründen festgenommen und ist seitdem im Evin-Gefängnis in Haft. In der vergangenen Woche gab es besorgniserregende Nachrichten: Es soll der 68-Jährigen Nahid Taghavi gesundheitlich sehr schlecht gehen.

„Sie baut gesundheitlich immer mehr ab“, bestätigt ihre Tochter Mariam Claren, die wie ihre Mutter Kölnerin ist. Aufgrund der langen Isolationshaft habe sie mehrere Bandscheibenvorfälle, außerdem leide sie unter Bluthochdruck und Diabetes, berichtet Claren. Sie könne sich vor lauter Schmerzen nur noch wenig bewegen. Wenn sie nicht bald eine medizinisch adäquate Therapie erhalte, fürchtet Claren, könnte das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.

Die Bundesregierung bezeichnet meine Mutter nicht einmal als politische Geisel.

Mariam Claren, die Tochter der in Teheran inhaftierten Kölnerin Nahid Taghavi

Neben Nahid Taghavi ist auch Jamshid Sharmahd in Geiselhaft; er wurde zum Tode verurteilt und könnte jeden Moment hingerichtet werden.

Mariam Claren, Taghavis Tochter, hat den Eindruck, dass sich die Bundesregierung nicht in dem Maße für die Befreiung der Deutschen einsetze wie es andere Staaten für ihre Bürger tun. „Die Bundesregierung bezeichnet meine Mutter nicht einmal als politische Geisel“, so Claren. Anders als beispielsweise die Franzosen: So sprach das Außenministerium im Jahr 2022 in einem Statement in Zusammenhang mit zwei inhaftierten Franzosen ausdrücklich von „Staatsgeiseln“.

Auch der Umgang mit Angehörigen politischer Geiseln unterscheidet sich. „Wir hatten regelmäßig mit dem Außenamt Kontakt“, berichtet beispielsweise Nilufar Mossaheb, die Tochter des inzwischen befreiten Österreichers Massud Mossaheb. „Manchmal täglich, manchmal alle paar Wochen, je nachdem, was gerade passierte.“ Es habe eine Task Force gegeben, die sich der Befreiung ihres Vaters widmete, berichtet die Tochter.

Österreich neuer Außenminister traf die Angehörigen sofort persönlich

Die Gespräche fanden zudem persönlich statt. „Wir haben gemeinsam Szenarien durchgespielt und Strategien überlegt“, erzählt sie. Auch an Wochenenden und am Abend sei das Team für sie dagewesen. Außerdem habe Außenminister Schallenberg sich gleich zwei Wochen nach seinem Amtsantritt persönlich mit den Angehörigen getroffen. Der Fall, so wird klar, wurde auf höchster Ebene behandelt. Erfolgreich.

Dass meine Mutter im Iran im Gefängnis sitzt, hängt nur mit ihrer deutschen Staatsbürgerschaft zusammen.

Mariam Claren, die Tochter der in Teheran inhaftierten Kölnerin Nahid Taghavi

Bei Mariam Claren läuft es anders. Sie steht alle paar Wochen telefonisch mit dem Auswärtigen Amt (AA) in Kontakt und gibt Updates über den Zustand ihrer Mutter. Informationen erhält sie selten. Was unternommen wird, um ihre Mutter zu befreien, weiß sie nicht. Ein Treffen mit Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe es nie gegeben.

Auf einen Fragenkatalog antwortet das AA nur knapp: Man setze sich „weiterhin intensiv und hochrangig“ für die im Iran inhaftierten Staatsbürger ein. Diese Information beantwortet nicht einmal, wofür sich das AA überhaupt einsetzt – denn wenn es die Deutschen nicht als Geiseln sieht, muss es auch keine Freilassung geben. Da verwundert es nicht, dass die Deutschen nicht Teil des Assadi-Deals waren.

„Dass meine Mutter im Iran im Gefängnis sitzt, hängt nur mit ihrer deutschen Staatsbürgerschaft zusammen“, sagt Claren. „Das ist das Schlimmste für mich. Dass ihr Schicksal von diesen beiden Staaten abhängt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false