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Khadeedja, 7 Jahre, musste ihre Heimat Darfur im Sudan verlassen.

© REUTERS/ZOHRA BENSEMRA

Hinrichtungen und Vertreibungen: Droht im Krisenstaat Sudan ein Völkermord?

Der blutige Machtkampf im Sudan fordert immer mehr Todesopfer. Vor allem aus der Region Darfur kommen Schreckensnachrichten, die Schlimmstes erahnen lassen.

Das Städtchen Renk im Südsudan ist für viele ein Ort der Hoffnung. Wer es hier herschafft, ist erst einmal sicher. Die kleine Siedlung liegt weit draußen in der Provinz, am Ostufer des Weißen Nils, zwischen grünem Weideland, Hirsefeldern und Trockensavanne. Rund 70.000 Menschen lebten hier bislang.

Doch nun werden es täglich mehr. Denn nur 25 Kilometer flussabwärts liegt die Grenze zum Sudan – und von dort kommen jeden Tag Hunderte, manchmal auch mehr, die vor der Gewalt im Norden fliehen. Rund 100.000 Menschen sind nach UN-Angaben seit dem Ausbruch der Kämpfe im Sudan Mitte April in das südliche Nachbarland geflohen. 60 Prozent davon kommen durch die Stadt Renk.

Manche schlagen hier einfache Behausungen auf, am Grenzübergang gibt es eine improvisierte Klinik. Andere ziehen weiter, viele sind erschöpft, verzweifelt, hungrig.

Sexuelle Gewalt, Massenerschießungen und Kindersoldaten

Knapp drei Monate dauern die Gefechte im Sudan bereits an. Die beiden wichtigsten Generäle des Landes, Armeechef und De-facto-Präsident Abdel Fattah al Burhan und sein Rivale und Vize, Milizenführer Mohammed Hamdan Dagalo, lassen ihre Truppen einen blutigen Machtkampf austragen. Die Situation der Zivilbevölkerung in dem nordostafrikanischen Krisenstaat verschlechtert sich jeden Tag.

Es gibt Berichte über schwere Verbrechen – von sexueller Gewalt über Massenerschießungen bis zur Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten. In der Hauptstadt Khartum, wo rund zehn Millionen Menschen wohnen, sind viele Viertel von Bomben und Artillerie komplett zerstört.

General Mohamed Hamdan Dagalo, Chef der „Rapid Support Forces“ (RSF), will die Macht über den Sudan.

© AFP/ASHRAF SHAZLY

General Abdel Fattah al Burhan walks ist Oberster Befehlshaber der Armee und De-facto-Staatschef.

© REUTERS/SUDANESE ARMED FORCES

Angesichts der Gewalt sprach Kenias Präsident William Ruto vor wenigen Tagen eine drastische Warnung aus. Sein Land versucht, in dem Konflikt zu vermitteln. „Es gibt bereits Anzeichen eines Völkermords“, sagte Ruto dem TV-Sender France 24. Auch Exil-Sudanesen und Landeskenner zeigen sich besorgt.

Es gibt bereits Anzeichen eines Völkermords

William Ruto, Staatspräsident Kenias

„Die nicht-arabische Bevölkerung, vor allem Angehörige der ethnischen Gruppe der Masalit, sind der Gefahr eines Genozids ausgesetzt“, heißt es in einem offenen Brief. Die Masalit leben als Ackerbauern und Viehzüchter, meist in einfachen Verhältnissen, in der westlichen Region Darfur. Dort sind viele der Brutalität der „Rapid Support Forces“ (RSF) von Milizenführer Dagalo ausgeliefert.

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„Es gibt Berichte über Massenerschießungen in Darfur“, sagt Katharina von Schroeder von der Hilfsorganisation Save the Children im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Augenzeugen schildern, dass Menschen an Straßenblockaden herausgezogen und gefragt werden, zu welcher Volksgruppe sie gehören. Dann müssen sie sich auf den Boden legen und werden hingerichtet.“

Die „berittenen Teufel“

Es ist nicht das erste Mal, dass die RSF-Miliz gezielt Jagd auf Angehörige der Masalit macht. Seit 2003 begingen RSF-Kämpfer, früher Dschandschawid (arabisch für: „berittene Teufel“) genannt, immer wieder Massaker an der Volksgruppe, vergewaltigten Frauen, vertreiben ganze Dorfgemeinschaften. Menschenrechtler sprachen von „ethnischen Säuberungen“.

650.000
Menschen haben den Sudan seit Ausbruch des Konfliktes verlassen

Nun scheinen sich die Gräuel zu wiederholen. Der Sudan, fünfmal so groß wie Deutschland, rutscht immer weiter ins Chaos ab – mit Folgen auch für die Anrainerstaaten. Mehr als 2,5 Millionen Binnenvertriebene gibt es, 650.000 Menschen haben nach UN-Angaben das Land verlassen.

Menschen müssen sie sich auf den Boden legen und werden hingerichtet.

Katharina von Schroeder von Save the Children

Gastfreundschaft hat in der Sahel-Region traditionell einen hohen Wert. Doch wie lange können arme Staaten wie der Tschad den Zuzug von Sudanesinnen und Sudanesen verkraften? Der nördliche Nachbar Ägypten hat inzwischen seine Grenzpolitik verschärft. Frauen und Kinder werden durchgelassen, doch Männer zwischen 16 und 50 Jahren brauchen ein Visum, das nur wenige haben.

Sudanesische Flüchtlinge warten im Nachbarland Tschad auf Hilfe.

© REUTERS/Mohammad Ghannam/MSF

Im Grenzort Wadi Halfa drängen sich Ausreisewillige, rund um die Stadt wachsen die Flüchtlingslager. Anmesty International fordert, den Menschen die Einreise zu erlauben.

30-50
Prozent der geflüchteten Kinder kommen ohne Eltern in den Nachbarstaaten an

Organisationen wie Save the Children versuchen indes, Nothilfe zu leisten. „Die Menschen brauchen Erstversorgung, Lebensmittel und Medikamente“, sagt Katharina von Schroeder. In einigen Gegenden in den Nachbarstaaten kämen 30 bis 50 Prozent der geflüchteten Kinder ohne Eltern an.

Besonders schwierig ist die Situation von Zivilistinnen und Zivilisten in jenen Gebieten, die von der RSF-Miliz kontrolliert werden, da die keine Korridore für Hilfe oder zur Flucht zulässt. Das sudanesische Gesundheitsministerium schätzt die Zahl der seit April Getöteten auf 3000 – das dürfte jedoch weit unter dem tatsächlichen Wert liegen. Viele fielen nicht nur den Kämpfen, sondern den „Nebeneffekten des Kriegs“ zum Opfer, sagt von Schroeder.

„Wir haben etwa einen Mitarbeiter verloren, der an den Folgen seiner Diabetes gestorben ist, weil er in einer umkämpften Gegend in Darfur war und es dort kein Insulin gab.“ Sie fordert mehr internationale Mittel für den Sudan und die Nachbarstaaten, damit den vielen Menschen in Not geholfen werden kann.

Die Weltgemeinschaft hat in den knapp drei Monaten nach Ausbruch der blutigen Kämpfe im Sudan jedoch nur wenig bewirken können. Die Vermittlungsbemühungen von Staaten wie den USA oder Saudi-Arabien, aber auch von den Regierungen afrikanischer Nachbarländer, sind bisher allesamt gescheitert.

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