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Bundeskanzler Olaf Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel: Streit zwischen Rat und Parlament.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Nicolas Economou

Investigate Europe: Wie sich manche EU-Länder gegen ein geplantes EU-Gesetz zur Medienfreiheit sperren

Die EU-Vizepräsidentin Vera Jourová möchte gegen die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit in den Mitgliedstaaten vorgehen. Doch das Gesetzesprojekt droht im anstehenden Wahlkampf unterzugehen.

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Wer europäische Journalisten zu ihrer Freiheit im Beruf befragt, der erfährt vielerorts von massiven politischen Eingriffen. Da kontrolliert die griechische Regierung direkt die nationale Nachrichtenagentur, sodass kritische Stimmen nicht zu Wort kommen und Regierungsskandale gar nicht erst berichtet werden.

Da besetzen Italiens regierende Rechtspopulisten die Führungspositionen beim nationalen Sender RAI durchweg mit ihren Gefolgsleuten, die das Programm radikal auf Regierungslinie trimmen und viele kritische Reporter vertreiben.

Und in Frankreich kauft der Milliardär Vincent Bolloré ein Medienunternehmen nach dem anderen und schmiedet mittels Einsetzung von rechtsradikalen Chefredakteuren ein Medienimperium für die französische Rechte, das vom Fernsehsender CNews bis zur führenden Sonntagszeitung Journal du Dimanche reicht. 

Staatsbeamte, die Zensur verfügen, Parteifunktionäre, die öffentliche Sendeanstalten für Propaganda missbrauchen, Superreiche, die sich Medien kaufen, um damit ihre politischen Interessen zu propagieren – so verbreitet sich über ganz Europa, was man lange nur aus dem Ungarn des Autokraten Viktor Orbán kannte: Die Mächtigen unterwerfen die Medien ihren Interessen und beschränken die Pressfreiheit auf breiter Front.

Mittlerweile gebe es „ein alarmierendes Ausmaß von Risiken für den Medienpluralismus in allen europäischen Ländern“, konstatierte jüngst das Zentrum für Medienfreiheit der Europäischen Universität Florenz (siehe Grafik).

Das bringe Europa in eine „verzweifelte Lage“, sagt Vera Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission, im Gespräch mit dem Journalistenteam Investigate Europe. Deswegen treibt sie ein Projekt voran, wie es vor ihr noch kein EU-Politiker gewagt hat: Ein Gesetz „zum Schutz des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien“, das EU-weit Mindeststandards zur Wahrung der Pressefreiheit rechtsverbindlich vorschreiben soll.

EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourová:  „Natürlich wollen wir nicht, dass reiche Leute sich Medien kaufen, um die Politik zu beeinflussen.“
EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourová:  „Natürlich wollen wir nicht, dass reiche Leute sich Medien kaufen, um die Politik zu beeinflussen.“

© AFP/FRANCOIS LENOIR

Der schon im September 2022 eingebrachte Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass

  • öffentlich-rechtliche Medien „unparteiisch“ berichten und deren Führungspositionen in einem „transparenten, offenen und nichtdiskriminierenden Verfahren bestimmt“ werden müssen
  • die Zuweisung staatlicher Gelder an Medien „nach transparenten und objektiven Kriterien“ unabhängig von der politischen Ausrichtung erfolgen muss
  • die verantwortlichen Redakteure unabhängig von Regierungen und Medieneigentümern „individuelle redaktionelle Entscheidungen frei treffen können“
  • es „nicht gestattet“ ist, Journalisten mittels „Inhaftierung, Überwachung oder Beschlagnahme“ zur Preisgabe ihrer Quellen zu zwingen sowie auf ihren Telefonen und Computern Spionagesoftware zu installieren

All das scheint für demokratische Staaten eigentlich selbstverständlich – und traf dennoch auf massiven Widerstand einiger Regierungen: nicht nur bei Ungarn und Polen, sondern auch bei Österreich – und Deutschland.

Viele Regierungen setzen EU-Richtlinien oft unvollständig um

Mangels Rechtsgrundlage dürfe allenfalls eine Richtlinie erlassen werden, keinesfalls aber eine Verordnung, forderten die Beamten der vier Staaten. Dies geht aus einem Protokoll des EU-Rates hervor, das Investigate Europe vorliegt.

Es gibt einen Grund, warum sie lieber eine Richtlinie statt der von Jourová geplanten Verordnung wollten: Die Erfahrung zeigt, dass viele Regierungen EU-Richtlinien oft unvollständig umsetzen, wenn ihnen die Vorschriften unwillkommen sind. Das EU-Gesetz wäre wirkungslos geworden.

Aber das war den Verantwortlichen in Deutschland offenbar egal. Im Namen der für die Medienaufsicht zuständigen Länder führt die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab die Verhandlungen. Die EU betätige sich als „Kompetenzstaubsauger in einem Bereich, der den Mitgliedstaaten vorbehalten“ sei, schrieb sie in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Ausdrücklich wandte sie sich auch gegen den „Eingriff in die Verlegerfreiheit“, und machte damit gemeinsame Sache mit den Größen der Branche. Praktische Vorschläge, wie Übergriffe durch Verleger wie Bolloré verhindert werden sollen, blieben Raab und die Verlegerlobby allerdings schuldig.

Rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab: Die EU betätige sich als „Kompetenzstaubsauger“.
Rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab: Die EU betätige sich als „Kompetenzstaubsauger“.

© dpa/Jan Woitas

Ihre Fundamentalopposition scheiterte jedoch. Zwar beschlossen die EU-Regierungen einige umstrittene Änderungen des Gesetzes, wie etwa den möglichen Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalisten im Namen der Nationalen Sicherheit, über den der Tagesspiegel und Investigate Europe berichteten. Aber die zentralen Vorschläge von Jourová fanden eine Mehrheit.

Wenn, wie zu erwarten, Anfang Oktober das Plenum seine Zustimmung erteilt – der Kulturausschuss des Parlaments stimmt schon an diesem Donnerstag ab – könnte Europas erstes Medienfreiheitsgesetz schon im nächsten Jahr in Kraft treten. Und eine kleine Revolution im europäischen Medienwesen auslösen.

Das jedenfalls hofft Kommissarin Jourová. Wenn das Gesetz in Kraft trete, werde es „eine verlässliche Grundlage“ für Klagen gegen die Beschränkung der Medienfreiheit sein, „die bisher in vielen Ländern absolut keine Chance haben“, sagt sie.

Die direkte Kontrolle der redaktionellen Inhalte von öffentlich-rechtlichen Medien wie in Griechenland und Italien wäre mit dem neuen EU-Gesetz definitiv nicht vereinbar. Das sei der „stärkste Teil des Gesetzes“, sagt Jourová. „Der Staat darf sich nicht in redaktionelle Entscheidungen einmischen.“

Bei Zuwiderhandlung könne die Kommission unmittelbar ein Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge gegen die betreffende Regierung einleiten. Zudem könnten auch Journalisten selbst gegen Zensur oder Überwachung Regierungen oder Medieneigentümer verklagen, erklärt die Kommissarin.

Fraglich ist allerdings, ob das den Niedergang der Medienvielfalt in Ungarn und Polen aufhalten kann. Deren Regierungen nehmen schon jetzt die Sperrung von Milliardenzahlungen aus Brüssel in Kauf, weil sie gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Warum sollten sie also weitere Urteile der EU-Richter fürchten?

In Ungarn etwa hat das Orbán-Regime die meisten unabhängigen Medien wirtschaftlich stranguliert, indem es deren Werbeeinnahmen blockierte und sie dann von Strohleuten kaufen ließ. In der Folge kontrolliert die regierungsnahe Kesma-Gruppe mehr als 500 Zeitungen und Magazine. Das wäre mit der geplanten EU-Verordnung zwar nicht mehr rechtens, aber es gäbe keine Instanz, um eine Änderung durchzusetzen.

Vielleicht ist Ungarn vorerst immun.

Vera Jourová, EU-Kommissionsvizepräsidentin

„Vielleicht ist Ungarn vorerst immun“, räumt auch Jourová ein. Aber dort werde die Regierung dennoch „früher oder später die politische Wirkung spüren“, gibt sich die Kommissarin überzeugt.

Das Instrument dafür soll der geplante „unabhängige europäische Medienrat“ mit Fachleuten aus allen Medienbehörden der 27 EU-Staaten werden. Diese können zwar nur rechtlich unverbindliche Urteile aussprechen. Aber Ländern, „denen der Rat die Beschränkung der Medienfreiheit bescheinigt“, drohe „der Verlust ihrer internationalen Reputation“ und da seien sie „sehr empfindlich“, so Jourová. 

Ob das Gesetz beschlossen wird, ist noch offen

Ob Jourovás großer Wurf tatsächlich ein verbindliches Gesetz wird, ist allerdings noch offen. Denn nach der für Anfang Oktober angesetzten Verabschiedung im Parlament müssen sich dessen Vertreter noch mit dem Rat auf einen gemeinsamen Gesetzestext einigen.

Dabei vertreten sie jedoch bei zwei zentralen Vorgaben gegensätzliche Auffassungen. So lehnt der Rechtsausschuss des Parlaments den von den EU-Regierungen geplanten Einsatz von Überwachungssoftware gegen Journalisten bei Gefahr „für die nationale Sicherheit“ rundheraus ab.

Auch den Artikel, der die Medieneigentümer verpflichtet „die redaktionelle Freiheit“ zu respektieren, wollen die Mitgliedsstaaten stark abschwächen, indem sie – auf Druck der deutschen Regierung – diese Freiheit nur „innerhalb der redaktionellen Linie“ zugestehen, die der Eigentümer festlegen darf. 

Gegen diese Beschränkung der Medienfreiheit durch private Eigentümer wird das Gesetz am Ende darum womöglich wenig ausrichten. „Natürlich wollen wir nicht, dass reiche Leute sich Medien kaufen, um die Politik zu beeinflussen“, sagt Jourová. „Aber wir können nicht die Vorgänge innerhalb der Redaktionen regulieren.“ Da seien dann doch die Journalisten selbst und die Zivilgesellschaft gefragt.

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