zum Hauptinhalt
Israelischer Soldat an der Grenze zum Libanon.

© REUTERS/RAMI SHLUSH

Gewalteskalation in Nahost: Israel kämpft mit sich selbst – eine Schwäche, die seine Feinde nutzen

Hisbollah, Hamas und der Iran testen Israels Fähigkeit zur Abschreckung und greifen Israel an mehreren Fronten an. Doch der jüdische Staat ist in der Verfassungskrise mit sich selbst beschäftigt. Das ist gefährlich.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Es sollte nach Stärke und Entschlossenheit klingen. Die Feinde Israels würden für ihre Angriffe einen hohen Preis zahlen, ließ Regierungschef Benjamin Netanjahu die Hamas und die vom Iran hochgerüstete Hisbollah wissen. Kurz zuvor waren Dutzende Raketen vom Libanon aus Richtung Israel abgefeuert worden.

Doch die markigen Worte können kaum kaschieren, dass der jüdische Staat gleich an mehreren Fronten ernsthaft zu kämpfen hat – mit seinen Gegnern und vor allem mit sich selbst.

Israel ist so geschwächt wie seit vielen Jahren nicht mehr. Das wissen die palästinensischen Terrororganisationen, die Mullahs in Teheran und ihre treuen Helfershelfer in der Region.

Sie alle – geeint im Hass auf das von ihnen als „zionistisches Gebilde“ geschmähte Land – haben sich verabredet und verbündet, um die Abschreckungsfähigkeit ihres Erzfeindes auf die Probe zu stellen. Die Gelegenheit scheint ihnen günstig.

Mehrere Dutzend Raketen feuerten Extremisten aus dem Libanon auf Israel ab.

© AFP/OREN ZIV

Gazastreifen, Libanon und Syrien: Attacken gleich an drei Fronten muss der jüdische Staat abwehren. Bei Israels Militärstrategen gilt eine derartige Bedrohung schon fast als Worst-Case-Szenario. Denn hinzu kommen noch die schweren Unruhen im Westjordanland und jetzt noch die Zusammenstöße auf dem Jerusalemer Tempelberg.

Dort waren israelische Polizisten mit Schlagstöcken gegen „Unruhestifter“ in der Al-Aksa-Moschee eingeschritten, die Steine und Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte geworfen haben sollen. Das massive Vorgehen der Polizei mitten im Ramadan hat die muslimische Welt empört. Und nicht nur die.

In normalen Zeiten wären schon allein diese Herausforderungen für Israel nur mit Mühe zu meistern. Aber die Zeiten sind alles andere als normal.

Das Land ist wegen der umstrittenen Justizreform – in der viele zu Recht eine Gefahr für die Demokratie sehen – mit sich selbst beschäftigt. Was die Gegner des jüdischen Staats aufmerksam registrieren. Schon vor Wochen hatte Verteidigungsminister Yoav Galant gewarnt, die Demonstrationen schwächten Israels Verteidigungsfähigkeit, weil Reservisten aus Protest gegen das Vorhaben der Koalition den Dienst verweigerten.

Nun wird vermutlich kein Pilot aus dem Cockpit seines Kampfjets steigen, nur weil er mit Netanjahus Plänen nicht einverstanden ist. Die Verteidigung der Heimat wiegt mit Sicherheit schwerer. Dass das eigentlich Undenkbare dennoch gedacht wird, zeigt, wie es um die Verfasstheit Israels bestellt ist.

Auch israelische Soldaten protestieren gegen die geplante Justizreform.

© AFP/JACK GUEZ

Besonders brisant wird die Situation durch die Regierung in Jerusalem. Sie ist nicht nur die am weitesten rechtsstehende und damit radikalste in der 75-jährigen Geschichte des Landes, sondern auch eine besonders unerfahrene.

Jeder strategische Fehler könnte verheerende Folgen haben

Dabei kommt es jetzt darauf an, dass Israel seine Gegner in die Schranken weist, ohne die Lage vollends eskalieren zu lassen. Mit den Extremisten in der Koalition wird es ein echtes Problem, auf diesem schmalen Grat zu balancieren.

Aber jeder strategische Fehler könnte verheerende Folgen haben. Schließlich heißt der Hauptgegner Iran. Das Mullah-Regime steckt hinter den Angriffen an den verschiedenen Fronten, steuert sie mit Geld, Waffen und Propaganda.

Offenbar fühlt sich Teheran nach dem selbst erklärten Sieg über die Aufstandsbewegung im eigenen Land wieder stark genug, Israel herauszufordern. Der Schattenkrieg zwischen dem Iran und dem jüdischen Staat droht in eine neue, gefährliche Runde zu gehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false