zum Hauptinhalt
Eine Außenmauer des berüchtigten Evin-Gefängnisses in Teheran im Iran. (Archivbild)

© picture-alliance/dpa

500 Tage Horror-Knast im Iran : „Eine verbreitete Strategie des Establishments in Teheran“

Johan Floderus ist Diplomat bei der EU. Seit mehr als 1,5 Jahren sitzt er im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis – vermutlich als Faustpfand für einen verurteilten Kriegsverbrecher.

Isolationshaft oder überfüllte Zellen, körperliche Folter und psychologischer Terror: Die Berichte von ehemaligen Inhaftierten des Teheraner Ein-Gefängnisses lassen erahnen, wie grausam der Alltag dort ist. Seit April vergangenen Jahres – mehr als 500 Tage – hält das iranische Mullah-Regime dort einen EU-Topdiplomaten gefangen.

Erst am Dienstag bestätigte der Auswärtige Dienst der Europäischen Union die Festnahme des Schweden Johan Floderus. Zuvor hatte die „New York Times“ über seinen Fall berichhtet. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell sagte am Rande eines Ministertreffens in Spanien, dass man sich „unermüdlich für die Freiheit von Herrn Floderus eingesetzt“ habe – bisher aber vergeblich.

1 Was ist über den Fall bekannt?

Schwedische Medien berichten übereinstimmend, dass der 33-Jährige bei einer Urlaubsreise im April 2022 festgenommen worden ist. Gemeinsam mit drei Freunden soll Floderus einen bekannten Diplomaten besucht haben, bei der Abreise wurde er am Teheraner Flughafen festgenommen.

Seine drei Mitreisenden konnten problemlos zurück nach Schweden reisen. Seit 500 Tagen sitzt er der „New York Times“ zufolge im berüchtigten Evin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt. Ihm wird vom iranischen Regime angebliche Spionage vorgeworfen.

508
Tage sitzt Johan Floderus bereits im iranischen Gefängnis.

Bereits im Mai 2022 bestätigte das Außenministerium die Festnahme eines „schwedischen Touristen“, weitere Informationen wollte Stockholm nicht preisgeben.

„Stille Diplomatie“ sei in solchen Fällen aber nichts Ungewöhnliches, sagt Rouzbeh Parsi, Nahost-Experte beim Schwedischen Institut für Auswärtige Politik, dem Tagesspiegel. „Man möchte den Inhaftierten einerseits diskret freilassen, anderseits bekommt Teheran damit das Gefühl, besonders stark zu sein.“

Nur wenige Tage zuvor riet das Auswärtige Amt vor „unnötigen Reisen“ in den Iran offiziell ab. Johan Floderus saß da bereits im Gefängnis. Seit 2019 hat Floderus bei der EU für die schwedischen Innenkommissarin Ylva Johansson gearbeitet, ehe er zwei Jahre später in den diplomatischen Dienst wechselte.

Am Dienstagabend äußerte sich erstmals die Familie des Gefangenen. „Wir, Johans Familie, sind zutiefst besorgt und verzweifelt“, heißt es in einer kurzen Erklärung. „Jeder Tag ist eine große Prüfung für uns, vor allem aber für Johan. Er muss freigelassen werden und sofort nach Hause kommen.“

2 Was will der Iran?

Mehrfach wurden in den vergangenen Jahren ausländische oder Doppelstaatsangehörige willkürlich im Iran inhaftiert oder verurteilt – häufig aufgrund fragwürdiger Spionagevorwürfe. Experten halten die Anklage auch im Fall Floderus für unbegründet.

Der EU-Diplomat Johan Floderus sitzt im Iran seit mehr als 1,5 Jahren im Gefängnis.
Der EU-Diplomat Johan Floderus sitzt im Iran seit mehr als 1,5 Jahren im Gefängnis.

© Twitter/EU Hostages Family Watch

Das Regime in Teheran hat ein System etabliert, bei dem Ausländer als Geiseln genommen werden, um Erpressungen gegen ihre Heimatländer auszuüben. Das scheint auch bei Floderus der Fall zu sein.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweden sagte, es sei „besorgniserregend“, dass der Iran zunehmend die sogenannte Geiseldiplomatie einsetze. Das sei „eine relativ verbreitete Strategie des Sicherheitsestablishments in Teheran, um gegen ausländische Mächte vorzugehen“, erklärt Rouzbeh Parsi.

Jeder Tag ist eine große Prüfung für uns, vor allem aber für Johan. Er muss freigelassen werden und sofort nach Hause kommen.

Familie von Johan Floderus in einer Erklärung

Man wolle politische Durchbrüche in den bilateralen Beziehungen verhindern und im Ausland Gefangene zurück nach Teheran bringen. In Schweden wird vermutet, dass das iranische Regime mit der Verhaftung von Floderus den Iraner Hamid Nouri freipressen will.

3 Wen wollen die Mullahs freipressen?

Der ehemalige iranische Justizbeamte Hamid Nouri wurde im Sommer vergangenen Jahres nach dem Grundsatz der Weltgerichtsbarkeit wegen der Beteiligung an Massenhinrichtungen politischer Gefangener zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe in Schweden verurteilt.

Das Urteil löste eine diplomatische Krise zwischen beiden Ländern aus, erst im Mai hat der Iran den 2020 – ein Jahr nach Nouris Verhaftung in Stockholm – zum Tode verurteilten schwedisch-iranischen Staatsbürger hingerichtet.

Es gibt für einen Gefangenenaustausch viele politische, aber auch rechtliche Hürden.

Rouzbeh Parsi, Nahost-Experte beim Schwedischen Institut für Auswärtige Politik

Dass Teheran den EU-Diplomaten lediglich als Faustpfand für die Freilassung Nouris benutzt, ist für Rouzbeh Parsi das „logischste“ Motiv: „Es gibt für einen Gefangenenaustausch viele politische, aber auch rechtliche Hürden.“

Schwedens Regierung werde auch ihre Glaubwürdigkeit in der internationalen Strafverfolgung nicht aufs Spiel setzen wollen: „Man ließe schließlich einen verurteilten Kriegsverbrecher wieder frei.“

4 Wie reagieren die EU und Schweden?

Schwedens Außenminister, Tobias Billström, sagte in einer ersten Erklärung: „Die Regierung arbeitet sehr intensiv an dem Fall. Die betreffende Person wird willkürlich die Freiheit entzogen und sie muss daher unverzüglich wieder freigelassen werden.“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell fügte am Dienstag hinzu: „Wir werden nicht aufgeben.“

5 Beeinflusst der Fall das Verhältnis beider Länder?

„Durch den Fall Nouri, die Koranverbrennungen und die allgemein angespannten EU-Iran-Beziehungen ist das Verhältnis ohnehin bereits ziemlich schlecht“, sagt Nahost-Experte Rouzbeh Parsi. Insbesondere die wiederholten Koranverbrennungen dieses Sommers haben Schweden für Teheran zu einer Art „Staatsfeind Nummer 1“ gemacht.

Bereits Anfang August drohte Irans Herrscher Ali Khamenei: „Die schwedische Regierung sollte wissen, dass die Unterstützung von Kriminellen gegen die islamische Welt gleichbedeutend ist mit dem Eintritt in die Schlachtordnung für einen Krieg.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false