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Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, in einer Parlamentssitzung.

© dpa/ZumaPress/La Presse/Roberto Monaldo

Giorgia Melonis Angriffe auf Italiens Medien: Die Regierung wird uns nicht zum Schweigen bringen

Kritische Presse ist der rechten Regierung Italiens unter Ministerpräsidentin Meloni ein Dorn im Auge. Die Journalistin Francesca De Benedetti über Schikanen für die Medien.

Ein Gastbeitrag von Francesca De Benedetti

Seitdem die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ihre neue Regierung gebildet hat, beobachte ich eine Erosion der Demokratie in Italien. Ich habe ein geschultes Auge, da ich in den letzten zehn Jahren über die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen berichtet habe.

Es war mir klar, dass die rechtsextreme Ministerpräsidentin freie Medien nicht liebt: Sie hat angesehene Journalisten verklagt, darunter auch Kolleg:innen meiner Zeitung „Domani“. Aber eine Polizeirazzia in unserer Redaktion war nicht gerade das, was ich erwartet hätte. Niemand von uns hatte das.

Freitag, der 3. März, war ein Schock. „Es war so unwirklich“, sagt Mattia Ferraresi, der leitende Redakteur von „Domani“. Die Polizei betrat die Redaktion mit dem ungewöhnlichen Ziel, einen Artikel zu beschlagnahmen, der sich auf Claudio Durigon bezog, ein Mitglied der Regierung Meloni.

Bevor er zu einer führenden Persönlichkeit der rechtspopulistischen Partei Lega wurde, war Durigon eine wichtige Figur in der Ugl, einer rechtsgerichteten Gewerkschaft, die den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und rechtsextreme Regierungen unterstützt.

Obwohl der Parteivorsitzende der Lega, Matteo Salvini, hinter ihm stand, musste Durigon aufgrund von Skandalen aus der Regierung von Mario Draghi der Jahre 2021 bis 2022 ausscheiden. Einer betraf faschistische Verbindungen. Doch Meloni holte ihn zurück.

„Jedesmal, wenn wir über ihn schreiben, verklagt uns Durigon“, sagt mein Kollege Nello Trocchia. „Das hat er schon achtmal getan.“

Trocchia und Giovanni Tizian – die Autoren des inkriminierten Artikels – sind wichtige Reporter, die über Absprachen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen berichten. Sie stehen beide unter Polizeischutz. Man würde also erwarten, dass die italienischen Behörden ihre Arbeit schützen.

Es gab keinen Anlass für die Polizei, in die Redaktion zu kommen und den Artikel zu beschlagnahmen.

Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der Europäischen Journalistenvereinigung

Stattdessen wollten sie sie beschlagnahmen. Durigon hat uns wegen eines Artikels verklagt, den er der Klage nicht einmal beifügte. Er war online öffentlich zugänglich. Trotzdem musste Mattia Ferraresi ihn für die Polizei ausdrucken.

Als die Polizei kam, war Tizian gerade auf dem Weg in die Redaktion; Trocchia informierte seinen Kollegen per Telefon: „Komm, die Polizei ist da!“ Tizians erster Gedanke war, ihre Quellen zu schützen: „Lasst sie nicht an unsere Computer!“

Meloni gegen eine Zeitung

„Es gab keinen Anlass für die Polizei, in die Redaktion zu kommen und den Artikel zu beschlagnahmen. Das ist Einschüchterung“, sagte Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der Europäischen Journalistenvereinigung. Die Polizeirazzia ist kein Einzelfall. Melonis Regierung hat eindeutig gezeigt, dass sie ein Problem mit unabhängigen Medien hat.

Es ist bereits die zweite Warnung, die Gutiérrez innerhalb weniger Monate zur Unterstützung von „Domani“ verfassen musste. Im vergangenen Herbst musste er den Europarat darüber informieren, dass Premierministerin Giorgia Meloni „Domani“ wegen Verleumdung verklagt hatte.

Obwohl freie Medienorganisationen, die EU-Kommission und der Verfassungsgerichtshof Italien seit Jahren auffordern, seine Verleumdungsgesetze zu reformieren, hat sich Melonis Regierung nicht nur geweigert, sondern die Ministerpräsidentin nutzt strafrechtliche Verleumdungsprozesse als politisches Druckmittel: Sie verklagte Intellektuelle wie Roberto Saviano und Journalisten. Mein Chefredakteur Stefano Feltri und mein Kollege Emiliano Fittipaldi wurden vor Gericht gezogen.

Als ich mit Corinne Vella, der Schwester von Daphne Caruana Galizia, darüber sprach, zeigte sie uns sofort ihre Solidarität und Unterstützung. Melonis Version der Geschichte – dass sie Journalisten „als Bürgerin“ verklagt – ist dieselbe, die der damalige maltesische Premierminister verwendete, als er die Familie von Caruana Galizia vor Gericht brachte. (Die Investigativjournalistin Caruana Galizia, die unter anderem über Korruption in Maltas Regierung berichtete, wurde 2017 durch eine Autobombe ermordet; Anm. der Redaktion)

Gezielte Klagen, die eine Beteiligung der Öffentlichkeit verhindern sollen

Giorgia Meloni ist keine gewöhnliche Bürgerin, sie ist die führende Persönlichkeit in der Regierung unseres Landes, mit all der Macht, die dies mit sich bringt.

