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Auf diesem Videostandbild vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium steigt Rauch über einem Gebiet auf, in dem sich nach aserbaidschanischen Angaben Stellungen der armenischen Streitkräfte in dem Gebiet Berg-Karabach befinden.

© dpa/---

Update

Konflikt mit Armenien: Aserbaidschan startet Militäreinsatz in Bergkarabach

Das Verteidigungsministerium in Baku verkündet den Beginn von „Anti-Terror-Einsätzen“ in der Region Bergkarabach. Armenien wirft Aserbaidschan eine Politik der „ethnischen Säuberung“ vor.

| Update:

Aserbaidschan hat nach eigenen Angaben am Dienstag mit „Anti-Terror-Einsätzen“ in der Region Bergkarabach begonnen. Die Einsätze richteten sich gegen armenische Kräfte, teilte das Verteidigungsministerium am Dienstag in Baku mit. Die Türkei und Russland seien über das Vorgehen informiert worden.

Die eigene Armee sei in der Region Aghdam beschossen worden, behauptete das aserbaidschanische Ministerium. Daher sei eine „Anti-Terror-Operation lokalen Charakters zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ in der Region gestartet worden, so ein Ministeriumssprecher.

Die Lage von Bergkarabach.
Die Lage von Bergkarabach.

© AFP/Paz Pizzaro und Robin Bjalon

Zuvor wurden aserbaidschanischen Angaben zufolge sechs Menschen bei Minenexplosionen getötet. Aserbaidschanische Sicherheitskräfte hatten mitgeteilt, zwei Zivilisten seien auf einer Straße in Richtung der Stadt Schuscha im aserbaidschanisch kontrollierten Teil Bergkarabachs durch eine von armenischen „Sabotagegruppen“ gelegte Mine getötet worden.


Wurde die Waffenruhe in Bergkarabach gebrochen?

Die Anschuldigungen aus Baku wies die aktuelle Führung der Konfliktregion um die Hauptstadt Stepanakert zurück. Die Verteidigungskräfte hielten sich an den Waffenstillstand, teilte das Verteidigungsministerium von Arzach in einer Pressemitteilung mit.

Der Vorwurf, die Feuerpause gebrochen und zwei aserbaidschanische Soldaten verletzt zu haben, sei „erlogen und entspricht nicht den Tatsachen“, heißt es in einer Mitteilung.


Wie ist die aktuelle Lage?

In Stepanakert, der Hauptstadt der zwischen beiden Ländern seit Jahrzehnten umstrittenen Region, waren nach Angaben eines AFP-Reporters Explosionen zu hören. Auf X, vormals Twitter, kursieren Videos, die Explosionen in der Stadt zeigen sollen.

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Mehrere Städte der Kaukasusregion Bergkarabach seien angegriffen worden. „Im Moment stehen die Hauptstadt Stepanakert und andere Städte und Dörfer unter intensivem Beschuss“, erklärte die in Armenien ansässige Vertretung von Bergkarabach im Onlinedienst Facebook.

Infolge des aserbaidschanischen Militäreinsatzes seien in der Konfliktregion Berg-Karabach dann laut Angaben von vor Ort mehrere Zivilisten getötet und verletzt worden.

„Den bisherigen Informationen zufolge haben die aserbaidschanischen Angriffe mindestens zwei Tote, darunter ein Kind, und elf Verletzte, darunter acht Kinder, verursacht“, schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik, Gegam Stepanjan, am Dienstag auf X (vormals Twitter).


Wie reagiert Armenien auf den Militäreinsatz in Bergkarabach?

Armenien kritisierte das massive militärische Vorgehen Aserbaidschans scharf und warf dem Nachbarstaat eine Politik der „ethnischen Säuberung“ vor. Die Führung in Baku habe eine „weitere, breit angelegte Aggression“ gegen das Volk von Bergkarabach losgetreten, um seine „Politik der ethnischen Säuberung zu vollenden“, erklärte das armenische Außenministerium am Dienstag in Eriwan.

In Eriwan (Armenien) demonstrierten am 2. September 2023 Menschen für die Öffnung des Latschin-Korridors. Der Korridor wird für Lieferungen humanitärer Hilfsgüter genutzt.
In Eriwan (Armenien) demonstrierten am 2. September 2023 Menschen für die Öffnung des Latschin-Korridors. Der Korridor wird für Lieferungen humanitärer Hilfsgüter genutzt.

© Alexander Patrin/Imago

Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan berief dem Verteidigungsministerium zufolge angesichts der „groß angelegten Militäraktionen“ Aserbaidschans den nationalen Sicherheitsrat ein. Das armenische Außenministerium appellierte in einer Erklärung an die in Bergkarabach stationierten russischen Friedenstruppen, die aserbaidschanische „Aggression“ mit „eindeutigen“ Maßnahmen zu beenden.


Wie reagiert Russland?