Man stelle sich das Paradox vor: Regierungen, die aktiv SLAPPs – „Strategic Litigation Against Public Participation“, also den Missbrauch des Rechts durch Unternehmen oder Behörden, um Transparenz und Kritik zu verhindern – gegen Journalisten einsetzen, sind dieselben, die über das Schicksal eines kommenden EU-Gesetzes eben gegen SLAPPs entscheiden müssen. „Und sie boykottieren es,“ sagt Corinne Vella.

„Der Europäische Rat untergräbt den ursprünglichen Vorschlag von ‘Daphne’s Law’. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass an der Front der Informationsfreiheit, wenn einer angegriffen wird, wir alle angegriffen werden.“

Dies ist das wahre Gesicht von Meloni.

Guy Verhofstadt, Europaabgeordneter

Als das Regime von Viktor Orbán unabhängige Zeitungen zur Schließung, zum Führungswechsel oder in die Verelendung zwang, schrieben mir die Leser von „Domani“ und baten mich um Hilfe. Eine Gruppe von Journalisten und aktiven Bürgern aus Calitri, einer kleinen Stadt in Süditalien, sammelte für die ungarischen Medien „Magyar Hang“ und „Telex“. Corinne Vella und die Daphne-Caruana-Galizia-Stiftung standen uns zur Seite, als wir Solidarität brauchten.

Und ein ganzes Universum von Organisationen, die sich für die Freiheit der Medien einsetzen, half uns bei der Verteidigung des unabhängigen Journalismus: Sielke Kelner von der Media Freedom Rapid Response begann, über die Angriffe der Regierung Meloni auf „Domani“ zu berichten, die European Federation of Journalists alarmierte den Europarat, Attila Mong vom Committee to Protect Journalists verfasste eine Erklärung und schrieb Beschwerden an die italienischen Behörden.

Der Punkt ist: „Domani“ ist eine kleine, aber einflussreiche Zeitung, und ich bin sicher, dass wir uns nicht einschüchtern lassen werden. Auch wir Gewerkschaftler bei „Domani“ haben geschrieben: Die Regierung wird uns nicht zum Schweigen bringen.

Aber was ist mit all den prekär beschäftigten Journalisten, die über Korruption recherchieren, und was ist mit den Freiberuflern? „Jedesmal, wenn Matteo Salvini mich verklagt hat – und das ist sehr oft passiert – habe ich den Rechtsstreit gewonnen“, sagt Giovanni Tizian. „Aber niemand hat uns das Geld zurückgegeben, das wir für unsere Anwälte ausgegeben haben. Wäre ich Freiberufler, hätte ich den Gegenwert eines Jahresgehalts verloren“.

„Domani“ erfährt europäische Solidarität

Der Grund, warum die Organisationen für Medienfreiheit „Domani“ auf europäischer Ebene unterstützt haben, ist, dass die Geschichte von „Domani“ uns alle angeht: Wir können nicht zulassen, dass unsere Seite der Front einer Entwicklung zum Autoritarismus ausgeliefert wird.

Sobald ich die Mitglieder des Europäischen Parlaments über Melonis Angriffe und das Eingreifen der Polizei informiert hatte, ergriffen viele von ihnen die Initiative, um zu helfen. Die niederländische liberale Europaabgeordnete Sophie in’t Veld stellte der EU-Kommission Fragen zu diesem Fall. „Dies ist das wahre Gesicht von Meloni“, erklärte der Europaabgeordnete Guy Verhofstadt. Alle progressiven Fraktionen – S&D, Grüne, Linke, Renew – haben ihre Unterstützung gegen Melonis Angriff auf die Medienfreiheit zum Ausdruck gebracht.

Gideon Rachman von der „Financial Times“ twitterte: „Erst gestern sagte mir ein hochrangiger europäischer Politiker, dass Meloni einige der über sie geäußerten Befürchtungen nicht gerechtfertigt habe. Vielleicht haben sie zu früh gesprochen...“

Der meistgelesene Newsletter in Brüssel, Politico Europe Playbook, griff den Fall auf, und viele europäische Zeitungen taten dasselbe.

Am 15. März erklärte der römische Staatsanwalt, dass die Beschlagnahmung von „Domani“-Artikeln über Durigon ein unzulässiger und ungültiger Eingriff war. Er habe „dank der Presse“ von dem Fall erfahren. Das bedeutet nicht, dass Melonis Regierung uns nicht mehr verklagt. Es bedeutet, dass die Mobilisierung funktioniert, und ich bin dankbar für eine so große Solidarität aus ganz Europa.

Es gibt eine Lektion, die wir nie vergessen sollten: Wie die feministische Dichterin Audre Lorde einmal sagte: „Dein Schweigen wird dich nicht schützen.“ Wir dürfen keinen Zentimeter von unser aller Freiheit aufgeben.

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