Russland hat zur Beendigung der Kämpfe zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien aufgerufen. „Wir sind tief besorgt wegen der scharfen Eskalation der Lage in Bergkarabach“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Dienstag bei einem Pressebriefing zu der Auseinandersetzung um die Konfliktregion. Das Blutvergießen und die Kämpfe müssten beendet und der Konflikt auf diplomatischem Weg gelöst werden.

Sacharowa wies zugleich die in Armenien erhobenen Vorwürfe zurück, dass Russland in die Angriffspläne Aserbaidschans eingeweiht gewesen sei. Die dort stationierten russischen Truppen hätten erst Minuten vor dem Beginn des Militäreinsatzes davon erfahren, sagte sie.


Wie reagiert die EU auf die Invasion Aserbaidschans?

Die Europäische Union hat den aserbaidschanischen Militäreinsatz zur Eroberung der auch von Armenien beanspruchten Region Bergkarabach verurteilt. „Wir fordern ein sofortiges Ende der Feindseligkeiten und rufen Aserbaidschan auf, die derzeitigen militärischen Aktivitäten einzustellen“, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstag mit.

Der Dialog zwischen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und den Karabach-Armeniern müsse dringend wieder aufgenommen werden. Die militärische Eskalation dürfe nicht als Vorwand dienen, um die Abwanderung der lokalen Bevölkerung zu erzwingen, hieß es weiter. Um auf Verhandlungsergebnisse hinzuarbeiten, bedürfe es eines echten Engagements aller Seiten, teilte Borrell weiter mit. Die EU bleibe uneingeschränkt engagiert, um den Dialog zu erleichtern.

Ähnlich äußerte sich auch EU-Ratspräsident Charles Michel, der die Nachrichten aus der Region zudem als niederschmetternd bezeichnete. Der Belgier hatte in den vergangenen Monaten kontinuierlich versucht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.

Wie äußert sich die Bundesregierung?

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangt von Aserbaidschan ein sofortiges Ende der Militäraktion. „Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren“, forderte die Grünen-Politikerin am Dienstag am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Sie ergänzte: „Entscheidend ist der Schutz der Zivilbevölkerung in Bergkarabach. Dies ist auch Aufgabe der dort stationierten russischen Soldaten.“

Ein dauerhafter Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien könne nur am Verhandlungstisch erzielt werden. Baerbock erklärte, die Bundesregierung unterstütze die Verhandlungen unter Führung der Europäischen Union. „Angesichts der heutigen Eskalation sind diese dringlicher als je zuvor.“ Die Berichte aus Berg-Karabach seien dramatisch.

Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Annalena Baerbock

In den vergangenen Wochen habe man sich massiv für einen humanitären Zugang zu den Menschen in Bergkarabach eingesetzt. „Hier gab es zuletzt kleine Fortschritte. Umso schlimmer ist jetzt diese Gewalteskalation.“ Gerade in vergangenen Tagen habe es intensive Gespräche auch der EU und USA mit Armenien und Aserbaidschan zur Deeskalation gegeben. Die Zusage Bakus, von militärischen Maßnahmen abzusehen, sei gebrochen worden.


Wie kam es zu dem Konflikt in Bergkarabach?

Nach dem letzten, sechswöchigen Krieg im Jahr 2020 mit mehr als 6500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. Seitdem sind russische Truppen zur „Friedenssicherung“ in der Region mit Hauptquartier in Stepanakert stationiert.

Das muslimische Aserbaidschan und das christlich-orthodoxe Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um Bergkarabach und lieferten sich bereits zwei Kriege um das Gebiet. Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier, die dort die Republik Arzach ausgerufen haben. Sie liegt als Enklave innerhalb des aserbaidschanisch kontrollierten Gebietes.

Baku blockiert bereits seit Monaten diese Verbindung der etwa 120.000 Karabach-Armenier nach Armenien. In dem Gebiet fehlt es an Lebensmitteln und Medikamenten.

Baku fordert den kompletten Abzug aller armenischer Kräfte aus Bergkarabach als Bedingung für einen Frieden in der Region. Armenien erklärte indes, keinerlei Soldaten in der formell unabhängigen Region zu haben.


Welche Großmächte sind involviert?

In dem Konflikt sind auch verschiedene Großmächte involviert. Aserbaidschan wird in dem Konflikt von der Türkei unterstützt, während Russland traditionell die Schutzmacht Armeniens ist.

Aserbaidschan ist zudem zu einem wichtigen Gaslieferanten Europas geworden und viele westliche Länder – sowie Israel – unterhalten gute Beziehungen zu Baku. Iran hingegen gilt als Verbündeter Armeniens.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine verschieben sich die Verhältnisse jedoch teilweise: „Infolge der Ereignisse in der Ukraine haben sich die Möglichkeiten Russlands verändert“, sagte kürzlich Regierungschef Paschinjan in einem Interview mit dem US-Medium „Politico“. Erst Mitte September führte Armenien eine Militärübung mit den USA durch – sehr zum Missfallen Moskaus. (Tsp, AFP, Reuters)

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